Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sprachreinigung

laben von lavare oder andere Entlehnungen dieser Art aus einer neuzeitlichen
Sprache vorkommen, ist dadurch unmöglich gemacht, daß die gelehrte Bildung
eine Änderung des fremden Lautbestandes verbietet. Die Herrschaft der ge¬
lehrten Überlieferung hat in Deutschland eine solche achtungsvolle Scheu vor
den fremden Sprachen verbreitet, daß jeder, der ein ausländisches Wort nicht
richtig spricht und schreibt, für ungebildet gilt. Man lächelt über den, der
Sedan, Longwn, Maubeuge nicht mit französischer Aussprache und Intervention,
Operation, Offensive und Defensive nicht mit ausländischer Betonung wieder¬
gibt. Alles, was das Fremdwort an sich hat, Schreibweise. Endung, Betonung
und Aussprache, ist uns heilig, und die Unbekümmertheit, wie sie eine frühere
Zeit bei der Entlehnung der Fremdwörter zeigte, gilt bei uns für ein Ver¬
brechen. Über die Mauer, die gelehrte Bildung um unsere Sprache gezogen
hat, sind daher nur wenige Fremdwörter, wie Bluse, Kasse, Scheck, Zepter, zu
uns gestiegen; tausend andere, die allen möglichen Sprachen und Gesellschafts¬
schichten entstammen, müssen draußen stehen bleiben, warten, ob sie Einlaß
erhalten oder wieder abwandern. Denn sie erfüllen die Aufnahmebedingung
nicht. Daher können sie auch für die Bereicherung unserer Sprache nichts leisten.

In diesem Zusammenhange ergibt sich auch, daß der Hinweis auf die
Kraft zur Eindeutschung unserer Sprache, worauf die Freunde der Fremd¬
wörter gern hinweisen, kein Grund zur Rechtfertigung des Fremdwortgebrauchs
sein kann. Diese Berufung steht auf schwankenden Füßen, weil die eindeutschende
Kraft sehr verschieden stark gewesen ist. wie ein Blick auf die Geschichte unserer
Sprache zeigt. Groß war sie in der Zeit der alt- und mittelhochdeutschen Be¬
rührung mit dem römischen und christlichen Einfluß. Bei Hunderten von Ent¬
lehnungen blieb nur ein geringer Bruchteil auf der Stufe der Fremdwörter
stehen, alle anderen nahmen deutsches Gepräge an. Im zwölften Jahrhundert,
der Blütezeit des Rittertums, das für die Sprache seiner Dichtung und seines
Umgangs reiche Zufuhr aus Frankreich bezog, war die Scheu vor dem Laut-
bild und der Schriftform des Fremdwortes so groß, daß die Mehrzahl von
ihnen das ausländische Gepräge behielt. Das sechzehnte Jahrhundert, das
Zeitalter des Humanismus und der Renaissance, in dem die fremdländische
Bildung in Deutschland einstürmte, brachte eine so tiefe Erniedrigung des
deutschen Sprachgefühls mit sich, daß unsere Sprache zum Ausdrucksmittel der
Dienstboten herabsank. Etwa siebzig von hundert Entlehnungen blieben Fremd¬
wörter, und nur der kleine Rest wurde eingedeutscht. Noch tiefer sank das
Volksbewußtsein im dreißigjährigen Kriege, dem Zeitalter der Sprachverwilderung,
in dem drei Viertel aller gebrauchten Fremdwörter der Eindeutschung wider¬
stand. Im achtzehnten Jahrhundert, dem Aufblühen der deutschen Dichtung,
ging diese traurige Erscheinung etwas zurück, und sie wich erst im vorigen
Jahrhundert, das die Einigung der deutschen Stämme brachte, mehr und mehr
dem erstarkenden Sprachbewußtsein. Aber der Eindeutschungskraft ist dadurch
ein neues Hindernis erwachsen, daß die allgemeine Volksbildung zugenommen


Sprachreinigung

laben von lavare oder andere Entlehnungen dieser Art aus einer neuzeitlichen
Sprache vorkommen, ist dadurch unmöglich gemacht, daß die gelehrte Bildung
