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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Sprachreiiiignng

ein innerlicher und notwendiger Zusammenhang nicht besteht, sondern daß der
Ausdruck durch ein stillschweigendes und durch Herkommen gefestigtes Einver¬
ständnis zwischen Sprecher und Hörer zu seinem Inhalt gelangt. Nicht eine
dem Wort innewohnende Kraft erzeugt die Umgestaltung, sondern der auf Mit¬
teilung seiner Vorstellung hinstrebende Geist des Menschen. Der Mensch ist das
Maß auch aller sprachlichen Dinge.

Angesichts dieses Einflusses des menschlichen Geistes auf die Sprachgestaltung
könnte man den Vorschlag machen, Grundsätze für die Verdeutschung aufzustellen
und dann unter deren Anwendung die heutige Sprachbewegung zu fördern.
Einen solchen Grundsatz hat schon der Dichter Voß in einem an Campe ge¬
richteten Briefe mit folgenden Worten ausgesprochen: "Neue Wörter, deucht
mich, müssen sich selbst wie alte Bekannte, die man nur lange nicht gesehen,
einführen und durch ihre auffallende Geschicklichkeit und Anmut das Herz
gewinnen." Ein vortrefflicher Grundsatz, der vor allem die Mahnung enthält,
daß nicht jeder für die Sprachreinigung sich berufen fühlen soll, weil für diese
Aufgabe sprachliches Feingefühl und wissenschaftliche Vorbildung notwendig ist.
Sprachreinigung ist daher besonders die Aufgabe der Dichter. Redner, Schrift¬
steller und Gelehrten. Und doch -- wer will sich vermessen, einer jungen
Wortbildung ihr Schicksal vorauszusagen? Mögen sprachgelehrte und Wörter¬
buchschreiber noch so bestimmt in ihrem absprechender oder zustimmenden Urteil
sein, es bleibt doch schließlich der Geschmack des Volkes maßgebend, der seine
eigenen Wege geht. Daher muß der Grundsatz zu allgemeiner Anerkennung
gebracht werden, daß es richtiger ist, sich in reiner deutscher Sprache auszudrücken
als sich der Fremdwörter zu bedienen, weil das Fremdwort die Sache ver¬
dunkelt und das deutsche sie klar und allgemeinverständlich bezeichnet. Für diese
allgemeine Überzeugung hat der Krieg die Bahn gebrochen. Der gute Wille,
deutsche Wörter für die ausländischen anzunehmen und zu gebrauchen, ist jetzt
in unserem Volke überall vorhanden. Wer es jetzt versteht, ihn auf die richtigen
Bahnen zu leiten und für die Liebe zur Muttersprache nachhaltig zu begeistern,
der wird mit Erfolg an der großen Aufgabe mitarbeiten, unsere Sprache auf
die Dauer von der Fremdherrschaft zu befreien.




Sprachreiiiignng

ein innerlicher und notwendiger Zusammenhang nicht besteht, sondern daß der
Ausdruck durch ein stillschweigendes und durch Herkommen gefestigtes Einver¬
ständnis zwischen Sprecher und Hörer zu seinem Inhalt gelangt. Nicht eine
dem Wort innewohnende Kraft erzeugt die Umgestaltung, sondern der auf Mit¬
teilung seiner Vorstellung hinstrebende Geist des Menschen. Der Mensch ist das
Maß auch aller sprachlichen Dinge.

