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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Neue Bismarckgespräche

war zu beschäftigt, um allen oder einem Teil seiner Anforderungen, welche er
an meine Zeit stellte, nachkommen zu können. Doch bewundre ich seine Musik
im höchsten Maße, obgleich ich gezwungen war, den Opernbesuch aufzugeben,
weil ich die wundervollen und ergreifenden Tonfolgen nicht aus dem Kopf bekam;
sie heften sich an mich und es fällt mir schwer, mich von ihnen frei zu machen,
und dann stört es mich, so bewegt zu sein."

Im Gespräch über die Erziehung jetzt (1887) und vor vierzig Jahre äußerte
sich Bismarck: "Möglich, daß unsere jetzt so gerühmte Erziehung allgemeiner
aufgebaut und weiter in ihrem Ziele ist, aber sie ist nicht so solide, so natürlich
gesund, als diejenige meiner Jugend. Wir wurden zweifellos über weniger
Dinge unterrichtet, was wir aber lernten, lernten wir ganz. Meine Söhne
empfingen eine weit größere Allgemeinbildung als ich. aber sie kehrten sehr
unwissend aus der Schule zurück. Zwar mein Griechisch habe ich vergessen,
aber mein Lateinisch habe ich festgehalten und freue mich noch darüber".

Sehr inseressant und zeitgemäß sind dann die Worte Bismarcks, die er im
Anschluß an eine Unterhaltung auf dem Gebiete der Kunst aussprach.
"Deutschland ist jetzt," so sagte der Fürst, "ein Kaiserreich und muß gegen
mögliche Angriffe durch die eine oder die andere Macht oder gar beide Mächte,
die eine östlich, die andere westlich von uns, geschützt werden. Sie (Richmond)
müssen daran denken, daß der nächste Krieg zwischen Frankreich und Deutschland
dem einen die Vernichtung bringen wird. Wir liegen zwischen zwei Feuer¬
linien: Frankreich ist unser bitterer Feind, und Rußland traue ich nicht. Frieds
kann weit unehrenhafter als Krieg sein. Wir müssen für diesen gerüstet sein."
Indem Bismarck auf die Veranlassung des Gesprächs zurückkam, fügte er noch hinzu:
"Deshalb kann ich auch der Förderung der Friedenskünste nicht soviel Auf¬
merksamkeit widmen, wie ich möchte. Doch halte ich sie für durchaus nötig für die
höchste Entwicklung einer Nation als Ganzes."

Im Jahre 1890 besuchte Richmond Mommsen in Berlin, um ihn in Er¬
füllung eines Versprechens zu malen und hatte dabei ein für Mommsen und
Bismarck gleich charakteristisches Erlebnis, das er ebenfalls in diesem Zusammen¬
hange wiedergibt, obgleich dasselbe zwei Jahre nach seiner Friedrichsruher Zeit
statt hatte. Während seines Besuches bei ersterem wurde ihni ein Telegramm des
Fürsten aus Friedrichsruh gebracht, sofort zu kommen. Richmond wollte ab-
telegraphieren. Doch Mommsen fiel ihm ins Wort: "Nein -- halt. Fahren
Sie hin zu dem großen Geschichtsmacher (Zrest malcer ok liistor^). Aber
nach Ihrer Rückkehr müssen Sie mir alles erzählen". Richmond sagte dies
Bismarck, und der erwiderte: "Sagen Sie Mommsen, wenn ich Geschichte
mache, so ist er der Größte in der Welt, der Geschichte schreibt". Als Richmond
darauf Mommsen diesen Ausspruch überbrachte, zeigte er sein unnachahmliches
Lächeln und in seinen großen schwarzen Augen leuchtete es humorvoll aus: "Bismarck
sprach niemals die Wahrheit mit größerer Aufrichtigkeit". Gewiß eine Episode,
die die gegenseitige Hochachtung der beiden Geistesgrößen in das schönste Licht setzt.


