Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sprachrcinigung

hat. Unter ihrem Einfluß will die alte Anschauung, daß der deutsche Ersatz
für ein fremdes Wort erkünstelt und gezwungen erscheint, nicht recht aussterben.
Je weitere Kreise an der Bildung unserer Zeit teilnehnien. desto mehr geht die
sprachbildende Kraft unseres Volkes zurück, weil das geschriebene Wort als
etwas Unantastbares gilt und die darüber wachende Aufsicht der Gelehrten eine
ehrfürchtige Achtung genießt. Die Gefahr, daß unsere Sprache gründlich ver-
welscht wird, ist in unserem Zeitalter der zunehmenden Volksbildung wieder
gestiegen. Diese Gefahr, in falscher Scheu das Fremdländische höher zu schätzen
als das Einheimische, wächst in demselben Maße, als Deutschland in seiner
Weltmachtstellung zunimmt und der weltbürgerliche Sinn mit dem völkischen
in Wettbewerb tritt.

Infolge dieser Schwierigkeit der Eindeutschung fehlt es unserer Sprache
an Aufnahmefähigkeit für die Fremdwörter. Trotzdem nimmt man sie in
Schutz, indem man behauptet, daß sie in vielen Fällen brauchbarer sind als
deutsche. Man sagt nämlich, daß wir durch die Fremdwörter in den Stand
gesetzt sind, uns reicher und mannigfaltiger und vielfach auch einfacher und
kürzer, ja auch deutlicher ausdrücken können, als es ohne Fremdwort möglich
wäre. Diese Ansicht wird besonders von Gelehrten, Kaufleuten und Beamten
vertreten, die sich der stillen Hoffnung hingeben, daß diese Fremdwörter doch
wohl einmal eingedeutscht werden. Kein Verständiger wird leugnen, daß der
Gelehrte fremdländische Fachausdrücke nicht entbehren kann, weil sie als wissen¬
schaftliche Begriffe ihre ganz besondere, nur ihnen zukommende Bedeutung haben;
niemand wird auch etwas gegen die Ausdrücke Elektrizität, Theater, Investitur-
streit, Restitutionsedikt haben, weil sie durch die Geschichte geheiligte Begriffe
geworden sind und deswegen in unserer Sprache Daseinsberechtigung erhalten
haben; es ist auch zweifellos richtig, daß es dem Kaufmann oft genug schwer
wird, unter den Tausenden von Warenbezeichnungen für eine neue Ware eine
Benennung zu finden, die allen Ansprüchen an Brauchbarkeit entspricht. Aber
man darf auch billig fragen, ob nicht dieses Sonderdeutsch der Gelehrten,
Kausieute und Beamten zu weit geht und oft genug Anlaß zu Spott und
Mißverständnis gibt. Wenn dem entgegengehalten wird, daß der Reichtum
und die Mannigfaltigkeit, die in einem Fremdwort liegen, ein Vorzug ist, so
läßt sich leicht beweisen, daß dies geradezu ihr Nachteil ist. Die Mannigfaltigkeit
des Begriffs führt zu Verschwommenheiten im Ausdruck und zu Unklarheiten
im Verständnis. Was bedeutet nicht alles Effekten? Bald sind es die Gepäck¬
stücke des Reisenden, bald die Papiere des Grundstückhändlers, bald die
Kleidungsstücke des Offiziers. Das Wort Idee hat im Deutschen vierzig
Bedeutungen, System sogar dreiundsechzig, und diese Beispiele lassen sich
leicht vermehren, wenn man den Blick in ein Verdeutschungswörterbuch wirft.
Es ist leicht zu erkennen, daß das deutsche Wort sich durch größere Genauigkeit
und schärfere Begriffsunterscheidung von dem Fremdwort unterscheidet, so daß
es die Sache klarer ausdrückt und leichter verständlich wird. Es entspricht der


Sprachrcinigung

hat. Unter ihrem Einfluß will die alte Anschauung, daß der deutsche Ersatz
für ein fremdes Wort erkünstelt und gezwungen erscheint, nicht recht aussterben.
