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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Neue Bismarckgespräche

Und weiter: "Wenn ich auch mit seiner Regierungskunst nicht einverstanden
bin, so hege ich doch eine tiefe Bewunderung sür seine außerordentliche Ge°
chmeidigkeit (versÄtilit^)." Richmond läßt es dahingestellt, ob dies ironisch zu
verstehen ist oder nicht.

Von Lord Beaconfield sprach Bismarck mit einem Unklug persönlicher
Zuneigung. Indem er auf den Berliner Kongreß kam, sagte er zu Richmond
folgendes: "Als Sprache für die diplomatischen Verhandlungen galt die fran¬
zösische. Disraeli war mit dieser nicht vertraut und sprach deshalb englisch.
Fürst Gortschakoff, welcher Englisch perfekt verstand und sprach, schloß sich dem
jedoch nicht an. Ich aber, als Präsident, beschloß. Disraeli beizuspringen und
gab meine Erwiderung ebenfalls in englischer Sprache ab. Gortschakoff tat
nunmehr das gleiche, und so blieben wir Sieger."

Bismarcks Kenntnis der englischen Literatur war nach Richmond sehr um¬
fassend. Shakespeare führte er fortwährend an. Von Browning sagte er: "Ich
bedauere, daß ich seine dichterische Laufbahn nicht so verfolgt habe, als ich es
wünschte, denn er ist ein großer Dichter und Denker." Horaz war Bismarcks
bevorzugter klassischer Autor. Er wiederholte viele seiner Oden und Epoden in
ganz glänzendem Stile. Seine schöne und sympathische Stimme machte Rich¬
mond das Lauschen seiner Rezitation zu einem wirklichen Vergnügen. Thackeray
war sein Lieblingsnovellist. "Seine Charaktere sind Männer und Frauen aus
Fleisch und Blut; jeder von ihnen hebt sich, wie bei Shakespeare, vom Hinter¬
grund ab, ist echt, klar umschrieben und abgerundet." Von Fieldings Stil war
er bezaubert und Tom Jones nannte er "wahrhaft klassisch".

Im Gespräch über die Künste sagte Bismarck: "Die Musik liebe ich sehr,
doch muß ich davon absehen sie anzuhören, da mir nur zu schnell die Tränen
in die Augen steigen. Mein Herz ist stärker als mein Kopf. Welche Selbst¬
kontrolle habe ich mir nicht durch Erfahrung teuer erkaufen müssen!" Es gab,
so fügt Richmond hinzu, viele Augenblicke während unserer Unterhaltung, welche
diesen Ausspruch bekräftigten.

Die außerordentliche Beweglichkeit seiner Haltung und die mannigfachen
Schattierungen des Ausdrucks sprachen ihm von einer sensitiven und gemüts¬
beweglichen Veranlagung Bismarcks. "Aber ich habe ein stetes Feuer in mir,
das bisweilen mächtig aufflammt." Auf die Frage: "Sind Sie denn in Wirk¬
lichkeit der Eiserne Kanzler?" antwortete er: "Nein, nicht von Natur; das Eisen
habe ich erworben, um es zu gebrauchen, wo es nötig ist."

Richmond fragte einmal Bismarck, ob er Wagner persönlich kenne. "Ja,"
antwortete er, "aber es war mir ganz unmöglich, mich um ihn zu bemühen
oder seine Annäherung zu ermutigen. Ich hatte keine Zeit, mich seinem unersätt¬
lichen eitlen Stolz (vaut^) zu unterwerfen. Vor dem Frühstück, beim Frühstück,
vor und nach dem Essen forderte Wagner Sympathie und Bewunderung. Sein
Egoismus war ermüdend und intolerant, und seine Anforderungen an den
Zuhörer waren so unaufhörlich, daß ich seine Gesellschaft fliehen mußte. Ich


Neue Bismarckgespräche

Und weiter: „Wenn ich auch mit seiner Regierungskunst nicht einverstanden
bin, so hege ich doch eine tiefe Bewunderung sür seine außerordentliche Ge°
chmeidigkeit (versÄtilit^)." Richmond läßt es dahingestellt, ob dies ironisch zu
verstehen ist oder nicht.

Von Lord Beaconfield sprach Bismarck mit einem Unklug persönlicher
Zuneigung. Indem er auf den Berliner Kongreß kam, sagte er zu Richmond
folgendes: „Als Sprache für die diplomatischen Verhandlungen galt die fran¬
zösische. Disraeli war mit dieser nicht vertraut und sprach deshalb englisch.
Fürst Gortschakoff, welcher Englisch perfekt verstand und sprach, schloß sich dem
jedoch nicht an. Ich aber, als Präsident, beschloß. Disraeli beizuspringen und
gab meine Erwiderung ebenfalls in englischer Sprache ab. Gortschakoff tat
nunmehr das gleiche, und so blieben wir Sieger."

Bismarcks Kenntnis der englischen Literatur war nach Richmond sehr um¬
fassend. Shakespeare führte er fortwährend an. Von Browning sagte er: „Ich
bedauere, daß ich seine dichterische Laufbahn nicht so verfolgt habe, als ich es
wünschte, denn er ist ein großer Dichter und Denker." Horaz war Bismarcks
bevorzugter klassischer Autor. Er wiederholte viele seiner Oden und Epoden in
ganz glänzendem Stile. Seine schöne und sympathische Stimme machte Rich¬
mond das Lauschen seiner Rezitation zu einem wirklichen Vergnügen. Thackeray
war sein Lieblingsnovellist. „Seine Charaktere sind Männer und Frauen aus
Fleisch und Blut; jeder von ihnen hebt sich, wie bei Shakespeare, vom Hinter¬
grund ab, ist echt, klar umschrieben und abgerundet." Von Fieldings Stil war
er bezaubert und Tom Jones nannte er „wahrhaft klassisch".

Im Gespräch über die Künste sagte Bismarck: „Die Musik liebe ich sehr,
doch muß ich davon absehen sie anzuhören, da mir nur zu schnell die Tränen
in die Augen steigen. Mein Herz ist stärker als mein Kopf. Welche Selbst¬
kontrolle habe ich mir nicht durch Erfahrung teuer erkaufen müssen!" Es gab,
so fügt Richmond hinzu, viele Augenblicke während unserer Unterhaltung, welche
diesen Ausspruch bekräftigten.

Die außerordentliche Beweglichkeit seiner Haltung und die mannigfachen
Schattierungen des Ausdrucks sprachen ihm von einer sensitiven und gemüts¬
beweglichen Veranlagung Bismarcks. „Aber ich habe ein stetes Feuer in mir,
das bisweilen mächtig aufflammt." Auf die Frage: „Sind Sie denn in Wirk¬
lichkeit der Eiserne Kanzler?" antwortete er: „Nein, nicht von Natur; das Eisen
habe ich erworben, um es zu gebrauchen, wo es nötig ist."

Richmond fragte einmal Bismarck, ob er Wagner persönlich kenne. „Ja,"
antwortete er, „aber es war mir ganz unmöglich, mich um ihn zu bemühen
oder seine Annäherung zu ermutigen. Ich hatte keine Zeit, mich seinem unersätt¬
lichen eitlen Stolz (vaut^) zu unterwerfen. Vor dem Frühstück, beim Frühstück,
vor und nach dem Essen forderte Wagner Sympathie und Bewunderung. Sein
Egoismus war ermüdend und intolerant, und seine Anforderungen an den
Zuhörer waren so unaufhörlich, daß ich seine Gesellschaft fliehen mußte. Ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/150>, abgerufen am 02.07.2024.