Neue Bismarckgespräche

war zu beschäftigt, um allen oder einem Teil seiner Anforderungen, welche er
an meine Zeit stellte, nachkommen zu können. Doch bewundre ich seine Musik
im höchsten Maße, obgleich ich gezwungen war, den Opernbesuch aufzugeben,
weil ich die wundervollen und ergreifenden Tonfolgen nicht aus dem Kopf bekam;
sie heften sich an mich und es fällt mir schwer, mich von ihnen frei zu machen,
und dann stört es mich, so bewegt zu sein."

Im Gespräch über die Erziehung jetzt (1887) und vor vierzig Jahre äußerte
sich Bismarck: „Möglich, daß unsere jetzt so gerühmte Erziehung allgemeiner
aufgebaut und weiter in ihrem Ziele ist, aber sie ist nicht so solide, so natürlich
gesund, als diejenige meiner Jugend. Wir wurden zweifellos über weniger
Dinge unterrichtet, was wir aber lernten, lernten wir ganz. Meine Söhne
empfingen eine weit größere Allgemeinbildung als ich. aber sie kehrten sehr
unwissend aus der Schule zurück. Zwar mein Griechisch habe ich vergessen,
aber mein Lateinisch habe ich festgehalten und freue mich noch darüber".

Sehr inseressant und zeitgemäß sind dann die Worte Bismarcks, die er im
Anschluß an eine Unterhaltung auf dem Gebiete der Kunst aussprach.
„Deutschland ist jetzt," so sagte der Fürst, „ein Kaiserreich und muß gegen
mögliche Angriffe durch die eine oder die andere Macht oder gar beide Mächte,
die eine östlich, die andere westlich von uns, geschützt werden. Sie (Richmond)
müssen daran denken, daß der nächste Krieg zwischen Frankreich und Deutschland
dem einen die Vernichtung bringen wird. Wir liegen zwischen zwei Feuer¬
linien: Frankreich ist unser bitterer Feind, und Rußland traue ich nicht. Frieds
kann weit unehrenhafter als Krieg sein. Wir müssen für diesen gerüstet sein."
Indem Bismarck auf die Veranlassung des Gesprächs zurückkam, fügte er noch hinzu:
„Deshalb kann ich auch der Förderung der Friedenskünste nicht soviel Auf¬
merksamkeit widmen, wie ich möchte. Doch halte ich sie für durchaus nötig für die
höchste Entwicklung einer Nation als Ganzes."

Im Jahre 1890 besuchte Richmond Mommsen in Berlin, um ihn in Er¬
füllung eines Versprechens zu malen und hatte dabei ein für Mommsen und
Bismarck gleich charakteristisches Erlebnis, das er ebenfalls in diesem Zusammen¬
hange wiedergibt, obgleich dasselbe zwei Jahre nach seiner Friedrichsruher Zeit
statt hatte. Während seines Besuches bei ersterem wurde ihni ein Telegramm des
Fürsten aus Friedrichsruh gebracht, sofort zu kommen. Richmond wollte ab-
telegraphieren. Doch Mommsen fiel ihm ins Wort: „Nein — halt. Fahren
Sie hin zu dem großen Geschichtsmacher (Zrest malcer ok liistor^). Aber
nach Ihrer Rückkehr müssen Sie mir alles erzählen". Richmond sagte dies
Bismarck, und der erwiderte: „Sagen Sie Mommsen, wenn ich Geschichte
mache, so ist er der Größte in der Welt, der Geschichte schreibt". Als Richmond
darauf Mommsen diesen Ausspruch überbrachte, zeigte er sein unnachahmliches
Lächeln und in seinen großen schwarzen Augen leuchtete es humorvoll aus: „Bismarck
sprach niemals die Wahrheit mit größerer Aufrichtigkeit". Gewiß eine Episode,
die die gegenseitige Hochachtung der beiden Geistesgrößen in das schönste Licht setzt.


