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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Das Problem der Ukraina

Am Export Rußlands sind die Häfen der Ukraina zwar rund mit einem Drittel
beteiligt, -- am Import aber nur mit einem Neuntel! Das astatische Hinterland
zieht auch viele Erzeugnisse der Ukraina, vor allem Zucker. Tabak, Wein, Textil-
waren an sich; Rußland und Asien nimmt die gesamte Kohlen- und Eisenproduktion
der Ukraina für sich in Anspruch. Die Bergbauprodukte gehen nach Brjansk,
Tula, Moskau, Tambow. während es unter den Toren Kijews noch Dörfer
gibt, die Schornsteine aus Holz haben und wo die Bauernwagen nicht ein einziges
Eisenteilchen, keinen eisernen Radreifen, keinen eisernen Splint aufweisen! Über See
wird eigentlich nur das Getreide ausgeführt. Warum?

Man erinnere sich, daß das große Gebiet, von dem wir sprechen, gegen¬
wärtig in nordsüdlicher Richtung nur von sechs, überdies vorwiegend eingleisigen
Eisenbahnlinien mit denkbar schlechter Zugverbindung durchzogen ist und daß
neue Projekte stets auf die größten Schwierigkeiten bei der Regierung stießen.
Die natürlichen Verbindungswege, die auf das Meer und nach Süden weisen,
sind nicht ausgebaut, die Stromschnellen des Dujepr nicht überwunden, die
Häfen mit Einschluß von Odessa und Nikolajew in schlechtem Zustande. Die
Rückständigkeit der Ukraina in verkehrstechnischer Beziehung ist eine absichtliche,
die Wege ihres Handels sind unnatürlich, wie die Tatsache der Unkultur des
Gros der Bevölkerung.

Die offensichtlich gewollte Vernachlässigung der Ukraina zugunsten Mosko-
wiens darf man um so mehr auf die zentralistische Tendenz des moskowitisch-
russischen Staatsgedankens zurückführen, wenn man weiß, was alles geschehen
ist, um das Moskaner Becken im Handel und Industrie auszugestalten, wie
auch die Kultivierung Turkestans in erster Linie auf das Moskaner Bedürfnis
zugeschnitten ist; wenn man schließlich ins Auge faßt, was aus der Ukraina
hätte werden können, wenn man sich der Wirtschaftsenergien der deutschen
Kolonisten sowie jüdischen und griechischen Industriellen bedient hätte, die die
Ukraina hervorgebracht hat.

Noch deutlicher tritt die Absicht der russischen Regierung, die Ukraina dem
Moskowitertum zu unterjochen, in der Behandlung der Bevölkerung selbst und
in der Unterdrückung ihrer kulturellen Bedürfnisse zutage.

Der Moskowiterstaat in seiner Petrograder Verzerrung mutet an wie ein
Wucherer, der selbst keine neuen Werte hervorbringt und mit fremdem Gelde
alle jene ausbeutet, die in seinen Wirkungsbereich kommen. Französisches
und belgisches Gold (früher waren es Hofämter und hohe Stellen in der
Armee) macht es den Herren in Petersburg möglich, die Grenzländer (dazu
gehört in diesem Zusammenhange ebensowohl die Ukraina. wie Polen und das
Baltikum) an sich zu fesseln, wie die Fäden der Kreuzspinne deren Opfer fest¬
halten. Französische und belgische Aufsichtsrate, die in Lüttich, Brüssel und
Paris ein angenehmes Leben führen, teilen sich mit dem petrograder Fiskus in
die Gewinne, die die Gruben und Hütten. Zuckerraffinerien. Eisenbahnen und
Elevatoren abwerfen. An die Hebung des ukrainischen Volks zu denken ist


Das Problem der Ukraina

Am Export Rußlands sind die Häfen der Ukraina zwar rund mit einem Drittel
beteiligt, — am Import aber nur mit einem Neuntel! Das astatische Hinterland
zieht auch viele Erzeugnisse der Ukraina, vor allem Zucker. Tabak, Wein, Textil-
waren an sich; Rußland und Asien nimmt die gesamte Kohlen- und Eisenproduktion
der Ukraina für sich in Anspruch. Die Bergbauprodukte gehen nach Brjansk,
Tula, Moskau, Tambow. während es unter den Toren Kijews noch Dörfer
gibt, die Schornsteine aus Holz haben und wo die Bauernwagen nicht ein einziges
Eisenteilchen, keinen eisernen Radreifen, keinen eisernen Splint aufweisen! Über See
wird eigentlich nur das Getreide ausgeführt. Warum?

Man erinnere sich, daß das große Gebiet, von dem wir sprechen, gegen¬
wärtig in nordsüdlicher Richtung nur von sechs, überdies vorwiegend eingleisigen
Eisenbahnlinien mit denkbar schlechter Zugverbindung durchzogen ist und daß
neue Projekte stets auf die größten Schwierigkeiten bei der Regierung stießen.
Die natürlichen Verbindungswege, die auf das Meer und nach Süden weisen,
sind nicht ausgebaut, die Stromschnellen des Dujepr nicht überwunden, die
Häfen mit Einschluß von Odessa und Nikolajew in schlechtem Zustande. Die
Rückständigkeit der Ukraina in verkehrstechnischer Beziehung ist eine absichtliche,
die Wege ihres Handels sind unnatürlich, wie die Tatsache der Unkultur des
Gros der Bevölkerung.

