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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Schöne Literatur im Kriege

in jetzigen Zeitläuften erquicken kann, so erfreut doch ein straffer Wille zur
Form und eine treffsichere Psychologie, die auch Unbewußten Worte leiht. Ist
es auch noch nicht Natur, was es gibt und wohin es uns führt, so ist es
immerhin Sommerfrische.

Was uns jetzt einzig ablenken, in einem edlen Sinne zerstreuen und für
Stunden von dem Gefühl der fieberhaften Spannung befreien kann, sind
künstlerische Formungen geschichtlich bedeutender Vergangenheit, wie etwa Ricarda
Huchs großartiges Rundgemälde des Dreißigjährigen Krieges, oder solche
Bücher, die uns ans Herz der ewigen, immer jungen, immer schönen Allmutter
führen, wo Friede ist und der Atem Gottes. Emil Erkl tut das in seiner
schönen Novelle "Walpurga" (Leipzig, L. Staackmann), die ein Gedicht in Prosa
ist- Ein Städter wandert ins Tal seiner Jugend, seiner Liebe in der grünen
Steiermark, wir wandern genießend mit, bleiben getreulich an seiner Seite
obgleich gar nichts geschieht in diesem stillen, zarten und erbaulichen Buche.
Und wir bleiben geographisch und seelisch ungefähr in derselben Gegend, wenn
wir Max Meil zu "Barbara Naderers Viehstand" (Leipzig, L. Staackmann)
folgen. Freilich ist die Natur hier derber. Die große Selbstverständ¬
lichkeit ihres Geschehens aber entwaffnet unsere Städterempfindlichkeit; sie ist
schicksalhaft wie der Krieg, und dem Urzustande des Krieges aller gegen alle
stehen diese geschlossenen Menschen mit ihren ungebrochenen Instinkten sehr nahe.
Wir können ihnen so wenig böse sein, wie den ungestümen Frühlingswinden,
die über die Bauernerde brausen, oder den heißen Sommergluten, die über¬
quellendes Leben aus ihr wecken. Das vertrauteste Stück Natur ist immer die
Heimat. Weil diese beiden Büchern der beiden Steiermärker ein Stück Natur
geben, gesehen durch das Auge der Heimatliebe, und weil draußen um die
Heimat gekämpft wird, sind sie unserer Liebe am nächsten, der Fortdauer am
sichersten und nützlich und erquicklich zu lesen.




Schöne Literatur im Kriege

in jetzigen Zeitläuften erquicken kann, so erfreut doch ein straffer Wille zur
Form und eine treffsichere Psychologie, die auch Unbewußten Worte leiht. Ist
es auch noch nicht Natur, was es gibt und wohin es uns führt, so ist es
immerhin Sommerfrische.

Was uns jetzt einzig ablenken, in einem edlen Sinne zerstreuen und für
Stunden von dem Gefühl der fieberhaften Spannung befreien kann, sind
künstlerische Formungen geschichtlich bedeutender Vergangenheit, wie etwa Ricarda
Huchs großartiges Rundgemälde des Dreißigjährigen Krieges, oder solche
Bücher, die uns ans Herz der ewigen, immer jungen, immer schönen Allmutter
führen, wo Friede ist und der Atem Gottes. Emil Erkl tut das in seiner
schönen Novelle „Walpurga" (Leipzig, L. Staackmann), die ein Gedicht in Prosa
ist- Ein Städter wandert ins Tal seiner Jugend, seiner Liebe in der grünen
Steiermark, wir wandern genießend mit, bleiben getreulich an seiner Seite
obgleich gar nichts geschieht in diesem stillen, zarten und erbaulichen Buche.
Und wir bleiben geographisch und seelisch ungefähr in derselben Gegend, wenn
wir Max Meil zu „Barbara Naderers Viehstand" (Leipzig, L. Staackmann)
folgen. Freilich ist die Natur hier derber. Die große Selbstverständ¬
lichkeit ihres Geschehens aber entwaffnet unsere Städterempfindlichkeit; sie ist
schicksalhaft wie der Krieg, und dem Urzustande des Krieges aller gegen alle
stehen diese geschlossenen Menschen mit ihren ungebrochenen Instinkten sehr nahe.
Wir können ihnen so wenig böse sein, wie den ungestümen Frühlingswinden,
die über die Bauernerde brausen, oder den heißen Sommergluten, die über¬
quellendes Leben aus ihr wecken. Das vertrauteste Stück Natur ist immer die
Heimat. Weil diese beiden Büchern der beiden Steiermärker ein Stück Natur
geben, gesehen durch das Auge der Heimatliebe, und weil draußen um die
Heimat gekämpft wird, sind sie unserer Liebe am nächsten, der Fortdauer am
sichersten und nützlich und erquicklich zu lesen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/201>, abgerufen am 02.07.2024.