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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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unfruchtbar blieb. Kurz, wir hätte" geistig befruchtend, auf den vlämischen Geist
befreiend wirken sollen und dann mit Genugtuung feststellen können, daß das
Verständnis für unsere Politik, Sitten und Anschauungen ganz wie von
selbst der Freude an unserer Literatur und Kultur nachgefolgt wäre. Wir
haben aber die Vlamen sich selbst, ihrer geistigen Armut und ihrem inner¬
politischen Schicksale überlassen, das, nach dem Beispiele des übrigen Belgiens,
Liberale auf der einen, Klerikale auf der anderen Seite in ihrem Sinne zu ge¬
stalten suchten. Schließlich flatterte das klerikale Heerbanner nur noch allein -- mit
Ausnahme von Antwerpen -- siegreich über die belgischen Vlamen.

Wie man daraus ersieht, besitzt der Leitfaden, den ich vor den zur späteren
diplomatischen Lösung aller aus dem Kriege entstehenden Schwierigkeiten berufenen
Männern hier abhasple, viele Knoten, die erkannt und gekannt sein wollen, um
sie auflösen oder umgehen zu können. Das uralte Volkslied der Vlamen, daß
sie gern nach Osten wandern wollen, bedeutet nicht nichr als eine stimmungsvolle
Lyrik. Man möge aber auch selbst diese Sehnsucht für wahre Empfindung halten,
denn sie drückt das gemeinschaftliche Fühlen mit dem Germanentum im Osten aus,
so wird doch der heutige Vlame auch wissen wollen: unter welchen Bedingungen
soll dieses Wandern erfolgen? Und befriedigen ihn diese Bedingungen nicht,
so wird er versuchen, es bei der bisherigen Lage der Dinge zu belassen, selbst
sich aufzubäumen, wenn ihm glattwegs ein Kappzaum deutscher Oberhoheit
angelegt werden sollte. Wir hätten ferner zu beobachten, daß wir uns
vor allem in die vlämische Sprache einzuarbeiten hätten, damit wir uns besser
verstehen könnten. Man hat leicht sagen, sie ähnelt dem Niederdeutschen; sie
ähnelt auch dem Holländischen, und dennoch ist sie auch von diesem sehr
verschieden und viel schwieriger als dieses, jedenfalls ist sie nicht leicht, und
ungefügig wie die vlämische Rasse selbst.

Auf politischem Gebiet darf ich den Hinweis nicht unterlassen, daß, wenn
wir uns auch Antwerpen einfach nehmen würden, wie viele ohne weiteres bereits
dekretieren, wir damit noch nicht an der See wären, nicht einmal einen Ausgang
zum Meere besäßen. Hierfür gebrauchen wir Gewährleistungen, und die
bekommen wir nur, wenn Holland in ein anderes, besseres und engeres Ver¬
hältnis, als es das bisherige war, zu uns zu treten gewillt ist. Gesetzt, Antwerpen
wäre deutsch! Wer aber bürgt uns dann dafür, daß wir nicht eines Tages,
wie England heute, unsere Flotte vor der Scheldemündung, und unsere Land¬
armee in Antwerpen haben, und nicht ein noch aus wissen, wenn wir nicht die
Durchfahrt durch das neutrale Holland erzwingen wollen? Haben wir uns
nicht vielmehr das Wort gegeben, Europa so zu gestalten, daß jeder neue Kriegs¬
vorwand auf unendliche Zeiten hinaus aus der Welt geschafft wird? Ich
stimme jedenfalls gern und freudig mit denen überein, die einem Länderzuwachs
für uns außerhalb der Grenzen Europas das Wort reden. Ich meine auch,
daß wir gewisse Staaten, die afrikanische Kolonien besitzen, fernerhin der Arbeit
entheben sollten, diese selbst zu verwalten. Wir könnten es auch Portugal, wenn


