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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die Russen und wir

längst erkannt und brauchte nun nicht selbst die Fesseln schmieden zu helfen, die
im Feuer dieses Weltbrandes für sie gehärtet werden.

Was die offiziellen Parteien unter den einmal gegebenen Verhältnissen
nicht tun konnten, haben Private zum Ausdruck gebracht durch ihre Teilnahme
an patriotischen Kundgebungen und durch die Art der materiellen Unter¬
stützungen, die sie der Regierung angedeihen lassen. Als am 18. August der
Zar zu Moskau das Volk aufrufen sollte "zur Verteidigung der Heimaterde
und des Slawentums", da war es nur der Vertreter des Adels A. D. Ssamarin,
der die panslawistische Note in seiner Ansprache anschlug und nur das Stadt¬
haupt von Moskau W. D. Brjanski bezeichnete den Krieg als die "Verteidigung
des Slawentums gegen das Deutschtum" der Sprecher der Sjemstwo,
F. W. Schlippe wies auf die Verschiedenheit der Völkerschaften in Rußland
hin, und der Vertreter der russischen Kaufmannschaft S. A. Bulotschkin meint
gar kurz und trocken: "wir bitten die Versicherung entgegennehmen zu wollen,
daß wir alle Kräfte einsetzen werden zur Erleichterung des Schicksals der ver¬
wundeten und kranken Verteidiger des Vaterlandes." Das brausende "Hurrah!"
im Se. Georgssaal des Kreml vermochte nicht den Eindruck zu verwischen,
daß die Herzen Rußlands nicht geeint bei diesem Kriege waren. Deutlicher
noch sprechen die Zahlen der Geldspenden: ein Vergleich mit den Gaben, die
beim Beginn des Krieges gegen Japan vor zehn Jahren zusammenflossen, mit
denen die jetzt gezeichnet werden, ergibt einen merklichen Rückgang. Man traut
also doch der Regierung nicht, und eine nicht zu unterschätzende Zahl russischer
Bürger steht auf dem Standpunkt, die Regierung solle selbst sehen, wie sie
fertig wird.

Bis zum ersten Drittel des September wurde die günstige innere Lage für die
Kriegspartei aus den am Anfang dieser Darlegungen gekennzeichneten Gefühls¬
momenten eher besser als schlechter. Ende August waren in Petersburg Polen der
russophilen Partei eingetroffen, die bis dahin in Deutschland festgehalten und dann
freigelassen worden waren. Sie müssen nach allem, was seitdem von den Warschauer
führenden Polen an unwürdigen Loyalitätsbezeugungen geleistet worden, recht
falsche Eindrücke vom Stande der deutschen Sache am Vorabend von Tannen¬
berg davongetragen und den Russen die Möglichkeit oder gar Wahrscheinlichkeit
eines Sieges über die Deutschen vorgegaukelt haben. Jedenfalls findet man in
der russischen Presse bis zum 12., 13. September noch sehr hohe Töne uns
gegenüber. Von da ab verschwinden sie mehr und mehr und eine gewisse
Nervosität beginnt sich breit zu machen. Die ernste Mahnung des aus Frankreich
heimkehrenden Grafen Witte, den Gegner nicht zu unterschätzen, wirkte ernüchternd.
Noch klammert man sich an die räumlichen Erfolge in Galizien, noch hofft man
in Galizien die Scharte von Ostpreußen wett zu machen, um so mehr, als in
Rußland vom westlichen Kriegsschauplatz verbreitet wird, die deutschen Armeen
rennten sich an den Verschanzungen längs Marne und Oise die Köpfe ein.
Noch kann die Zensur mit rücksichtsloser Strenge gehandhabt werden. Wenn


Die Russen und wir

längst erkannt und brauchte nun nicht selbst die Fesseln schmieden zu helfen, die
im Feuer dieses Weltbrandes für sie gehärtet werden.

Was die offiziellen Parteien unter den einmal gegebenen Verhältnissen
nicht tun konnten, haben Private zum Ausdruck gebracht durch ihre Teilnahme
an patriotischen Kundgebungen und durch die Art der materiellen Unter¬
stützungen, die sie der Regierung angedeihen lassen. Als am 18. August der
Zar zu Moskau das Volk aufrufen sollte „zur Verteidigung der Heimaterde
und des Slawentums", da war es nur der Vertreter des Adels A. D. Ssamarin,
der die panslawistische Note in seiner Ansprache anschlug und nur das Stadt¬
haupt von Moskau W. D. Brjanski bezeichnete den Krieg als die „Verteidigung
des Slawentums gegen das Deutschtum" der Sprecher der Sjemstwo,
F. W. Schlippe wies auf die Verschiedenheit der Völkerschaften in Rußland
hin, und der Vertreter der russischen Kaufmannschaft S. A. Bulotschkin meint
gar kurz und trocken: „wir bitten die Versicherung entgegennehmen zu wollen,
daß wir alle Kräfte einsetzen werden zur Erleichterung des Schicksals der ver¬
wundeten und kranken Verteidiger des Vaterlandes." Das brausende „Hurrah!"
im Se. Georgssaal des Kreml vermochte nicht den Eindruck zu verwischen,
daß die Herzen Rußlands nicht geeint bei diesem Kriege waren. Deutlicher
noch sprechen die Zahlen der Geldspenden: ein Vergleich mit den Gaben, die
beim Beginn des Krieges gegen Japan vor zehn Jahren zusammenflossen, mit
denen die jetzt gezeichnet werden, ergibt einen merklichen Rückgang. Man traut
also doch der Regierung nicht, und eine nicht zu unterschätzende Zahl russischer
Bürger steht auf dem Standpunkt, die Regierung solle selbst sehen, wie sie
fertig wird.

Bis zum ersten Drittel des September wurde die günstige innere Lage für die
Kriegspartei aus den am Anfang dieser Darlegungen gekennzeichneten Gefühls¬
momenten eher besser als schlechter. Ende August waren in Petersburg Polen der
russophilen Partei eingetroffen, die bis dahin in Deutschland festgehalten und dann
freigelassen worden waren. Sie müssen nach allem, was seitdem von den Warschauer
führenden Polen an unwürdigen Loyalitätsbezeugungen geleistet worden, recht
falsche Eindrücke vom Stande der deutschen Sache am Vorabend von Tannen¬
berg davongetragen und den Russen die Möglichkeit oder gar Wahrscheinlichkeit
eines Sieges über die Deutschen vorgegaukelt haben. Jedenfalls findet man in
der russischen Presse bis zum 12., 13. September noch sehr hohe Töne uns
gegenüber. Von da ab verschwinden sie mehr und mehr und eine gewisse
Nervosität beginnt sich breit zu machen. Die ernste Mahnung des aus Frankreich
heimkehrenden Grafen Witte, den Gegner nicht zu unterschätzen, wirkte ernüchternd.
Noch klammert man sich an die räumlichen Erfolge in Galizien, noch hofft man
in Galizien die Scharte von Ostpreußen wett zu machen, um so mehr, als in
Rußland vom westlichen Kriegsschauplatz verbreitet wird, die deutschen Armeen
rennten sich an den Verschanzungen längs Marne und Oise die Köpfe ein.
Noch kann die Zensur mit rücksichtsloser Strenge gehandhabt werden. Wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/17>, abgerufen am 30.06.2024.