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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Ist Rußland unbesiegbar?

Publikationsorgan der Regierung, und erhielt von der russischen Regierung
jährlich eine Beihilfe, die sich zuletzt auf 2000 Rubel belief. -- Zum 1. Januar
1915 läuft der alte Pachtvertrag ab. Kügelgen beantragte seine Verlängerung
auf weitere fünfzehn Jahre. Obwohl nun Kügelgen auf die staatliche Beihilfe
verzichtete, wurde der Pachtvertrag nicht nur nicht erneuert, sondern die Schließung
der Petrograder Zeitung beschlossen. In der Begründung des Ministers für Volks¬
aufklärung heißt es unter anderem: die weitere Herausgabe der Petro¬
grader Zeitung in deutscher Sprache sei bei der vollständig ver¬
änderten politischen Lage kaum wünschenswert. -- Jetzt ist die Stadt
Peters des Großen mit ihren mehr als 40 000 Deutschen, seinen vorbildlichen
Schulen und sonstigen Kulturanstalten ausschließlich auf den Herold angewiesen,
der seit Jahren schon von einem gewissen Pepiers geleitet, die Nussifizierung
unter den Deutschen betreibt.

Die Verdienste der Se. Petersburger Zeitung und des Hauses von Kügelgen
um das Deutschtum sollen in den Grenzboten später noch besonders gewürdigt
werden. Hier gilt es eine uns im Augenblick näher angehende Frage zu erörtern.
Müssen wir dem Ausrottungskampfe, den die russische Regierung gegen das Deutsch¬
tum führt, gelassen zusehen? Können wir es verantworten, daß annähernd sechs
Millionen unserer Volksgenossen in Rußland eingestampft werden sollen in den
moskowitischen Sumpf? Gewiß, Rußland und die Russen schaden am meisten
sich selbst, wenn sie den Zusammenhang mit der deutschen Kultur abzubinden
trachten, aber unsere Beteiligung an dem Schaden Rußlands ist doch zu hoch
bemessen. Wir dürfen ihn nicht zulassen! wir müssen zu retten suchen, was
noch zu retten ist zu des gesamten Deutschtums Besten.

Der gegenwärtige Krieg wird, besonders im Hinblick auf die Führerschaft
Englands in ihm, als ein Handelskrieg bezeichnet und bewertet. Durch Rußlands
Mitwirkung und Eigenart im Auftreten gegen die eigenen Deutschen ist er
zu gleicher Zeit ein Kampf um die deutsche Kultur. Es scheint, als wenn uns
ein gnädiges Geschick noch einmal die Entscheidung darüber in die Hand geben
wollte, ob deutsche Art in Europa maßgebend sein soll oder nicht. Die
traditionelle Freundschaft zwischen Preußen und Nußland zusammen mit der
übermäßigen Erstarkung des Staatsgedankens mit seiner händlerischen Grundlage
über alle Kulturideale hatten schon Bismarck, der, wie man weiß, den Auslands¬
deutschen überhaupt mit einem gewissen Groll gegenübergestanden, die Hände
gebunden zugunsten der Deutschen in Nußland zu wirken. Die Forderungen der
Großdeutschen, die gleich nach dem Kriege von 1870/71 die Festigung des deutschen
Kulturbesitzes ini Osten Europas anstrebten, blieben unerfüllt, sie weckten wohl das
Mißtrauen der Panslawisten an der Moskwa und Newa, aber Bismarck stellte sich
ihnen taub gegenüber. Bismarcks Haltung Rußland gegenüber hat dann neben
manchen sonstigen unerfreulichen Erscheinungen auch eine Schwächung unserer
nationalen Initiative gegen den Osten zur Folge gehabt: in unserem Streben,
sich Bismarcks Haltung zu erklären, hat sich bei uns die alte Auffassung noch


Ist Rußland unbesiegbar?

Publikationsorgan der Regierung, und erhielt von der russischen Regierung
jährlich eine Beihilfe, die sich zuletzt auf 2000 Rubel belief. — Zum 1. Januar
1915 läuft der alte Pachtvertrag ab. Kügelgen beantragte seine Verlängerung
auf weitere fünfzehn Jahre. Obwohl nun Kügelgen auf die staatliche Beihilfe
verzichtete, wurde der Pachtvertrag nicht nur nicht erneuert, sondern die Schließung
der Petrograder Zeitung beschlossen. In der Begründung des Ministers für Volks¬
aufklärung heißt es unter anderem: die weitere Herausgabe der Petro¬
grader Zeitung in deutscher Sprache sei bei der vollständig ver¬
änderten politischen Lage kaum wünschenswert. — Jetzt ist die Stadt
Peters des Großen mit ihren mehr als 40 000 Deutschen, seinen vorbildlichen
Schulen und sonstigen Kulturanstalten ausschließlich auf den Herold angewiesen,
der seit Jahren schon von einem gewissen Pepiers geleitet, die Nussifizierung
unter den Deutschen betreibt.

Die Verdienste der Se. Petersburger Zeitung und des Hauses von Kügelgen
um das Deutschtum sollen in den Grenzboten später noch besonders gewürdigt
werden. Hier gilt es eine uns im Augenblick näher angehende Frage zu erörtern.
Müssen wir dem Ausrottungskampfe, den die russische Regierung gegen das Deutsch¬
tum führt, gelassen zusehen? Können wir es verantworten, daß annähernd sechs
Millionen unserer Volksgenossen in Rußland eingestampft werden sollen in den
moskowitischen Sumpf? Gewiß, Rußland und die Russen schaden am meisten
sich selbst, wenn sie den Zusammenhang mit der deutschen Kultur abzubinden
trachten, aber unsere Beteiligung an dem Schaden Rußlands ist doch zu hoch
bemessen. Wir dürfen ihn nicht zulassen! wir müssen zu retten suchen, was
noch zu retten ist zu des gesamten Deutschtums Besten.

