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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Das Problem der Ukraina

politische Seite im Rahmen des großrussischen Wirtschaftsgebietes bekommt die
ukrainische Frage auch eine Bedeutung für die mitteleuropäischen Staaten. Sie
sei darum im folgenden zwar als ein Problem der russischen Politik behandelt,
der aufmerksame Leser wird aber leicht die uns näher angehenden Schlüsse
selbst finden.

Die russische Ukraina umfaßt, wie schon erwähnt, etwa ein Fünftel des
europäischen Rußland. Sie ist Rußlands reichstes Gebiet und umschließt trotz
rückständigster Verkehrsverhältnisse die nächst Moskau und Se. Petersburg leb.
haftesten Handelsbezirke Kijew, Charkow und Odessa.

Die natürlichen Vorbedingungen für eine gute Ausgestaltung der Verkehrs¬
wege sind vorhanden. Denkt man sich die Halbinsel der Krim fort, die nur
durch eine schmale Landenge mit dem Festlande verbunden ist und allein schon
für sich mehr als achthundert Kilometer Küste hat, so hat das ukrainische Fest¬
land eine Meeresküste von mehr als tausend Kilometern, die mit dem Inlande
durch drei Stromsysteme (Dnjestr, Dujepr und Don) und acht Flüsse (Tiligul,
Bug. Ingut. Jngulez, Donez, Manytsch, Jega und Kuban) verbunden ist. Ein
Mangel dieser Küste ist die Steilheit ihrer Ufer und das Fehlen brauchbarer
natürlicher Häfen; vermindert wird ferner der in ihrer Länge liegende weltwirt¬
schaftliche Wert durch den Umstand, daß das Schwarze Meer nur einen schmalen
Ausgang (Bosporus) hat, der überdies nicht direkt in das Weltmeer mündet,
sondern in das Marmarameer und in das Mittelländische Meer führt.

Die Ukraina ist befähigt, viele wichtige Massenartikel der Wirtschaft selbst
zu erzeugen. Sie gehört zu den reichsten Weizenländern des Erdballs; nur
ein verhältnismäßig kleiner Teil von ihr, das Gouvernement Poltawa. kann
als übervölkert gelten. Im übrigen ist die anbaufähige Ackerfläche noch lange
nicht erschöpft. Mitten im Zentrum des Gebietes und an den beiden es durch-
fließenden Hauptströmen liegen Kohlen- und Erzlager mit starken Ansätzen zu
einer Eisen- und Maschinenindustrie. Von den in Rußland im Jahre 1912
überhaupt geförderten 1,9 Milliarden Pud Kohlen entfielen 1,3 Milliarden auf
die Ukraina (Donetzbecken). 0,4 Milliarden auf Polen und nur der bescheidene
Nest von 0,2 Milliarden Pud auf das übrige europäische und asiatische Ru߬
land; von den 500 Millionen Pud der russischen Eisenerzproduktion entfielen
1912 352 auf die Ukraina (327 Kriwojrog, 25 Kertsch), 17.9 Millionen Pud
auf das Weichselgebiet und der Rest von 130 Millionen Pud auf das übrige
europäische und asiatische Rußland. Im Nordosten und Norden, wo der
Dujepr und seine zahlreichen Zuflüsse die Verbindung mir dem Süden herstellen,
bedecken Urwälder weite Flächen und sichern bei verständiger Wirtschaft die
Holzversorgung für alle Zeiten, während die Wälder des Kaukasus das Süd¬
ostgebiet der Ukraina versorgen können. Die Zuckerrübe, Tabak. Hopfen,
wachsen überall, besonders am Nord- und Nordwestrande des Gebiets; Wein
und Mais im Süden. Südosten und Südwesten.


Das Problem der Ukraina

politische Seite im Rahmen des großrussischen Wirtschaftsgebietes bekommt die
ukrainische Frage auch eine Bedeutung für die mitteleuropäischen Staaten. Sie
sei darum im folgenden zwar als ein Problem der russischen Politik behandelt,
der aufmerksame Leser wird aber leicht die uns näher angehenden Schlüsse
selbst finden.

Die russische Ukraina umfaßt, wie schon erwähnt, etwa ein Fünftel des
europäischen Rußland. Sie ist Rußlands reichstes Gebiet und umschließt trotz
rückständigster Verkehrsverhältnisse die nächst Moskau und Se. Petersburg leb.
haftesten Handelsbezirke Kijew, Charkow und Odessa.

Die natürlichen Vorbedingungen für eine gute Ausgestaltung der Verkehrs¬
wege sind vorhanden. Denkt man sich die Halbinsel der Krim fort, die nur
durch eine schmale Landenge mit dem Festlande verbunden ist und allein schon
für sich mehr als achthundert Kilometer Küste hat, so hat das ukrainische Fest¬
land eine Meeresküste von mehr als tausend Kilometern, die mit dem Inlande
durch drei Stromsysteme (Dnjestr, Dujepr und Don) und acht Flüsse (Tiligul,
Bug. Ingut. Jngulez, Donez, Manytsch, Jega und Kuban) verbunden ist. Ein
Mangel dieser Küste ist die Steilheit ihrer Ufer und das Fehlen brauchbarer
natürlicher Häfen; vermindert wird ferner der in ihrer Länge liegende weltwirt¬
schaftliche Wert durch den Umstand, daß das Schwarze Meer nur einen schmalen
Ausgang (Bosporus) hat, der überdies nicht direkt in das Weltmeer mündet,
sondern in das Marmarameer und in das Mittelländische Meer führt.

Die Ukraina ist befähigt, viele wichtige Massenartikel der Wirtschaft selbst
zu erzeugen. Sie gehört zu den reichsten Weizenländern des Erdballs; nur
ein verhältnismäßig kleiner Teil von ihr, das Gouvernement Poltawa. kann
als übervölkert gelten. Im übrigen ist die anbaufähige Ackerfläche noch lange
nicht erschöpft. Mitten im Zentrum des Gebietes und an den beiden es durch-
fließenden Hauptströmen liegen Kohlen- und Erzlager mit starken Ansätzen zu
einer Eisen- und Maschinenindustrie. Von den in Rußland im Jahre 1912
überhaupt geförderten 1,9 Milliarden Pud Kohlen entfielen 1,3 Milliarden auf
die Ukraina (Donetzbecken). 0,4 Milliarden auf Polen und nur der bescheidene
Nest von 0,2 Milliarden Pud auf das übrige europäische und asiatische Ru߬
land; von den 500 Millionen Pud der russischen Eisenerzproduktion entfielen
1912 352 auf die Ukraina (327 Kriwojrog, 25 Kertsch), 17.9 Millionen Pud
auf das Weichselgebiet und der Rest von 130 Millionen Pud auf das übrige
europäische und asiatische Rußland. Im Nordosten und Norden, wo der
Dujepr und seine zahlreichen Zuflüsse die Verbindung mir dem Süden herstellen,
bedecken Urwälder weite Flächen und sichern bei verständiger Wirtschaft die
Holzversorgung für alle Zeiten, während die Wälder des Kaukasus das Süd¬
ostgebiet der Ukraina versorgen können. Die Zuckerrübe, Tabak. Hopfen,
wachsen überall, besonders am Nord- und Nordwestrande des Gebiets; Wein
und Mais im Süden. Südosten und Südwesten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/181>, abgerufen am 02.07.2024.