eine Änderung des fremden Lautbestandes verbietet. Die Herrschaft der ge¬
lehrten Überlieferung hat in Deutschland eine solche achtungsvolle Scheu vor
den fremden Sprachen verbreitet, daß jeder, der ein ausländisches Wort nicht
richtig spricht und schreibt, für ungebildet gilt. Man lächelt über den, der
Sedan, Longwn, Maubeuge nicht mit französischer Aussprache und Intervention,
Operation, Offensive und Defensive nicht mit ausländischer Betonung wieder¬
gibt. Alles, was das Fremdwort an sich hat, Schreibweise. Endung, Betonung
und Aussprache, ist uns heilig, und die Unbekümmertheit, wie sie eine frühere
Zeit bei der Entlehnung der Fremdwörter zeigte, gilt bei uns für ein Ver¬
brechen. Über die Mauer, die gelehrte Bildung um unsere Sprache gezogen
hat, sind daher nur wenige Fremdwörter, wie Bluse, Kasse, Scheck, Zepter, zu
uns gestiegen; tausend andere, die allen möglichen Sprachen und Gesellschafts¬
schichten entstammen, müssen draußen stehen bleiben, warten, ob sie Einlaß
erhalten oder wieder abwandern. Denn sie erfüllen die Aufnahmebedingung
nicht. Daher können sie auch für die Bereicherung unserer Sprache nichts leisten.

In diesem Zusammenhange ergibt sich auch, daß der Hinweis auf die
Kraft zur Eindeutschung unserer Sprache, worauf die Freunde der Fremd¬
wörter gern hinweisen, kein Grund zur Rechtfertigung des Fremdwortgebrauchs
sein kann. Diese Berufung steht auf schwankenden Füßen, weil die eindeutschende
Kraft sehr verschieden stark gewesen ist. wie ein Blick auf die Geschichte unserer
Sprache zeigt. Groß war sie in der Zeit der alt- und mittelhochdeutschen Be¬
rührung mit dem römischen und christlichen Einfluß. Bei Hunderten von Ent¬
lehnungen blieb nur ein geringer Bruchteil auf der Stufe der Fremdwörter
stehen, alle anderen nahmen deutsches Gepräge an. Im zwölften Jahrhundert,
der Blütezeit des Rittertums, das für die Sprache seiner Dichtung und seines
Umgangs reiche Zufuhr aus Frankreich bezog, war die Scheu vor dem Laut-
bild und der Schriftform des Fremdwortes so groß, daß die Mehrzahl von
ihnen das ausländische Gepräge behielt. Das sechzehnte Jahrhundert, das
Zeitalter des Humanismus und der Renaissance, in dem die fremdländische
Bildung in Deutschland einstürmte, brachte eine so tiefe Erniedrigung des
deutschen Sprachgefühls mit sich, daß unsere Sprache zum Ausdrucksmittel der
Dienstboten herabsank. Etwa siebzig von hundert Entlehnungen blieben Fremd¬
wörter, und nur der kleine Rest wurde eingedeutscht. Noch tiefer sank das
Volksbewußtsein im dreißigjährigen Kriege, dem Zeitalter der Sprachverwilderung,
in dem drei Viertel aller gebrauchten Fremdwörter der Eindeutschung wider¬
stand. Im achtzehnten Jahrhundert, dem Aufblühen der deutschen Dichtung,
ging diese traurige Erscheinung etwas zurück, und sie wich erst im vorigen
Jahrhundert, das die Einigung der deutschen Stämme brachte, mehr und mehr
dem erstarkenden Sprachbewußtsein. Aber der Eindeutschungskraft ist dadurch
ein neues Hindernis erwachsen, daß die allgemeine Volksbildung zugenommen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0193" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329421"/>
          <fw type="header" place="top"> Sprachreinigung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_627" prev="#ID_626"> laben von lavare oder andere Entlehnungen dieser Art aus einer neuzeitlichen<lb/>
