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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Krieg und Parlamentarismus

belgischen und englischen. Wir haben es ja vor diesem Kriege oft genug gehört
und hören es auch jetzt immer wieder, daß einer der Hauptgründe, aus denen
man Deutschland haßt, seine politische Rückständigkeit ist. Daß es nicht par¬
lamentarisch regiert, sondern von einem nur notdürftig verhüllten Absolutismus
beherrscht werde, das hat ihm, wie wir hören, den allgemeinen Unwillen der
fortgeschritteneren Völker zugezogen. Schön, aber dann mögen unsere Gegner
auch die Folgerungen aus ihrer Fortgeschrittenheit ziehen. Sie werden par¬
lamentarisch regiert und haben die Macht, einer Regierung, die ihnen nicht
genehm ist, den Laufpaß zu geben. Da sie das nicht getan haben, so müssen
sie das verantworten, was ihre Regierung verbrochen hat. Darum fort mit
dem unangebrachter Mitleid, welches uns von unseren Feinden nie als Gro߬
herzigkeit ausgelegt werden würde, sondern als ein Zeichen von Schwäche und
von Rücksichtnahme auf ihre überragende Kulturhöhe. Legen wir endlich einmal
unsere übertriebene deutsche Objektivität und Gerechtigkeitsliebe ab, die uns
immer wieder dazu sühren, zwar den Splitter im eigenen Auge zu finden, aber
den Balken im Auge des Gegners zu übersehen. Diejenigen, die so gern vom
Mitleid reden, haben ja vor einigen Tagen schon durch Maurice Maeterlinck
die Quittung erhalten. Er verkündete, wenn Deutschland geschlagen sein werde,
dann werde es um das Mitleid seiner Feinde nachsuchen und behaupten, das
Volk sei nicht schuld am Kriege, sondern nur der Kaiser. Aber darauf solle
man nicht hören, nicht der Kaiser allein, sondern das ganze Volk sei schuld!
Also zuerst bekriegt man uns, weil wir unter dem Despotismus unserer Re¬
gierung seufzen, und wenn man uns besiegt haben wird, wird man uns die
Schonung versagen, weil wir selbst und nicht nur unsere Regierung am Kriege
schuld sind. Wir haben in diesen Tagen so manches erlebt, Trauriges und
Freudiges, Ernstes und Lächerliches, eins fehlte bisher noch, das Groteske.
Herr Maeterlinck hat dafür gesorgt.




Krieg und Parlamentarismus

belgischen und englischen. Wir haben es ja vor diesem Kriege oft genug gehört
und hören es auch jetzt immer wieder, daß einer der Hauptgründe, aus denen
man Deutschland haßt, seine politische Rückständigkeit ist. Daß es nicht par¬
lamentarisch regiert, sondern von einem nur notdürftig verhüllten Absolutismus
beherrscht werde, das hat ihm, wie wir hören, den allgemeinen Unwillen der
fortgeschritteneren Völker zugezogen. Schön, aber dann mögen unsere Gegner
auch die Folgerungen aus ihrer Fortgeschrittenheit ziehen. Sie werden par¬
lamentarisch regiert und haben die Macht, einer Regierung, die ihnen nicht
genehm ist, den Laufpaß zu geben. Da sie das nicht getan haben, so müssen
sie das verantworten, was ihre Regierung verbrochen hat. Darum fort mit
dem unangebrachter Mitleid, welches uns von unseren Feinden nie als Gro߬
herzigkeit ausgelegt werden würde, sondern als ein Zeichen von Schwäche und
von Rücksichtnahme auf ihre überragende Kulturhöhe. Legen wir endlich einmal
unsere übertriebene deutsche Objektivität und Gerechtigkeitsliebe ab, die uns
immer wieder dazu sühren, zwar den Splitter im eigenen Auge zu finden, aber
den Balken im Auge des Gegners zu übersehen. Diejenigen, die so gern vom
Mitleid reden, haben ja vor einigen Tagen schon durch Maurice Maeterlinck
die Quittung erhalten. Er verkündete, wenn Deutschland geschlagen sein werde,
dann werde es um das Mitleid seiner Feinde nachsuchen und behaupten, das
Volk sei nicht schuld am Kriege, sondern nur der Kaiser. Aber darauf solle
man nicht hören, nicht der Kaiser allein, sondern das ganze Volk sei schuld!
Also zuerst bekriegt man uns, weil wir unter dem Despotismus unserer Re¬
gierung seufzen, und wenn man uns besiegt haben wird, wird man uns die
Schonung versagen, weil wir selbst und nicht nur unsere Regierung am Kriege
schuld sind. Wir haben in diesen Tagen so manches erlebt, Trauriges und
Freudiges, Ernstes und Lächerliches, eins fehlte bisher noch, das Groteske.
Herr Maeterlinck hat dafür gesorgt.




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[0142] Krieg und Parlamentarismus belgischen und englischen. Wir haben es ja vor diesem Kriege oft genug gehört und hören es auch jetzt immer wieder, daß einer der Hauptgründe, aus denen man Deutschland haßt, seine politische Rückständigkeit ist. Daß es nicht par¬ lamentarisch regiert, sondern von einem nur notdürftig verhüllten Absolutismus beherrscht werde, das hat ihm, wie wir hören, den allgemeinen Unwillen der fortgeschritteneren Völker zugezogen. Schön, aber dann mögen unsere Gegner auch die Folgerungen aus ihrer Fortgeschrittenheit ziehen. Sie werden par¬ lamentarisch regiert und haben die Macht, einer Regierung, die ihnen nicht genehm ist, den Laufpaß zu geben. Da sie das nicht getan haben, so müssen sie das verantworten, was ihre Regierung verbrochen hat. Darum fort mit dem unangebrachter Mitleid, welches uns von unseren Feinden nie als Gro߬ herzigkeit ausgelegt werden würde, sondern als ein Zeichen von Schwäche und von Rücksichtnahme auf ihre überragende Kulturhöhe. Legen wir endlich einmal unsere übertriebene deutsche Objektivität und Gerechtigkeitsliebe ab, die uns immer wieder dazu sühren, zwar den Splitter im eigenen Auge zu finden, aber den Balken im Auge des Gegners zu übersehen. Diejenigen, die so gern vom Mitleid reden, haben ja vor einigen Tagen schon durch Maurice Maeterlinck die Quittung erhalten. Er verkündete, wenn Deutschland geschlagen sein werde, dann werde es um das Mitleid seiner Feinde nachsuchen und behaupten, das Volk sei nicht schuld am Kriege, sondern nur der Kaiser. Aber darauf solle man nicht hören, nicht der Kaiser allein, sondern das ganze Volk sei schuld! Also zuerst bekriegt man uns, weil wir unter dem Despotismus unserer Re¬ gierung seufzen, und wenn man uns besiegt haben wird, wird man uns die Schonung versagen, weil wir selbst und nicht nur unsere Regierung am Kriege schuld sind. Wir haben in diesen Tagen so manches erlebt, Trauriges und Freudiges, Ernstes und Lächerliches, eins fehlte bisher noch, das Groteske. Herr Maeterlinck hat dafür gesorgt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/142>, abgerufen am 01.07.2024.