Der gegenwärtige Krieg wird, besonders im Hinblick auf die Führerschaft
Englands in ihm, als ein Handelskrieg bezeichnet und bewertet. Durch Rußlands
Mitwirkung und Eigenart im Auftreten gegen die eigenen Deutschen ist er
zu gleicher Zeit ein Kampf um die deutsche Kultur. Es scheint, als wenn uns
ein gnädiges Geschick noch einmal die Entscheidung darüber in die Hand geben
wollte, ob deutsche Art in Europa maßgebend sein soll oder nicht. Die
traditionelle Freundschaft zwischen Preußen und Nußland zusammen mit der
übermäßigen Erstarkung des Staatsgedankens mit seiner händlerischen Grundlage
über alle Kulturideale hatten schon Bismarck, der, wie man weiß, den Auslands¬
deutschen überhaupt mit einem gewissen Groll gegenübergestanden, die Hände
gebunden zugunsten der Deutschen in Nußland zu wirken. Die Forderungen der
Großdeutschen, die gleich nach dem Kriege von 1870/71 die Festigung des deutschen
Kulturbesitzes ini Osten Europas anstrebten, blieben unerfüllt, sie weckten wohl das
Mißtrauen der Panslawisten an der Moskwa und Newa, aber Bismarck stellte sich
ihnen taub gegenüber. Bismarcks Haltung Rußland gegenüber hat dann neben
manchen sonstigen unerfreulichen Erscheinungen auch eine Schwächung unserer
nationalen Initiative gegen den Osten zur Folge gehabt: in unserem Streben,
sich Bismarcks Haltung zu erklären, hat sich bei uns die alte Auffassung noch


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[0166] Ist Rußland unbesiegbar? Publikationsorgan der Regierung, und erhielt von der russischen Regierung jährlich eine Beihilfe, die sich zuletzt auf 2000 Rubel belief. — Zum 1. Januar 1915 läuft der alte Pachtvertrag ab. Kügelgen beantragte seine Verlängerung auf weitere fünfzehn Jahre. Obwohl nun Kügelgen auf die staatliche Beihilfe verzichtete, wurde der Pachtvertrag nicht nur nicht erneuert, sondern die Schließung der Petrograder Zeitung beschlossen. In der Begründung des Ministers für Volks¬ aufklärung heißt es unter anderem: die weitere Herausgabe der Petro¬ grader Zeitung in deutscher Sprache sei bei der vollständig ver¬ änderten politischen Lage kaum wünschenswert. — Jetzt ist die Stadt Peters des Großen mit ihren mehr als 40 000 Deutschen, seinen vorbildlichen Schulen und sonstigen Kulturanstalten ausschließlich auf den Herold angewiesen, der seit Jahren schon von einem gewissen Pepiers geleitet, die Nussifizierung unter den Deutschen betreibt. Die Verdienste der Se. Petersburger Zeitung und des Hauses von Kügelgen um das Deutschtum sollen in den Grenzboten später noch besonders gewürdigt werden. Hier gilt es eine uns im Augenblick näher angehende Frage zu erörtern. Müssen wir dem Ausrottungskampfe, den die russische Regierung gegen das Deutsch¬ tum führt, gelassen zusehen? Können wir es verantworten, daß annähernd sechs Millionen unserer Volksgenossen in Rußland eingestampft werden sollen in den moskowitischen Sumpf? Gewiß, Rußland und die Russen schaden am meisten sich selbst, wenn sie den Zusammenhang mit der deutschen Kultur abzubinden trachten, aber unsere Beteiligung an dem Schaden Rußlands ist doch zu hoch bemessen. Wir dürfen ihn nicht zulassen! wir müssen zu retten suchen, was noch zu retten ist zu des gesamten Deutschtums Besten. Der gegenwärtige Krieg wird, besonders im Hinblick auf die Führerschaft Englands in ihm, als ein Handelskrieg bezeichnet und bewertet. Durch Rußlands Mitwirkung und Eigenart im Auftreten gegen die eigenen Deutschen ist er zu gleicher Zeit ein Kampf um die deutsche Kultur. Es scheint, als wenn uns ein gnädiges Geschick noch einmal die Entscheidung darüber in die Hand geben wollte, ob deutsche Art in Europa maßgebend sein soll oder nicht. Die traditionelle Freundschaft zwischen Preußen und Nußland zusammen mit der übermäßigen Erstarkung des Staatsgedankens mit seiner händlerischen Grundlage über alle Kulturideale hatten schon Bismarck, der, wie man weiß, den Auslands¬ deutschen überhaupt mit einem gewissen Groll gegenübergestanden, die Hände gebunden zugunsten der Deutschen in Nußland zu wirken. Die Forderungen der Großdeutschen, die gleich nach dem Kriege von 1870/71 die Festigung des deutschen Kulturbesitzes ini Osten Europas anstrebten, blieben unerfüllt, sie weckten wohl das Mißtrauen der Panslawisten an der Moskwa und Newa, aber Bismarck stellte sich ihnen taub gegenüber. Bismarcks Haltung Rußland gegenüber hat dann neben manchen sonstigen unerfreulichen Erscheinungen auch eine Schwächung unserer nationalen Initiative gegen den Osten zur Folge gehabt: in unserem Streben, sich Bismarcks Haltung zu erklären, hat sich bei uns die alte Auffassung noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/166>, abgerufen am 02.07.2024.