Sprache vorkommen, ist dadurch unmöglich gemacht, daß die gelehrte Bildung<lb/>
eine Änderung des fremden Lautbestandes verbietet. Die Herrschaft der ge¬<lb/>
lehrten Überlieferung hat in Deutschland eine solche achtungsvolle Scheu vor<lb/>
den fremden Sprachen verbreitet, daß jeder, der ein ausländisches Wort nicht<lb/>
richtig spricht und schreibt, für ungebildet gilt. Man lächelt über den, der<lb/>
Sedan, Longwn, Maubeuge nicht mit französischer Aussprache und Intervention,<lb/>
Operation, Offensive und Defensive nicht mit ausländischer Betonung wieder¬<lb/>
gibt. Alles, was das Fremdwort an sich hat, Schreibweise. Endung, Betonung<lb/>
und Aussprache, ist uns heilig, und die Unbekümmertheit, wie sie eine frühere<lb/>
Zeit bei der Entlehnung der Fremdwörter zeigte, gilt bei uns für ein Ver¬<lb/>
brechen. Über die Mauer, die gelehrte Bildung um unsere Sprache gezogen<lb/>
hat, sind daher nur wenige Fremdwörter, wie Bluse, Kasse, Scheck, Zepter, zu<lb/>
uns gestiegen; tausend andere, die allen möglichen Sprachen und Gesellschafts¬<lb/>
schichten entstammen, müssen draußen stehen bleiben, warten, ob sie Einlaß<lb/>
erhalten oder wieder abwandern. Denn sie erfüllen die Aufnahmebedingung<lb/>
nicht. Daher können sie auch für die Bereicherung unserer Sprache nichts leisten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_628" next="#ID_629"> In diesem Zusammenhange ergibt sich auch, daß der Hinweis auf die<lb/>
Kraft zur Eindeutschung unserer Sprache, worauf die Freunde der Fremd¬<lb/>
wörter gern hinweisen, kein Grund zur Rechtfertigung des Fremdwortgebrauchs<lb/>
sein kann. Diese Berufung steht auf schwankenden Füßen, weil die eindeutschende<lb/>
Kraft sehr verschieden stark gewesen ist. wie ein Blick auf die Geschichte unserer<lb/>
Sprache zeigt. Groß war sie in der Zeit der alt- und mittelhochdeutschen Be¬<lb/>
rührung mit dem römischen und christlichen Einfluß. Bei Hunderten von Ent¬<lb/>
lehnungen blieb nur ein geringer Bruchteil auf der Stufe der Fremdwörter<lb/>
stehen, alle anderen nahmen deutsches Gepräge an. Im zwölften Jahrhundert,<lb/>
der Blütezeit des Rittertums, das für die Sprache seiner Dichtung und seines<lb/>
Umgangs reiche Zufuhr aus Frankreich bezog, war die Scheu vor dem Laut-<lb/>
bild und der Schriftform des Fremdwortes so groß, daß die Mehrzahl von<lb/>
ihnen das ausländische Gepräge behielt. Das sechzehnte Jahrhundert, das<lb/>
Zeitalter des Humanismus und der Renaissance, in dem die fremdländische<lb/>
Bildung in Deutschland einstürmte, brachte eine so tiefe Erniedrigung des<lb/>
deutschen Sprachgefühls mit sich, daß unsere Sprache zum Ausdrucksmittel der<lb/>
Dienstboten herabsank. Etwa siebzig von hundert Entlehnungen blieben Fremd¬<lb/>
wörter, und nur der kleine Rest wurde eingedeutscht. Noch tiefer sank das<lb/>
Volksbewußtsein im dreißigjährigen Kriege, dem Zeitalter der Sprachverwilderung,<lb/>
in dem drei Viertel aller gebrauchten Fremdwörter der Eindeutschung wider¬<lb/>
stand. Im achtzehnten Jahrhundert, dem Aufblühen der deutschen Dichtung,<lb/>
ging diese traurige Erscheinung etwas zurück, und sie wich erst im vorigen<lb/>
Jahrhundert, das die Einigung der deutschen Stämme brachte, mehr und mehr<lb/>
dem erstarkenden Sprachbewußtsein. Aber der Eindeutschungskraft ist dadurch<lb/>
