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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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planen und Wallonen

vlämischem Element, welch letzteres selbst eben dort seine unversöhnlichsten Widersacher
gefunden hat. Sie wäre uns ein ewiger Dorn im Fleische, eine Quelle unaus¬
gesetzter Reibungen. Wir müßten in ihr als faustkräftiger Unterjocher des
Charakters und der Sprache von Land und Leuten auftreten, eine Rolle, die
uns nicht zu Gesicht steht und die vor allem uns nicht zur wohlverdienten
Ruhe nach den übermenschlichen Anstrengungen des gegenwärtigen Krieges
kommen lassen würde. Wir fänden allerdings auch im Lütticher Gebiet
wallonische Verbissenheit und Abneigung gegen eine mögliche Einverleibung
oder politische Anschließung an das Deutsche Reich. Zwischen Welkenraedt,
Gemmenich, Herbestal und Verviers aber ist, auch für die Maaswallonen, das
deutsche Element bereits zu einem so einschneidenden wirtschaftlichen Faktor
geworden, und der Lütticher Wallone hat, wohlverstanden in Friedenszeiten,
bereits eine derartige, seinen ökonomischen Interessen dienende Schmiegsamkeit
bewiesen, daß sein Anschluß an die deutschen Sprach- und Interessengebiete,
die wir in Belgisch-Luxemburg sowie in den Belgischen Kempen und Belgisch-Lim-
burg bereits besitzen, ohne große Schwierigkeiten vollzogen werden könnte. In
den drei reindeutschen Sprachenklaven Belgiens begegnen wir ungefähr 78 bis
79 vom Hundert deutsch sprechenden Einwohnern, ohne Hinzuziehung der
dortigen reichsdeutschen Bewohner, die nur 4500 von 57000 betrugen. Es
war, wie gesagt, der politische Irrtum der Verträge von 1831 und 1839, eine
heute rund 80000 Seelen betragende rein deutsche Bevölkerung der Gefahr
auszusetzen, durch ihre Zersplitterung und Überweisung an Belgien vom
wallonisch > französischen Wesen allmählich verschlungen zu werden. Diesem
Schicksal sah die belgische Regierung gleichgültig zu, denn ihr einziges Zugeständnis
an ihre Untertanen deutscher Abstammung war gewesen, daß sie sich verpflichtete,
in den betreffenden Gebietsteilen Gesetze und Rechtsprechung auch in deutscher
Sprache -- wohlverstanden nicht in dieser allein -- zu veröffentlichen. Und
so wurde dieses Partikelchen deutscher Rasse nach und nach ein für das Deutsch¬
tum verlorenes Anhängsel der belgischen französischen Welt, nicht der belgisch-
vlämischen, mit der sie nur die Unzufriedenheit über ihre Zwitterstellung teilte,
und von der sie unglücklicherweise auch räumlich vollständig getrennt war.

Sehen wir uns nun einmal die Vlamen an, denen, wie oberflächliche
Beobachter im Siegestaumel behaupten, unsere vorläufige Besetzung -- man
wendet bereits das Wort Eroberung an -- hochwillkomner sein müßte. Sie
ist es sicherlich insofern, als der deutsche Sieg ihnen das große Stück Arbeit
des Selbständigwerdens abnimmt oder wenigstens leichter macht; deshalb sind
sie uns jetzt nach der Niederwerfung von Belgien auch freundlich gesinnt.
Anders jedoch stellt sich die Sache, sobald man der Frage auf den Leib rückt:
wollen die Vlamen nun auch staatlich Deutsche werden? Meine Antwort lautet:
ja, wenn wir ihnen eine nationale Unabhängigkeit, ein vlämisches Reich,
eine politische Anlehnung an uns, zu Schutz und Trutz, verschaffen; nein, wenn
.wir eine deutsche Provinz oder ein deutsches Reichsland aus ihnen machen


planen und Wallonen

vlämischem Element, welch letzteres selbst eben dort seine unversöhnlichsten Widersacher
gefunden hat. Sie wäre uns ein ewiger Dorn im Fleische, eine Quelle unaus¬
gesetzter Reibungen. Wir müßten in ihr als faustkräftiger Unterjocher des
Charakters und der Sprache von Land und Leuten auftreten, eine Rolle, die
uns nicht zu Gesicht steht und die vor allem uns nicht zur wohlverdienten
Ruhe nach den übermenschlichen Anstrengungen des gegenwärtigen Krieges
kommen lassen würde. Wir fänden allerdings auch im Lütticher Gebiet
wallonische Verbissenheit und Abneigung gegen eine mögliche Einverleibung
oder politische Anschließung an das Deutsche Reich. Zwischen Welkenraedt,
Gemmenich, Herbestal und Verviers aber ist, auch für die Maaswallonen, das
deutsche Element bereits zu einem so einschneidenden wirtschaftlichen Faktor
geworden, und der Lütticher Wallone hat, wohlverstanden in Friedenszeiten,
bereits eine derartige, seinen ökonomischen Interessen dienende Schmiegsamkeit
bewiesen, daß sein Anschluß an die deutschen Sprach- und Interessengebiete,
die wir in Belgisch-Luxemburg sowie in den Belgischen Kempen und Belgisch-Lim-
burg bereits besitzen, ohne große Schwierigkeiten vollzogen werden könnte. In
den drei reindeutschen Sprachenklaven Belgiens begegnen wir ungefähr 78 bis
79 vom Hundert deutsch sprechenden Einwohnern, ohne Hinzuziehung der
dortigen reichsdeutschen Bewohner, die nur 4500 von 57000 betrugen. Es
war, wie gesagt, der politische Irrtum der Verträge von 1831 und 1839, eine
heute rund 80000 Seelen betragende rein deutsche Bevölkerung der Gefahr
auszusetzen, durch ihre Zersplitterung und Überweisung an Belgien vom
wallonisch > französischen Wesen allmählich verschlungen zu werden. Diesem
Schicksal sah die belgische Regierung gleichgültig zu, denn ihr einziges Zugeständnis
an ihre Untertanen deutscher Abstammung war gewesen, daß sie sich verpflichtete,
in den betreffenden Gebietsteilen Gesetze und Rechtsprechung auch in deutscher
Sprache — wohlverstanden nicht in dieser allein — zu veröffentlichen. Und
so wurde dieses Partikelchen deutscher Rasse nach und nach ein für das Deutsch¬
tum verlorenes Anhängsel der belgischen französischen Welt, nicht der belgisch-
vlämischen, mit der sie nur die Unzufriedenheit über ihre Zwitterstellung teilte,
und von der sie unglücklicherweise auch räumlich vollständig getrennt war.

Sehen wir uns nun einmal die Vlamen an, denen, wie oberflächliche
Beobachter im Siegestaumel behaupten, unsere vorläufige Besetzung — man
wendet bereits das Wort Eroberung an — hochwillkomner sein müßte. Sie
ist es sicherlich insofern, als der deutsche Sieg ihnen das große Stück Arbeit
des Selbständigwerdens abnimmt oder wenigstens leichter macht; deshalb sind
sie uns jetzt nach der Niederwerfung von Belgien auch freundlich gesinnt.
Anders jedoch stellt sich die Sache, sobald man der Frage auf den Leib rückt:
wollen die Vlamen nun auch staatlich Deutsche werden? Meine Antwort lautet:
ja, wenn wir ihnen eine nationale Unabhängigkeit, ein vlämisches Reich,
eine politische Anlehnung an uns, zu Schutz und Trutz, verschaffen; nein, wenn
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/123>, abgerufen am 02.07.2024.