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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Arieg und Parlamentarismus
V Landrichter Dr, Riedinger on

le es scheint, beginnt sich in gewissen Kreisen eine Auffassung zu
regen, deren Grundton etwa der ist, die Regierungen der uns
feindlichen Staaten seien zwar verantwortlich zu machen für den
von ihnen verbrecherischer Weise entfachten Weltbrand, mit den
Völkern selbst aber, die daran unschuldig seien, müsse man Mit¬
leid haben. Das ist eine Auffassung, der man -- natürlich unbeschadet des
Mitleides mit dem einzelnen Menschen, der von den Schrecken des Krieges
betroffen wird --. nicht frühzeitig und nicht entschieden genug widersprechen kann,
soweit es sich um Frankreich, Belgien und England handelt. Mir steht in
diesen Tagen immer wieder ein Vorgang vor Augen, den ich im Februar 1904
zur Zeit des Ausbruches des Russisch-Japanischen Krieges in einer kleinen
deutschen Pension an der Riviera erlebte. Wir waren eine recht "gemischte
Gesellschaft". Unter anderem ein deutscher Kontreadmiral a. D.. ein preußischer
aktiver und ein Reserveoffizier, ein von schwedischen Vorfahren abstammender
von glühendem Russenhaß beseelter finnischer Landrichter a. D., ein englischer
Globe-trotter und ein deutscher Professor, der seit langem, ich glaube seit
Jahrzehnten, in Paris lebte. Der Krieg wurde eifrig besprochen und namentlich
bewegte uns im Anfang die Frage, inwieweit etwa Deutschland und Frankreich
durch Verträge verpflichtet seien, Rußland Hilfe zu leisten. Gegen eine Ver-
pflichtung Frankreichs verwahrte sich nun der Pariser Professor mit großer
Entrüstung. Er sagte ziemlich wörtlich: "Der Zar kann befehlen: Wir marschieren,
und dann müssen die Russen marschieren, aber in Frankreich hat der Zar nichts
zu befehlen, dort bestimmt das Parlament, wann marschiert werden soll."
Seitdem sind zehn Jahre vergangen, der Zar hat befohlen und Frankreich ist
marschiert. Aber die Verantwortung liegt nicht nur bei den französischen
Staatsmännern, sondern ebenso beim französischen Volke, und desgleichen beim


Grenzboten IV 1914 S


Arieg und Parlamentarismus
V Landrichter Dr, Riedinger on

le es scheint, beginnt sich in gewissen Kreisen eine Auffassung zu
regen, deren Grundton etwa der ist, die Regierungen der uns
feindlichen Staaten seien zwar verantwortlich zu machen für den
von ihnen verbrecherischer Weise entfachten Weltbrand, mit den
Völkern selbst aber, die daran unschuldig seien, müsse man Mit¬
leid haben. Das ist eine Auffassung, der man — natürlich unbeschadet des
Mitleides mit dem einzelnen Menschen, der von den Schrecken des Krieges
betroffen wird —. nicht frühzeitig und nicht entschieden genug widersprechen kann,
soweit es sich um Frankreich, Belgien und England handelt. Mir steht in
diesen Tagen immer wieder ein Vorgang vor Augen, den ich im Februar 1904
zur Zeit des Ausbruches des Russisch-Japanischen Krieges in einer kleinen
deutschen Pension an der Riviera erlebte. Wir waren eine recht „gemischte
Gesellschaft". Unter anderem ein deutscher Kontreadmiral a. D.. ein preußischer
aktiver und ein Reserveoffizier, ein von schwedischen Vorfahren abstammender
von glühendem Russenhaß beseelter finnischer Landrichter a. D., ein englischer
Globe-trotter und ein deutscher Professor, der seit langem, ich glaube seit
Jahrzehnten, in Paris lebte. Der Krieg wurde eifrig besprochen und namentlich
bewegte uns im Anfang die Frage, inwieweit etwa Deutschland und Frankreich
durch Verträge verpflichtet seien, Rußland Hilfe zu leisten. Gegen eine Ver-
pflichtung Frankreichs verwahrte sich nun der Pariser Professor mit großer
Entrüstung. Er sagte ziemlich wörtlich: „Der Zar kann befehlen: Wir marschieren,
und dann müssen die Russen marschieren, aber in Frankreich hat der Zar nichts
zu befehlen, dort bestimmt das Parlament, wann marschiert werden soll."
Seitdem sind zehn Jahre vergangen, der Zar hat befohlen und Frankreich ist
marschiert. Aber die Verantwortung liegt nicht nur bei den französischen
Staatsmännern, sondern ebenso beim französischen Volke, und desgleichen beim


Grenzboten IV 1914 S
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[0141] [Abbildung] Arieg und Parlamentarismus V Landrichter Dr, Riedinger on le es scheint, beginnt sich in gewissen Kreisen eine Auffassung zu regen, deren Grundton etwa der ist, die Regierungen der uns feindlichen Staaten seien zwar verantwortlich zu machen für den von ihnen verbrecherischer Weise entfachten Weltbrand, mit den Völkern selbst aber, die daran unschuldig seien, müsse man Mit¬ leid haben. Das ist eine Auffassung, der man — natürlich unbeschadet des Mitleides mit dem einzelnen Menschen, der von den Schrecken des Krieges betroffen wird —. nicht frühzeitig und nicht entschieden genug widersprechen kann, soweit es sich um Frankreich, Belgien und England handelt. Mir steht in diesen Tagen immer wieder ein Vorgang vor Augen, den ich im Februar 1904 zur Zeit des Ausbruches des Russisch-Japanischen Krieges in einer kleinen deutschen Pension an der Riviera erlebte. Wir waren eine recht „gemischte Gesellschaft". Unter anderem ein deutscher Kontreadmiral a. D.. ein preußischer aktiver und ein Reserveoffizier, ein von schwedischen Vorfahren abstammender von glühendem Russenhaß beseelter finnischer Landrichter a. D., ein englischer Globe-trotter und ein deutscher Professor, der seit langem, ich glaube seit Jahrzehnten, in Paris lebte. Der Krieg wurde eifrig besprochen und namentlich bewegte uns im Anfang die Frage, inwieweit etwa Deutschland und Frankreich durch Verträge verpflichtet seien, Rußland Hilfe zu leisten. Gegen eine Ver- pflichtung Frankreichs verwahrte sich nun der Pariser Professor mit großer Entrüstung. Er sagte ziemlich wörtlich: „Der Zar kann befehlen: Wir marschieren, und dann müssen die Russen marschieren, aber in Frankreich hat der Zar nichts zu befehlen, dort bestimmt das Parlament, wann marschiert werden soll." Seitdem sind zehn Jahre vergangen, der Zar hat befohlen und Frankreich ist marschiert. Aber die Verantwortung liegt nicht nur bei den französischen Staatsmännern, sondern ebenso beim französischen Volke, und desgleichen beim Grenzboten IV 1914 S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/141>, abgerufen am 02.07.2024.