Je weitere Kreise an der Bildung unserer Zeit teilnehnien. desto mehr geht die
sprachbildende Kraft unseres Volkes zurück, weil das geschriebene Wort als
etwas Unantastbares gilt und die darüber wachende Aufsicht der Gelehrten eine
ehrfürchtige Achtung genießt. Die Gefahr, daß unsere Sprache gründlich ver-
welscht wird, ist in unserem Zeitalter der zunehmenden Volksbildung wieder
gestiegen. Diese Gefahr, in falscher Scheu das Fremdländische höher zu schätzen
als das Einheimische, wächst in demselben Maße, als Deutschland in seiner
Weltmachtstellung zunimmt und der weltbürgerliche Sinn mit dem völkischen
in Wettbewerb tritt.

Infolge dieser Schwierigkeit der Eindeutschung fehlt es unserer Sprache
an Aufnahmefähigkeit für die Fremdwörter. Trotzdem nimmt man sie in
Schutz, indem man behauptet, daß sie in vielen Fällen brauchbarer sind als
deutsche. Man sagt nämlich, daß wir durch die Fremdwörter in den Stand
gesetzt sind, uns reicher und mannigfaltiger und vielfach auch einfacher und
kürzer, ja auch deutlicher ausdrücken können, als es ohne Fremdwort möglich
wäre. Diese Ansicht wird besonders von Gelehrten, Kaufleuten und Beamten
vertreten, die sich der stillen Hoffnung hingeben, daß diese Fremdwörter doch
wohl einmal eingedeutscht werden. Kein Verständiger wird leugnen, daß der
Gelehrte fremdländische Fachausdrücke nicht entbehren kann, weil sie als wissen¬
schaftliche Begriffe ihre ganz besondere, nur ihnen zukommende Bedeutung haben;
niemand wird auch etwas gegen die Ausdrücke Elektrizität, Theater, Investitur-
streit, Restitutionsedikt haben, weil sie durch die Geschichte geheiligte Begriffe
geworden sind und deswegen in unserer Sprache Daseinsberechtigung erhalten
haben; es ist auch zweifellos richtig, daß es dem Kaufmann oft genug schwer
wird, unter den Tausenden von Warenbezeichnungen für eine neue Ware eine
Benennung zu finden, die allen Ansprüchen an Brauchbarkeit entspricht. Aber
man darf auch billig fragen, ob nicht dieses Sonderdeutsch der Gelehrten,
Kausieute und Beamten zu weit geht und oft genug Anlaß zu Spott und
Mißverständnis gibt. Wenn dem entgegengehalten wird, daß der Reichtum
und die Mannigfaltigkeit, die in einem Fremdwort liegen, ein Vorzug ist, so
läßt sich leicht beweisen, daß dies geradezu ihr Nachteil ist. Die Mannigfaltigkeit
des Begriffs führt zu Verschwommenheiten im Ausdruck und zu Unklarheiten
im Verständnis. Was bedeutet nicht alles Effekten? Bald sind es die Gepäck¬
stücke des Reisenden, bald die Papiere des Grundstückhändlers, bald die
Kleidungsstücke des Offiziers. Das Wort Idee hat im Deutschen vierzig
Bedeutungen, System sogar dreiundsechzig, und diese Beispiele lassen sich
leicht vermehren, wenn man den Blick in ein Verdeutschungswörterbuch wirft.
