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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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pleurer und Wallonen

nötig gemacht. Unter den heutigen Umständen ist es die Kriegsfackel, welche
die inneren Verhältnisse Belgiens grell beleuchtet und dem deutschen Sieger
den Pfad weist, auf welchem er später zu einer befriedigenden Lösung der
Nationalitätenfrage im europäischen Westen gelangen kann. Voraussetzung ist
eben nur, daß er die Lehren der politischen Geographie besser zu handhaben und
zu befolgen weiß, als die preußische Diplomatie der dreißiger Jahre des ver¬
flossenen Jahrhunderts.

Wir haben hierbei vor allem mit den gegebenen inneren Verhältnissen des
bisherigen Belgiens zu rechnen. Zunächst haben wir nur ins Auge zu fassen,
daß wir, da uns die Lösung der europäischen nationalen Fragen mehr als
wahrscheinlich vorbehalten sein wird, bei der Gestaltung der politischen Be¬
schaffenheit Belgiens die Rolle eines diplomatischen Chemikers zu spielen haben
werden, der in seinem Laboratorium die Bestandteile und Volumen der
zwei Volksstämme, die äußerlich ein einheitliches Belgien bilden, zu analysieren
und zu scheiden hat, ehe er einen neuen Körper, der diesmal wie aus einem
Guß sein muß, herstellt. Es gibt heißblutige und ungeduldige Politiker
und Polemiker genug, die von einer solchen langsamen, aber zuverlässigen
chemischen Prozedur nichts wissen wollen und den Satz früherer Eroberer ver¬
fechten, man solle einfach nehmen, was man sich mit Waffengewalt erzwungen
hat, um so mehr, wenn man, dank der viamischen Blutsverwandtschaft, fast ein
Recht hat, sich das eroberte anzueignen und einzuverleiben. Diese Stürmer
vergessen, daß man heutzutage, selbst als Sieger, zunächst vor allem das Ende
kriegerischer Verwicklungen abzuwarten hat, ehe man sagen darf, das will und
das nehme ich. Es sind fernerhin auch so manche andere Umstände abzuwägen,
die sich der einfachen Streichung selbständiger nationaler Existenzen widersetzen.
Es macht sich neuerdings immer mehr auch der Grundsatz einer nationalen
Nebenordnung an Stelle einer Unterordnung als sehr zu berücksichtigender
Wirtschaftsfaktor geltend. Meines Erachtens ist es daher weit angebrachter,
zunächst nur einen Leitfaden abzurollen, der sich aus den in einem Lande, in
diesem Falle Belgien, vorgefundenen und durch eigene Prüfung festgestellten
Verhältnissen abwickelt, um sein mit dem Ergebnis der Beobachtungen reich
beschwertes Ende denen in die Hand zu geben, die berufen sind, das Amt von
diplomatischen Chemikern im reichsdeutschen Laboratorium zu bekleiden.

Die Vorsehung und die politischen Umstände scheinen uns also dazu aus¬
ersehen zu haben, die zwei Welten, welche bisher den belgischen Gesamtglobus
bildeten, im Interesse der Rettung urdeutschen Volkstums trennen zu sollen, und die
beiden neu zu formenden Körper fernerhin, nach unserem Willen und gemäß
Miseren Vorschriften, um unseren deutschen zentralen Staatskörper kreisen zu lassen.
Die eine Welt, die gallisch-wallonische, deren Brennpunkt das schwer zu handhabende,
sich eher durch faulenzende Verschwendungssucht als durch betriebsame Industrie
auszeichnende Brüssel ist, erstreckt sich über Mons, Charleroi und die französischen
Ardennen nach Frankreich hinein und ist so gut wie entblößt von deutschem und


pleurer und Wallonen

nötig gemacht. Unter den heutigen Umständen ist es die Kriegsfackel, welche
die inneren Verhältnisse Belgiens grell beleuchtet und dem deutschen Sieger
den Pfad weist, auf welchem er später zu einer befriedigenden Lösung der
Nationalitätenfrage im europäischen Westen gelangen kann. Voraussetzung ist
eben nur, daß er die Lehren der politischen Geographie besser zu handhaben und
zu befolgen weiß, als die preußische Diplomatie der dreißiger Jahre des ver¬
flossenen Jahrhunderts.

Wir haben hierbei vor allem mit den gegebenen inneren Verhältnissen des
bisherigen Belgiens zu rechnen. Zunächst haben wir nur ins Auge zu fassen,
daß wir, da uns die Lösung der europäischen nationalen Fragen mehr als
wahrscheinlich vorbehalten sein wird, bei der Gestaltung der politischen Be¬
schaffenheit Belgiens die Rolle eines diplomatischen Chemikers zu spielen haben
werden, der in seinem Laboratorium die Bestandteile und Volumen der
zwei Volksstämme, die äußerlich ein einheitliches Belgien bilden, zu analysieren
und zu scheiden hat, ehe er einen neuen Körper, der diesmal wie aus einem
Guß sein muß, herstellt. Es gibt heißblutige und ungeduldige Politiker
und Polemiker genug, die von einer solchen langsamen, aber zuverlässigen
chemischen Prozedur nichts wissen wollen und den Satz früherer Eroberer ver¬
fechten, man solle einfach nehmen, was man sich mit Waffengewalt erzwungen
hat, um so mehr, wenn man, dank der viamischen Blutsverwandtschaft, fast ein
Recht hat, sich das eroberte anzueignen und einzuverleiben. Diese Stürmer
vergessen, daß man heutzutage, selbst als Sieger, zunächst vor allem das Ende
kriegerischer Verwicklungen abzuwarten hat, ehe man sagen darf, das will und
das nehme ich. Es sind fernerhin auch so manche andere Umstände abzuwägen,
die sich der einfachen Streichung selbständiger nationaler Existenzen widersetzen.
Es macht sich neuerdings immer mehr auch der Grundsatz einer nationalen
Nebenordnung an Stelle einer Unterordnung als sehr zu berücksichtigender
Wirtschaftsfaktor geltend. Meines Erachtens ist es daher weit angebrachter,
zunächst nur einen Leitfaden abzurollen, der sich aus den in einem Lande, in
diesem Falle Belgien, vorgefundenen und durch eigene Prüfung festgestellten
Verhältnissen abwickelt, um sein mit dem Ergebnis der Beobachtungen reich
beschwertes Ende denen in die Hand zu geben, die berufen sind, das Amt von
diplomatischen Chemikern im reichsdeutschen Laboratorium zu bekleiden.

Die Vorsehung und die politischen Umstände scheinen uns also dazu aus¬
ersehen zu haben, die zwei Welten, welche bisher den belgischen Gesamtglobus
bildeten, im Interesse der Rettung urdeutschen Volkstums trennen zu sollen, und die
beiden neu zu formenden Körper fernerhin, nach unserem Willen und gemäß
Miseren Vorschriften, um unseren deutschen zentralen Staatskörper kreisen zu lassen.
Die eine Welt, die gallisch-wallonische, deren Brennpunkt das schwer zu handhabende,
sich eher durch faulenzende Verschwendungssucht als durch betriebsame Industrie
auszeichnende Brüssel ist, erstreckt sich über Mons, Charleroi und die französischen
Ardennen nach Frankreich hinein und ist so gut wie entblößt von deutschem und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/122>, abgerufen am 02.07.2024.