Grenzboten IV 1914 8
planen und Wallonen

unfruchtbar blieb. Kurz, wir hätte» geistig befruchtend, auf den vlämischen Geist
befreiend wirken sollen und dann mit Genugtuung feststellen können, daß das
Verständnis für unsere Politik, Sitten und Anschauungen ganz wie von
selbst der Freude an unserer Literatur und Kultur nachgefolgt wäre. Wir
haben aber die Vlamen sich selbst, ihrer geistigen Armut und ihrem inner¬
politischen Schicksale überlassen, das, nach dem Beispiele des übrigen Belgiens,
Liberale auf der einen, Klerikale auf der anderen Seite in ihrem Sinne zu ge¬
stalten suchten. Schließlich flatterte das klerikale Heerbanner nur noch allein — mit
Ausnahme von Antwerpen — siegreich über die belgischen Vlamen.

Wie man daraus ersieht, besitzt der Leitfaden, den ich vor den zur späteren
diplomatischen Lösung aller aus dem Kriege entstehenden Schwierigkeiten berufenen
Männern hier abhasple, viele Knoten, die erkannt und gekannt sein wollen, um
sie auflösen oder umgehen zu können. Das uralte Volkslied der Vlamen, daß
sie gern nach Osten wandern wollen, bedeutet nicht nichr als eine stimmungsvolle
Lyrik. Man möge aber auch selbst diese Sehnsucht für wahre Empfindung halten,
denn sie drückt das gemeinschaftliche Fühlen mit dem Germanentum im Osten aus,
so wird doch der heutige Vlame auch wissen wollen: unter welchen Bedingungen
soll dieses Wandern erfolgen? Und befriedigen ihn diese Bedingungen nicht,
so wird er versuchen, es bei der bisherigen Lage der Dinge zu belassen, selbst
sich aufzubäumen, wenn ihm glattwegs ein Kappzaum deutscher Oberhoheit
angelegt werden sollte. Wir hätten ferner zu beobachten, daß wir uns
vor allem in die vlämische Sprache einzuarbeiten hätten, damit wir uns besser
verstehen könnten. Man hat leicht sagen, sie ähnelt dem Niederdeutschen; sie
ähnelt auch dem Holländischen, und dennoch ist sie auch von diesem sehr
verschieden und viel schwieriger als dieses, jedenfalls ist sie nicht leicht, und
ungefügig wie die vlämische Rasse selbst.

Auf politischem Gebiet darf ich den Hinweis nicht unterlassen, daß, wenn
wir uns auch Antwerpen einfach nehmen würden, wie viele ohne weiteres bereits
dekretieren, wir damit noch nicht an der See wären, nicht einmal einen Ausgang
zum Meere besäßen. Hierfür gebrauchen wir Gewährleistungen, und die
bekommen wir nur, wenn Holland in ein anderes, besseres und engeres Ver¬
hältnis, als es das bisherige war, zu uns zu treten gewillt ist. Gesetzt, Antwerpen
wäre deutsch! Wer aber bürgt uns dann dafür, daß wir nicht eines Tages,
wie England heute, unsere Flotte vor der Scheldemündung, und unsere Land¬
armee in Antwerpen haben, und nicht ein noch aus wissen, wenn wir nicht die
Durchfahrt durch das neutrale Holland erzwingen wollen? Haben wir uns
nicht vielmehr das Wort gegeben, Europa so zu gestalten, daß jeder neue Kriegs¬
vorwand auf unendliche Zeiten hinaus aus der Welt geschafft wird? Ich
stimme jedenfalls gern und freudig mit denen überein, die einem Länderzuwachs
für uns außerhalb der Grenzen Europas das Wort reden. Ich meine auch,
daß wir gewisse Staaten, die afrikanische Kolonien besitzen, fernerhin der Arbeit
entheben sollten, diese selbst zu verwalten. Wir könnten es auch Portugal, wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/125>, abgerufen am 02.07.2024.