Es ist leicht zu erkennen, daß das deutsche Wort sich durch größere Genauigkeit
und schärfere Begriffsunterscheidung von dem Fremdwort unterscheidet, so daß
es die Sache klarer ausdrückt und leichter verständlich wird. Es entspricht der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0194" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329422"/>
          <fw type="header" place="top"> Sprachrcinigung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_629" prev="#ID_628"> hat. Unter ihrem Einfluß will die alte Anschauung, daß der deutsche Ersatz<lb/>
für ein fremdes Wort erkünstelt und gezwungen erscheint, nicht recht aussterben.<lb/>
Je weitere Kreise an der Bildung unserer Zeit teilnehnien. desto mehr geht die<lb/>
sprachbildende Kraft unseres Volkes zurück, weil das geschriebene Wort als<lb/>
etwas Unantastbares gilt und die darüber wachende Aufsicht der Gelehrten eine<lb/>
ehrfürchtige Achtung genießt. Die Gefahr, daß unsere Sprache gründlich ver-<lb/>
welscht wird, ist in unserem Zeitalter der zunehmenden Volksbildung wieder<lb/>
gestiegen. Diese Gefahr, in falscher Scheu das Fremdländische höher zu schätzen<lb/>
als das Einheimische, wächst in demselben Maße, als Deutschland in seiner<lb/>
Weltmachtstellung zunimmt und der weltbürgerliche Sinn mit dem völkischen<lb/>
in Wettbewerb tritt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_630" next="#ID_631"> Infolge dieser Schwierigkeit der Eindeutschung fehlt es unserer Sprache<lb/>
an Aufnahmefähigkeit für die Fremdwörter. Trotzdem nimmt man sie in<lb/>
Schutz, indem man behauptet, daß sie in vielen Fällen brauchbarer sind als<lb/>
deutsche. Man sagt nämlich, daß wir durch die Fremdwörter in den Stand<lb/>
gesetzt sind, uns reicher und mannigfaltiger und vielfach auch einfacher und<lb/>
kürzer, ja auch deutlicher ausdrücken können, als es ohne Fremdwort möglich<lb/>
wäre. Diese Ansicht wird besonders von Gelehrten, Kaufleuten und Beamten<lb/>
vertreten, die sich der stillen Hoffnung hingeben, daß diese Fremdwörter doch<lb/>
wohl einmal eingedeutscht werden. Kein Verständiger wird leugnen, daß der<lb/>
Gelehrte fremdländische Fachausdrücke nicht entbehren kann, weil sie als wissen¬<lb/>
schaftliche Begriffe ihre ganz besondere, nur ihnen zukommende Bedeutung haben;<lb/>
niemand wird auch etwas gegen die Ausdrücke Elektrizität, Theater, Investitur-<lb/>
streit, Restitutionsedikt haben, weil sie durch die Geschichte geheiligte Begriffe<lb/>
geworden sind und deswegen in unserer Sprache Daseinsberechtigung erhalten<lb/>
haben; es ist auch zweifellos richtig, daß es dem Kaufmann oft genug schwer<lb/>
wird, unter den Tausenden von Warenbezeichnungen für eine neue Ware eine<lb/>
Benennung zu finden, die allen Ansprüchen an Brauchbarkeit entspricht. Aber<lb/>
man darf auch billig fragen, ob nicht dieses Sonderdeutsch der Gelehrten,<lb/>
Kausieute und Beamten zu weit geht und oft genug Anlaß zu Spott und<lb/>
Mißverständnis gibt. Wenn dem entgegengehalten wird, daß der Reichtum<lb/>
und die Mannigfaltigkeit, die in einem Fremdwort liegen, ein Vorzug ist, so<lb/>
läßt sich leicht beweisen, daß dies geradezu ihr Nachteil ist. Die Mannigfaltigkeit<lb/>
des Begriffs führt zu Verschwommenheiten im Ausdruck und zu Unklarheiten<lb/>
im Verständnis. Was bedeutet nicht alles Effekten? Bald sind es die Gepäck¬<lb/>
stücke des Reisenden, bald die Papiere des Grundstückhändlers, bald die<lb/>
Kleidungsstücke des Offiziers. Das Wort Idee hat im Deutschen vierzig<lb/>
Bedeutungen, System sogar dreiundsechzig, und diese Beispiele lassen sich<lb/>
leicht vermehren, wenn man den Blick in ein Verdeutschungswörterbuch wirft.<lb/>