ein neues Hindernis erwachsen, daß die allgemeine Volksbildung zugenommen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0193] Sprachreinigung laben von lavare oder andere Entlehnungen dieser Art aus einer neuzeitlichen Sprache vorkommen, ist dadurch unmöglich gemacht, daß die gelehrte Bildung eine Änderung des fremden Lautbestandes verbietet. Die Herrschaft der ge¬ lehrten Überlieferung hat in Deutschland eine solche achtungsvolle Scheu vor den fremden Sprachen verbreitet, daß jeder, der ein ausländisches Wort nicht richtig spricht und schreibt, für ungebildet gilt. Man lächelt über den, der Sedan, Longwn, Maubeuge nicht mit französischer Aussprache und Intervention, Operation, Offensive und Defensive nicht mit ausländischer Betonung wieder¬ gibt. Alles, was das Fremdwort an sich hat, Schreibweise. Endung, Betonung und Aussprache, ist uns heilig, und die Unbekümmertheit, wie sie eine frühere Zeit bei der Entlehnung der Fremdwörter zeigte, gilt bei uns für ein Ver¬ brechen. Über die Mauer, die gelehrte Bildung um unsere Sprache gezogen hat, sind daher nur wenige Fremdwörter, wie Bluse, Kasse, Scheck, Zepter, zu uns gestiegen; tausend andere, die allen möglichen Sprachen und Gesellschafts¬ schichten entstammen, müssen draußen stehen bleiben, warten, ob sie Einlaß erhalten oder wieder abwandern. Denn sie erfüllen die Aufnahmebedingung nicht. Daher können sie auch für die Bereicherung unserer Sprache nichts leisten. In diesem Zusammenhange ergibt sich auch, daß der Hinweis auf die Kraft zur Eindeutschung unserer Sprache, worauf die Freunde der Fremd¬ wörter gern hinweisen, kein Grund zur Rechtfertigung des Fremdwortgebrauchs sein kann. Diese Berufung steht auf schwankenden Füßen, weil die eindeutschende Kraft sehr verschieden stark gewesen ist. wie ein Blick auf die Geschichte unserer Sprache zeigt. Groß war sie in der Zeit der alt- und mittelhochdeutschen Be¬ rührung mit dem römischen und christlichen Einfluß. Bei Hunderten von Ent¬ lehnungen blieb nur ein geringer Bruchteil auf der Stufe der Fremdwörter stehen, alle anderen nahmen deutsches Gepräge an. Im zwölften Jahrhundert, der Blütezeit des Rittertums, das für die Sprache seiner Dichtung und seines Umgangs reiche Zufuhr aus Frankreich bezog, war die Scheu vor dem Laut- bild und der Schriftform des Fremdwortes so groß, daß die Mehrzahl von ihnen das ausländische Gepräge behielt. Das sechzehnte Jahrhundert, das Zeitalter des Humanismus und der Renaissance, in dem die fremdländische Bildung in Deutschland einstürmte, brachte eine so tiefe Erniedrigung des deutschen Sprachgefühls mit sich, daß unsere Sprache zum Ausdrucksmittel der Dienstboten herabsank. Etwa siebzig von hundert Entlehnungen blieben Fremd¬ wörter, und nur der kleine Rest wurde eingedeutscht. Noch tiefer sank das Volksbewußtsein im dreißigjährigen Kriege, dem Zeitalter der Sprachverwilderung, in dem drei Viertel aller gebrauchten Fremdwörter der Eindeutschung wider¬ stand. Im achtzehnten Jahrhundert, dem Aufblühen der deutschen Dichtung, ging diese traurige Erscheinung etwas zurück, und sie wich erst im vorigen Jahrhundert, das die Einigung der deutschen Stämme brachte, mehr und mehr dem erstarkenden Sprachbewußtsein. Aber der Eindeutschungskraft ist dadurch ein neues Hindernis erwachsen, daß die allgemeine Volksbildung zugenommen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/193
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/193>, abgerufen am 02.07.2024.