Die offensichtlich gewollte Vernachlässigung der Ukraina zugunsten Mosko-
wiens darf man um so mehr auf die zentralistische Tendenz des moskowitisch-
russischen Staatsgedankens zurückführen, wenn man weiß, was alles geschehen
ist, um das Moskaner Becken im Handel und Industrie auszugestalten, wie
auch die Kultivierung Turkestans in erster Linie auf das Moskaner Bedürfnis
zugeschnitten ist; wenn man schließlich ins Auge faßt, was aus der Ukraina
hätte werden können, wenn man sich der Wirtschaftsenergien der deutschen
Kolonisten sowie jüdischen und griechischen Industriellen bedient hätte, die die
Ukraina hervorgebracht hat.

Noch deutlicher tritt die Absicht der russischen Regierung, die Ukraina dem
Moskowitertum zu unterjochen, in der Behandlung der Bevölkerung selbst und
in der Unterdrückung ihrer kulturellen Bedürfnisse zutage.

Der Moskowiterstaat in seiner Petrograder Verzerrung mutet an wie ein
Wucherer, der selbst keine neuen Werte hervorbringt und mit fremdem Gelde
alle jene ausbeutet, die in seinen Wirkungsbereich kommen. Französisches
und belgisches Gold (früher waren es Hofämter und hohe Stellen in der
Armee) macht es den Herren in Petersburg möglich, die Grenzländer (dazu
gehört in diesem Zusammenhange ebensowohl die Ukraina. wie Polen und das
Baltikum) an sich zu fesseln, wie die Fäden der Kreuzspinne deren Opfer fest¬
halten. Französische und belgische Aufsichtsrate, die in Lüttich, Brüssel und
Paris ein angenehmes Leben führen, teilen sich mit dem petrograder Fiskus in
die Gewinne, die die Gruben und Hütten. Zuckerraffinerien. Eisenbahnen und
Elevatoren abwerfen. An die Hebung des ukrainischen Volks zu denken ist


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[0185] Das Problem der Ukraina Am Export Rußlands sind die Häfen der Ukraina zwar rund mit einem Drittel beteiligt, — am Import aber nur mit einem Neuntel! Das astatische Hinterland zieht auch viele Erzeugnisse der Ukraina, vor allem Zucker. Tabak, Wein, Textil- waren an sich; Rußland und Asien nimmt die gesamte Kohlen- und Eisenproduktion der Ukraina für sich in Anspruch. Die Bergbauprodukte gehen nach Brjansk, Tula, Moskau, Tambow. während es unter den Toren Kijews noch Dörfer gibt, die Schornsteine aus Holz haben und wo die Bauernwagen nicht ein einziges Eisenteilchen, keinen eisernen Radreifen, keinen eisernen Splint aufweisen! Über See wird eigentlich nur das Getreide ausgeführt. Warum? Man erinnere sich, daß das große Gebiet, von dem wir sprechen, gegen¬ wärtig in nordsüdlicher Richtung nur von sechs, überdies vorwiegend eingleisigen Eisenbahnlinien mit denkbar schlechter Zugverbindung durchzogen ist und daß neue Projekte stets auf die größten Schwierigkeiten bei der Regierung stießen. Die natürlichen Verbindungswege, die auf das Meer und nach Süden weisen, sind nicht ausgebaut, die Stromschnellen des Dujepr nicht überwunden, die Häfen mit Einschluß von Odessa und Nikolajew in schlechtem Zustande. Die Rückständigkeit der Ukraina in verkehrstechnischer Beziehung ist eine absichtliche, die Wege ihres Handels sind unnatürlich, wie die Tatsache der Unkultur des Gros der Bevölkerung. Die offensichtlich gewollte Vernachlässigung der Ukraina zugunsten Mosko- wiens darf man um so mehr auf die zentralistische Tendenz des moskowitisch- russischen Staatsgedankens zurückführen, wenn man weiß, was alles geschehen ist, um das Moskaner Becken im Handel und Industrie auszugestalten, wie auch die Kultivierung Turkestans in erster Linie auf das Moskaner Bedürfnis zugeschnitten ist; wenn man schließlich ins Auge faßt, was aus der Ukraina hätte werden können, wenn man sich der Wirtschaftsenergien der deutschen Kolonisten sowie jüdischen und griechischen Industriellen bedient hätte, die die Ukraina hervorgebracht hat. Noch deutlicher tritt die Absicht der russischen Regierung, die Ukraina dem Moskowitertum zu unterjochen, in der Behandlung der Bevölkerung selbst und in der Unterdrückung ihrer kulturellen Bedürfnisse zutage. Der Moskowiterstaat in seiner Petrograder Verzerrung mutet an wie ein Wucherer, der selbst keine neuen Werte hervorbringt und mit fremdem Gelde alle jene ausbeutet, die in seinen Wirkungsbereich kommen. Französisches und belgisches Gold (früher waren es Hofämter und hohe Stellen in der Armee) macht es den Herren in Petersburg möglich, die Grenzländer (dazu gehört in diesem Zusammenhange ebensowohl die Ukraina. wie Polen und das Baltikum) an sich zu fesseln, wie die Fäden der Kreuzspinne deren Opfer fest¬ halten. Französische und belgische Aufsichtsrate, die in Lüttich, Brüssel und Paris ein angenehmes Leben führen, teilen sich mit dem petrograder Fiskus in die Gewinne, die die Gruben und Hütten. Zuckerraffinerien. Eisenbahnen und Elevatoren abwerfen. An die Hebung des ukrainischen Volks zu denken ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/185>, abgerufen am 02.07.2024.