Es ist leicht zu erkennen, daß das deutsche Wort sich durch größere Genauigkeit<lb/>
und schärfere Begriffsunterscheidung von dem Fremdwort unterscheidet, so daß<lb/>
es die Sache klarer ausdrückt und leichter verständlich wird.  Es entspricht der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0194] Sprachrcinigung hat. Unter ihrem Einfluß will die alte Anschauung, daß der deutsche Ersatz für ein fremdes Wort erkünstelt und gezwungen erscheint, nicht recht aussterben. Je weitere Kreise an der Bildung unserer Zeit teilnehnien. desto mehr geht die sprachbildende Kraft unseres Volkes zurück, weil das geschriebene Wort als etwas Unantastbares gilt und die darüber wachende Aufsicht der Gelehrten eine ehrfürchtige Achtung genießt. Die Gefahr, daß unsere Sprache gründlich ver- welscht wird, ist in unserem Zeitalter der zunehmenden Volksbildung wieder gestiegen. Diese Gefahr, in falscher Scheu das Fremdländische höher zu schätzen als das Einheimische, wächst in demselben Maße, als Deutschland in seiner Weltmachtstellung zunimmt und der weltbürgerliche Sinn mit dem völkischen in Wettbewerb tritt. Infolge dieser Schwierigkeit der Eindeutschung fehlt es unserer Sprache an Aufnahmefähigkeit für die Fremdwörter. Trotzdem nimmt man sie in Schutz, indem man behauptet, daß sie in vielen Fällen brauchbarer sind als deutsche. Man sagt nämlich, daß wir durch die Fremdwörter in den Stand gesetzt sind, uns reicher und mannigfaltiger und vielfach auch einfacher und kürzer, ja auch deutlicher ausdrücken können, als es ohne Fremdwort möglich wäre. Diese Ansicht wird besonders von Gelehrten, Kaufleuten und Beamten vertreten, die sich der stillen Hoffnung hingeben, daß diese Fremdwörter doch wohl einmal eingedeutscht werden. Kein Verständiger wird leugnen, daß der Gelehrte fremdländische Fachausdrücke nicht entbehren kann, weil sie als wissen¬ schaftliche Begriffe ihre ganz besondere, nur ihnen zukommende Bedeutung haben; niemand wird auch etwas gegen die Ausdrücke Elektrizität, Theater, Investitur- streit, Restitutionsedikt haben, weil sie durch die Geschichte geheiligte Begriffe geworden sind und deswegen in unserer Sprache Daseinsberechtigung erhalten haben; es ist auch zweifellos richtig, daß es dem Kaufmann oft genug schwer wird, unter den Tausenden von Warenbezeichnungen für eine neue Ware eine Benennung zu finden, die allen Ansprüchen an Brauchbarkeit entspricht. Aber man darf auch billig fragen, ob nicht dieses Sonderdeutsch der Gelehrten, Kausieute und Beamten zu weit geht und oft genug Anlaß zu Spott und Mißverständnis gibt. Wenn dem entgegengehalten wird, daß der Reichtum und die Mannigfaltigkeit, die in einem Fremdwort liegen, ein Vorzug ist, so läßt sich leicht beweisen, daß dies geradezu ihr Nachteil ist. Die Mannigfaltigkeit des Begriffs führt zu Verschwommenheiten im Ausdruck und zu Unklarheiten im Verständnis. Was bedeutet nicht alles Effekten? Bald sind es die Gepäck¬ stücke des Reisenden, bald die Papiere des Grundstückhändlers, bald die Kleidungsstücke des Offiziers. Das Wort Idee hat im Deutschen vierzig Bedeutungen, System sogar dreiundsechzig, und diese Beispiele lassen sich leicht vermehren, wenn man den Blick in ein Verdeutschungswörterbuch wirft. Es ist leicht zu erkennen, daß das deutsche Wort sich durch größere Genauigkeit und schärfere Begriffsunterscheidung von dem Fremdwort unterscheidet, so daß es die Sache klarer ausdrückt und leichter verständlich wird. Es entspricht der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/194
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/194>, abgerufen am 02.07.2024.