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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Neue Bismarckgespräche

annektieren, doch glaube ich nicht, daß Indien als Ganzes, Mohammedaner oder
Hindus, die russische Herrschaft der englischen vorziehn werden. Wenn sie es
aber tun, so liegt der Fehler an England, welches unklugerweise Indien die
Preßfreiheit gegeben hat. Ich weiß, wie gefahrvoll dies Experiment ist, und
wie Menschen von Erziehung, aber ohne Prinzipien und Sinn sür Wahrheit,
die Tatsachen in höchst gefährlicher Weise verdrehen können und mögen. Wenn
dies schon für erzogene und aufgeklärte Menschen zutrifft, um wie viel gefähr¬
licher ist es, eine derartige Bewilligung dem Gebrauch oder Mißbrauch einer
unaufgeklärten und ungebildeten Bevölkerung zuzugestehen. Es war dies,
nach meinem Dafürhalten, ein für England sehr gefährliches Zuge¬
ständnis."

Richmond wünschte Moltke zu zeichnen und wandte sich deshalb an
Bismarck. "Das ginge," meinte dieser. "Sie werden ihn sehr zurückhaltend
finden; er ist ein sehr ruhiger und ernster Mann, gut und religiös und außer¬
ordentlich auf Geld erpicht (extremis kome? ol mons^). Er lebt wie ein
sparsamer Sergeant. Das ist sein einziger Fehler, sonst ist er eine große
Natur."

Über sein früheres Leben sprach der Fürst zu Richmond sehr frei. "Es
war meine Absicht als junger Mann zu reisen und, zwischen zwanzig und
dreißig Jahren, die Welt zu sehen. AIs aber die Zeit herannahte, wollte ich
meinen Vater, den ich fehr liebte und verehrte, nicht verlassen. Bald war ich
nun in den Maschen der Politik gefangen. Wer in sie hineingeraten ist, ent¬
kommt nur mit großer Mühe. Meinen Eintritt ins Heer aber wollte mein Vater
nicht zugeben. Hätte er das getan, so hätte die Disziplin mich von einem
flotten (riotvus) Leben ferngehalten und meine Gesundheit im Alter wäre
fester." Auf den Einwurf Nichmonds, daß Bismarck aber, in den Maschen
der Politik gefangen, ein Kaiserreich geschaffen habe, antwortete er: "Das stimmt
zwar, aber doch bedauere ich, daß meine Zeit nur in so eng begrenztem Ausmaß
auch meine eigene gewesen ist."

Auf die Selbstkontrolle übergehend, sagte der Fürst: "Ich mußte mich
drillen. Unter den schwierigsten körperlichen und geistigen Umständen ist mir die
Arbeit das Höchste und der stärkste Trost." Richmond bemerkt dazu, er habe
während seines Friedrichsruher Aufenthalts den Kanzler bei schwerer staats¬
männischer Arbeit gesehen, während er unter neuralgischen Anfällen litt und
seine Augenlider schmerzvoll über die flammenden und geschwollenen Augen
tief herabgesenkt waren.

An seine Jugendzeit anknüpfend, meinte der Kanzler: "Kinder sind aus¬
gezeichnete Urteiler. Ihr Instinkt täuscht sie selten. Das Familienleben ist
das Vaterland im Kleinen. Es war mein Lebensgrundsatz, meinem hitzigen Gemüt
niemals im eigenen Hause einen Ausbruch zu gestatten." Richmond knüpft daran
die Bemerkung, daß wohl kein Eingeweihter je die Ruhe und den Frieden in
dem einfachen und vornehmen Familienleben in Friedrichsruh vergessen könne.


Neue Bismarckgespräche

annektieren, doch glaube ich nicht, daß Indien als Ganzes, Mohammedaner oder
Hindus, die russische Herrschaft der englischen vorziehn werden. Wenn sie es
aber tun, so liegt der Fehler an England, welches unklugerweise Indien die
Preßfreiheit gegeben hat. Ich weiß, wie gefahrvoll dies Experiment ist, und
wie Menschen von Erziehung, aber ohne Prinzipien und Sinn sür Wahrheit,
die Tatsachen in höchst gefährlicher Weise verdrehen können und mögen. Wenn
dies schon für erzogene und aufgeklärte Menschen zutrifft, um wie viel gefähr¬
licher ist es, eine derartige Bewilligung dem Gebrauch oder Mißbrauch einer
unaufgeklärten und ungebildeten Bevölkerung zuzugestehen. Es war dies,
nach meinem Dafürhalten, ein für England sehr gefährliches Zuge¬
ständnis."

Richmond wünschte Moltke zu zeichnen und wandte sich deshalb an
Bismarck. „Das ginge," meinte dieser. „Sie werden ihn sehr zurückhaltend
finden; er ist ein sehr ruhiger und ernster Mann, gut und religiös und außer¬
ordentlich auf Geld erpicht (extremis kome? ol mons^). Er lebt wie ein
sparsamer Sergeant. Das ist sein einziger Fehler, sonst ist er eine große
Natur."

Über sein früheres Leben sprach der Fürst zu Richmond sehr frei. „Es
war meine Absicht als junger Mann zu reisen und, zwischen zwanzig und
dreißig Jahren, die Welt zu sehen. AIs aber die Zeit herannahte, wollte ich
meinen Vater, den ich fehr liebte und verehrte, nicht verlassen. Bald war ich
nun in den Maschen der Politik gefangen. Wer in sie hineingeraten ist, ent¬
kommt nur mit großer Mühe. Meinen Eintritt ins Heer aber wollte mein Vater
nicht zugeben. Hätte er das getan, so hätte die Disziplin mich von einem
flotten (riotvus) Leben ferngehalten und meine Gesundheit im Alter wäre
fester." Auf den Einwurf Nichmonds, daß Bismarck aber, in den Maschen
der Politik gefangen, ein Kaiserreich geschaffen habe, antwortete er: „Das stimmt
zwar, aber doch bedauere ich, daß meine Zeit nur in so eng begrenztem Ausmaß
auch meine eigene gewesen ist."

Auf die Selbstkontrolle übergehend, sagte der Fürst: „Ich mußte mich
drillen. Unter den schwierigsten körperlichen und geistigen Umständen ist mir die
Arbeit das Höchste und der stärkste Trost." Richmond bemerkt dazu, er habe
während seines Friedrichsruher Aufenthalts den Kanzler bei schwerer staats¬
männischer Arbeit gesehen, während er unter neuralgischen Anfällen litt und
seine Augenlider schmerzvoll über die flammenden und geschwollenen Augen
tief herabgesenkt waren.

An seine Jugendzeit anknüpfend, meinte der Kanzler: „Kinder sind aus¬
gezeichnete Urteiler. Ihr Instinkt täuscht sie selten. Das Familienleben ist
das Vaterland im Kleinen. Es war mein Lebensgrundsatz, meinem hitzigen Gemüt
niemals im eigenen Hause einen Ausbruch zu gestatten." Richmond knüpft daran
die Bemerkung, daß wohl kein Eingeweihter je die Ruhe und den Frieden in
dem einfachen und vornehmen Familienleben in Friedrichsruh vergessen könne.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/153>, abgerufen am 02.07.2024.