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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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planen und Wallonen

Es ist leicht, das Recht der kleinen Staaten auf Schutz durch die Groß,
Staaten und auf deren unverletzliche Neutralität zu proklamieren, so lange
niemand da ist, der sie anzugreifen und zu gefährden gedenkt. Es war vielleicht
eine Wohltat für die im Jahre 1831 paktierenden Staaten, ein neutrales
Land zu schaffen, dessen geographische Lage bedingte, daß sich niemand an ihm
vergreifen und so die anderen Kontrahenten übervorteilen konnte. War demnach
der Gedanke der Bestätigung eines neutralen Belgiens der damaligen, politisch
arg durchwühlten internationalen Lage entsprechend, so hätte man es aber doch
auch damals schon weniger eilig haben und besser überlegen müssen, wie sich
später einmal die inneren Verhältnisse des neugebackenen Pufferstaates gestalten
könnten, wenn man ihn aus drei so grundverschiedenen und geradezu einander
feindlichen Elemente bilden würde, wie das vlämische. das französische und das
luxemburgisch-deutsche es sind. Die Diplomaten jener Zeit waren eben in der
politischen Geographie noch wenig bewandert. Die Frage, wer sich zum
bequemsten und gefügigsten Fürsten des neutralen Belgiens machen ließe, erschien
ihnen wichtiger, als jene, wie der angeblich durch den freien Willen der
Nation erwählte König, seine gemischten Untertanen zu einer im patriotischen
Sinne einträchtig fühlenden Nation zusammenschweißen würde. Man teilte also die
Niederlande frisch darauf los, und Preußen gab, ich will nicht sagen gewissen¬
los, aber doch sehr wenig umsichtig und voraussehend, die dem neuen Belgien
verbleibenden deutschen und vlämischen Einwohner einem Monarchen preis, der
nur noch dem Namen nach ein deutscher Fürst war. Von der Thronbesteigung
Leopolds des Ersten an war der französische Einfluß stets, der englische vielfach
in Belgien maßgebend, die Vlamen blieben unbeachtet und wurden nicht für voll
angesehen, trotzdem ihre Anzahl der der beiden anderen Volksstämme das Gleich¬
gewicht hielt. Ihre Sprache wurde für bäurisch und unfein erklärt, ihre Literatur
verlacht, ihreKultur der einesBauernoolkes gleich erachtet. Selbst Leopold derZweite,
wenn er auch der vlämischen Sprache den Charakter einer mit dem Französischen
gleich bewerteten Amtssprache verlieh, behandelte seine vlämischen Untertanen
nur deshalb rücksichtsvoll, weil er sich ihrer für manche seiner Pläne, namentlich
der überseeischen und kolonialen, bedienen konnte. