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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Ist Rußland unbesiegbar?

mehr eingefressen und eingenistet, daß Rußland nicht beizukommen sei, Rußland
müßte sich selbst überlassen bleiben, damit es im eigenen Sumpfe ersaufe.

Manche Kreise stehen auch heute noch auf dem Standpunkte, als könnten
wir Rußland ernstlich kaum etwas anhaben. Sie folgern daraus, es handle
sich in den jetzigen Kämpfen an unseren Ostgrenzen lediglich darum, die russischen
Heere von deutschem Reichsgebiet abzuhalten; sich mit den Russen herum¬
zuschlagen und dann zu einem für den deutschen Handel und die deutsche In¬
dustrie günstigen Handelsvertrage zu kommen, müsse als einziges praktisches
Ziel ins Auge gefaßt werden. Die Auffassung ist von Kleinmut und Unkenntnis
der tatsächlichen Verhältnisse diktiert. Nur dann wäre das Ziel des Krieges
gegen Rußland ein Handelsvertrag, und möge er noch so günstig sein, wenn
wir auf jede dauernde Sicherung unserer nationalen Kultur verzichten wollten,
wenn wir uns durch die mechanische Wirkung des russischen Sprachgebietes
allmählich in die Rolle der Juden schieben lassen und lediglich Vermittler
zwischen den Völkern werden wollten. Es handelt sich für uns um die auch
handelspolitisch wichtige Frage, ob wir der russischen Sprache gestatten wollen,
ihre westliche Gebrauchsgrenze bis nach Posen hin auszudehnen, oder ob wir
selbst, ohne Gewalt anzuwenden, die deutsche Sprachgrenze mit Hilfe der
Deutschen, Letten, Ehlen, Juden. Litauer und Polen um einige hundert
Kilometer weiter nach Osten verlegen wollen. Die Entscheidung über unsere
kulturelle Zukunft hat das Geschick uns in die Hand gegeben durch den
Zusammenbruch der russisch-preußischen Freundschaft. Fassen wir diese Aufgabe
und die damit verbundene Verantwortung unserer eigenen Generation und Kind
und Kindeskind gegenüber nur fest ins Auge! wir werden finden, daß Ruß"
land nicht unbesiegbar ist, -- wir werden finden, daß auf einer gegen Osten
verbreiterten Kulturbasis auch der deutsche Handel und die deutsche Industrie
noch mehr befähigt werden, den Westmächten, insbesondere Britannien zu wider¬
stehen, wie schon bisher.

Die Legende von der Unbesiegbarkeit Rußlands ist ein Erbe ans den Kämpfen,
die Friedrich der Große gegen das aufstrebende Moskowiterreich führte. "Von allen
Nachbarn Preußens," so hatte der große König im Jahre 1746 geschrieben, "ist das
russische Reich das gefährlichste, sowohl durch seine Macht, wie durch seine
örtliche Lage. Die, welche nach mir unser Land regieren werden, haben
Anlaß, die Freundschaft dieser Barbaren zu pflegen, da sie imstande sind, durch
die ungeheure Zahl ihrer leichten Truppen Preußen von Grund aus zu verwüsten,
während man ihnen den Schaden, den sie anrichten können, nicht vergelten
kann, wegen der Armseligkeit ihrer an Preußen grenzenden Landschaften." In
den Hundertsechsundsechzig Jahren, seit diese Worte niedergeschrieben wurden
-- der Leser findet sie im dritten Bande von Reinhold Kosers wundervoller
Geschichte Friedrichs des Großen (Cotta 1913) -- hat sich manches gestaltet,
was uns die "ungeheure Zahl der leichten Truppen" weniger gefährlich
erscheinen läßt, wie König Friedrich: unser Volksheer, die Waffenrechnik, die


Ist Rußland unbesiegbar?

mehr eingefressen und eingenistet, daß Rußland nicht beizukommen sei, Rußland
müßte sich selbst überlassen bleiben, damit es im eigenen Sumpfe ersaufe.

Manche Kreise stehen auch heute noch auf dem Standpunkte, als könnten
wir Rußland ernstlich kaum etwas anhaben. Sie folgern daraus, es handle
sich in den jetzigen Kämpfen an unseren Ostgrenzen lediglich darum, die russischen
Heere von deutschem Reichsgebiet abzuhalten; sich mit den Russen herum¬
zuschlagen und dann zu einem für den deutschen Handel und die deutsche In¬
dustrie günstigen Handelsvertrage zu kommen, müsse als einziges praktisches
Ziel ins Auge gefaßt werden. Die Auffassung ist von Kleinmut und Unkenntnis
der tatsächlichen Verhältnisse diktiert. Nur dann wäre das Ziel des Krieges
gegen Rußland ein Handelsvertrag, und möge er noch so günstig sein, wenn
wir auf jede dauernde Sicherung unserer nationalen Kultur verzichten wollten,
wenn wir uns durch die mechanische Wirkung des russischen Sprachgebietes
allmählich in die Rolle der Juden schieben lassen und lediglich Vermittler
zwischen den Völkern werden wollten. Es handelt sich für uns um die auch
handelspolitisch wichtige Frage, ob wir der russischen Sprache gestatten wollen,
ihre westliche Gebrauchsgrenze bis nach Posen hin auszudehnen, oder ob wir
selbst, ohne Gewalt anzuwenden, die deutsche Sprachgrenze mit Hilfe der
Deutschen, Letten, Ehlen, Juden. Litauer und Polen um einige hundert
Kilometer weiter nach Osten verlegen wollen. Die Entscheidung über unsere
kulturelle Zukunft hat das Geschick uns in die Hand gegeben durch den
Zusammenbruch der russisch-preußischen Freundschaft. Fassen wir diese Aufgabe
und die damit verbundene Verantwortung unserer eigenen Generation und Kind
und Kindeskind gegenüber nur fest ins Auge! wir werden finden, daß Ruß«
land nicht unbesiegbar ist, — wir werden finden, daß auf einer gegen Osten
verbreiterten Kulturbasis auch der deutsche Handel und die deutsche Industrie
noch mehr befähigt werden, den Westmächten, insbesondere Britannien zu wider¬
stehen, wie schon bisher.

Die Legende von der Unbesiegbarkeit Rußlands ist ein Erbe ans den Kämpfen,
die Friedrich der Große gegen das aufstrebende Moskowiterreich führte. „Von allen
Nachbarn Preußens," so hatte der große König im Jahre 1746 geschrieben, „ist das
russische Reich das gefährlichste, sowohl durch seine Macht, wie durch seine
örtliche Lage. Die, welche nach mir unser Land regieren werden, haben
Anlaß, die Freundschaft dieser Barbaren zu pflegen, da sie imstande sind, durch
die ungeheure Zahl ihrer leichten Truppen Preußen von Grund aus zu verwüsten,
während man ihnen den Schaden, den sie anrichten können, nicht vergelten
kann, wegen der Armseligkeit ihrer an Preußen grenzenden Landschaften." In
den Hundertsechsundsechzig Jahren, seit diese Worte niedergeschrieben wurden
— der Leser findet sie im dritten Bande von Reinhold Kosers wundervoller
Geschichte Friedrichs des Großen (Cotta 1913) — hat sich manches gestaltet,
was uns die „ungeheure Zahl der leichten Truppen" weniger gefährlich
erscheinen läßt, wie König Friedrich: unser Volksheer, die Waffenrechnik, die


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[0167] Ist Rußland unbesiegbar? mehr eingefressen und eingenistet, daß Rußland nicht beizukommen sei, Rußland müßte sich selbst überlassen bleiben, damit es im eigenen Sumpfe ersaufe. Manche Kreise stehen auch heute noch auf dem Standpunkte, als könnten wir Rußland ernstlich kaum etwas anhaben. Sie folgern daraus, es handle sich in den jetzigen Kämpfen an unseren Ostgrenzen lediglich darum, die russischen Heere von deutschem Reichsgebiet abzuhalten; sich mit den Russen herum¬ zuschlagen und dann zu einem für den deutschen Handel und die deutsche In¬ dustrie günstigen Handelsvertrage zu kommen, müsse als einziges praktisches Ziel ins Auge gefaßt werden. Die Auffassung ist von Kleinmut und Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse diktiert. Nur dann wäre das Ziel des Krieges gegen Rußland ein Handelsvertrag, und möge er noch so günstig sein, wenn wir auf jede dauernde Sicherung unserer nationalen Kultur verzichten wollten, wenn wir uns durch die mechanische Wirkung des russischen Sprachgebietes allmählich in die Rolle der Juden schieben lassen und lediglich Vermittler zwischen den Völkern werden wollten. Es handelt sich für uns um die auch handelspolitisch wichtige Frage, ob wir der russischen Sprache gestatten wollen, ihre westliche Gebrauchsgrenze bis nach Posen hin auszudehnen, oder ob wir selbst, ohne Gewalt anzuwenden, die deutsche Sprachgrenze mit Hilfe der Deutschen, Letten, Ehlen, Juden. Litauer und Polen um einige hundert Kilometer weiter nach Osten verlegen wollen. Die Entscheidung über unsere kulturelle Zukunft hat das Geschick uns in die Hand gegeben durch den Zusammenbruch der russisch-preußischen Freundschaft. Fassen wir diese Aufgabe und die damit verbundene Verantwortung unserer eigenen Generation und Kind und Kindeskind gegenüber nur fest ins Auge! wir werden finden, daß Ruß« land nicht unbesiegbar ist, — wir werden finden, daß auf einer gegen Osten verbreiterten Kulturbasis auch der deutsche Handel und die deutsche Industrie noch mehr befähigt werden, den Westmächten, insbesondere Britannien zu wider¬ stehen, wie schon bisher. Die Legende von der Unbesiegbarkeit Rußlands ist ein Erbe ans den Kämpfen, die Friedrich der Große gegen das aufstrebende Moskowiterreich führte. „Von allen Nachbarn Preußens," so hatte der große König im Jahre 1746 geschrieben, „ist das russische Reich das gefährlichste, sowohl durch seine Macht, wie durch seine örtliche Lage. Die, welche nach mir unser Land regieren werden, haben Anlaß, die Freundschaft dieser Barbaren zu pflegen, da sie imstande sind, durch die ungeheure Zahl ihrer leichten Truppen Preußen von Grund aus zu verwüsten, während man ihnen den Schaden, den sie anrichten können, nicht vergelten kann, wegen der Armseligkeit ihrer an Preußen grenzenden Landschaften." In den Hundertsechsundsechzig Jahren, seit diese Worte niedergeschrieben wurden — der Leser findet sie im dritten Bande von Reinhold Kosers wundervoller Geschichte Friedrichs des Großen (Cotta 1913) — hat sich manches gestaltet, was uns die „ungeheure Zahl der leichten Truppen" weniger gefährlich erscheinen läßt, wie König Friedrich: unser Volksheer, die Waffenrechnik, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/167>, abgerufen am 02.07.2024.