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[0151] Neue Bismarckgespräche war zu beschäftigt, um allen oder einem Teil seiner Anforderungen, welche er an meine Zeit stellte, nachkommen zu können. Doch bewundre ich seine Musik im höchsten Maße, obgleich ich gezwungen war, den Opernbesuch aufzugeben, weil ich die wundervollen und ergreifenden Tonfolgen nicht aus dem Kopf bekam; sie heften sich an mich und es fällt mir schwer, mich von ihnen frei zu machen, und dann stört es mich, so bewegt zu sein." Im Gespräch über die Erziehung jetzt (1887) und vor vierzig Jahre äußerte sich Bismarck: „Möglich, daß unsere jetzt so gerühmte Erziehung allgemeiner aufgebaut und weiter in ihrem Ziele ist, aber sie ist nicht so solide, so natürlich gesund, als diejenige meiner Jugend. Wir wurden zweifellos über weniger Dinge unterrichtet, was wir aber lernten, lernten wir ganz. Meine Söhne empfingen eine weit größere Allgemeinbildung als ich. aber sie kehrten sehr unwissend aus der Schule zurück. Zwar mein Griechisch habe ich vergessen, aber mein Lateinisch habe ich festgehalten und freue mich noch darüber". Sehr inseressant und zeitgemäß sind dann die Worte Bismarcks, die er im Anschluß an eine Unterhaltung auf dem Gebiete der Kunst aussprach. „Deutschland ist jetzt," so sagte der Fürst, „ein Kaiserreich und muß gegen mögliche Angriffe durch die eine oder die andere Macht oder gar beide Mächte, die eine östlich, die andere westlich von uns, geschützt werden. Sie (Richmond) müssen daran denken, daß der nächste Krieg zwischen Frankreich und Deutschland dem einen die Vernichtung bringen wird. Wir liegen zwischen zwei Feuer¬ linien: Frankreich ist unser bitterer Feind, und Rußland traue ich nicht. Frieds kann weit unehrenhafter als Krieg sein. Wir müssen für diesen gerüstet sein." Indem Bismarck auf die Veranlassung des Gesprächs zurückkam, fügte er noch hinzu: „Deshalb kann ich auch der Förderung der Friedenskünste nicht soviel Auf¬ merksamkeit widmen, wie ich möchte. Doch halte ich sie für durchaus nötig für die höchste Entwicklung einer Nation als Ganzes." Im Jahre 1890 besuchte Richmond Mommsen in Berlin, um ihn in Er¬ füllung eines Versprechens zu malen und hatte dabei ein für Mommsen und Bismarck gleich charakteristisches Erlebnis, das er ebenfalls in diesem Zusammen¬ hange wiedergibt, obgleich dasselbe zwei Jahre nach seiner Friedrichsruher Zeit statt hatte. Während seines Besuches bei ersterem wurde ihni ein Telegramm des Fürsten aus Friedrichsruh gebracht, sofort zu kommen. Richmond wollte ab- telegraphieren. Doch Mommsen fiel ihm ins Wort: „Nein — halt. Fahren Sie hin zu dem großen Geschichtsmacher (Zrest malcer ok liistor^). Aber nach Ihrer Rückkehr müssen Sie mir alles erzählen". Richmond sagte dies Bismarck, und der erwiderte: „Sagen Sie Mommsen, wenn ich Geschichte mache, so ist er der Größte in der Welt, der Geschichte schreibt". Als Richmond darauf Mommsen diesen Ausspruch überbrachte, zeigte er sein unnachahmliches Lächeln und in seinen großen schwarzen Augen leuchtete es humorvoll aus: „Bismarck sprach niemals die Wahrheit mit größerer Aufrichtigkeit". Gewiß eine Episode, die die gegenseitige Hochachtung der beiden Geistesgrößen in das schönste Licht setzt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/151>, abgerufen am 02.07.2024.