Angesichts dieses Einflusses des menschlichen Geistes auf die Sprachgestaltung
könnte man den Vorschlag machen, Grundsätze für die Verdeutschung aufzustellen
und dann unter deren Anwendung die heutige Sprachbewegung zu fördern.
Einen solchen Grundsatz hat schon der Dichter Voß in einem an Campe ge¬
richteten Briefe mit folgenden Worten ausgesprochen: „Neue Wörter, deucht
mich, müssen sich selbst wie alte Bekannte, die man nur lange nicht gesehen,
einführen und durch ihre auffallende Geschicklichkeit und Anmut das Herz
gewinnen." Ein vortrefflicher Grundsatz, der vor allem die Mahnung enthält,
daß nicht jeder für die Sprachreinigung sich berufen fühlen soll, weil für diese
Aufgabe sprachliches Feingefühl und wissenschaftliche Vorbildung notwendig ist.
Sprachreinigung ist daher besonders die Aufgabe der Dichter. Redner, Schrift¬
steller und Gelehrten. Und doch — wer will sich vermessen, einer jungen
Wortbildung ihr Schicksal vorauszusagen? Mögen sprachgelehrte und Wörter¬
buchschreiber noch so bestimmt in ihrem absprechender oder zustimmenden Urteil
sein, es bleibt doch schließlich der Geschmack des Volkes maßgebend, der seine
eigenen Wege geht. Daher muß der Grundsatz zu allgemeiner Anerkennung
gebracht werden, daß es richtiger ist, sich in reiner deutscher Sprache auszudrücken
als sich der Fremdwörter zu bedienen, weil das Fremdwort die Sache ver¬
dunkelt und das deutsche sie klar und allgemeinverständlich bezeichnet. Für diese
allgemeine Überzeugung hat der Krieg die Bahn gebrochen. Der gute Wille,
deutsche Wörter für die ausländischen anzunehmen und zu gebrauchen, ist jetzt
in unserem Volke überall vorhanden. Wer es jetzt versteht, ihn auf die richtigen
Bahnen zu leiten und für die Liebe zur Muttersprache nachhaltig zu begeistern,
der wird mit Erfolg an der großen Aufgabe mitarbeiten, unsere Sprache auf
die Dauer von der Fremdherrschaft zu befreien.




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[0197] Sprachreiiiignng ein innerlicher und notwendiger Zusammenhang nicht besteht, sondern daß der Ausdruck durch ein stillschweigendes und durch Herkommen gefestigtes Einver¬ ständnis zwischen Sprecher und Hörer zu seinem Inhalt gelangt. Nicht eine dem Wort innewohnende Kraft erzeugt die Umgestaltung, sondern der auf Mit¬ teilung seiner Vorstellung hinstrebende Geist des Menschen. Der Mensch ist das Maß auch aller sprachlichen Dinge. Angesichts dieses Einflusses des menschlichen Geistes auf die Sprachgestaltung könnte man den Vorschlag machen, Grundsätze für die Verdeutschung aufzustellen und dann unter deren Anwendung die heutige Sprachbewegung zu fördern. Einen solchen Grundsatz hat schon der Dichter Voß in einem an Campe ge¬ richteten Briefe mit folgenden Worten ausgesprochen: „Neue Wörter, deucht mich, müssen sich selbst wie alte Bekannte, die man nur lange nicht gesehen, einführen und durch ihre auffallende Geschicklichkeit und Anmut das Herz gewinnen." Ein vortrefflicher Grundsatz, der vor allem die Mahnung enthält, daß nicht jeder für die Sprachreinigung sich berufen fühlen soll, weil für diese Aufgabe sprachliches Feingefühl und wissenschaftliche Vorbildung notwendig ist. Sprachreinigung ist daher besonders die Aufgabe der Dichter. Redner, Schrift¬ steller und Gelehrten. Und doch — wer will sich vermessen, einer jungen Wortbildung ihr Schicksal vorauszusagen? Mögen sprachgelehrte und Wörter¬ buchschreiber noch so bestimmt in ihrem absprechender oder zustimmenden Urteil sein, es bleibt doch schließlich der Geschmack des Volkes maßgebend, der seine eigenen Wege geht. Daher muß der Grundsatz zu allgemeiner Anerkennung gebracht werden, daß es richtiger ist, sich in reiner deutscher Sprache auszudrücken als sich der Fremdwörter zu bedienen, weil das Fremdwort die Sache ver¬ dunkelt und das deutsche sie klar und allgemeinverständlich bezeichnet. Für diese allgemeine Überzeugung hat der Krieg die Bahn gebrochen. Der gute Wille, deutsche Wörter für die ausländischen anzunehmen und zu gebrauchen, ist jetzt in unserem Volke überall vorhanden. Wer es jetzt versteht, ihn auf die richtigen Bahnen zu leiten und für die Liebe zur Muttersprache nachhaltig zu begeistern, der wird mit Erfolg an der großen Aufgabe mitarbeiten, unsere Sprache auf die Dauer von der Fremdherrschaft zu befreien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/197>, abgerufen am 02.07.2024.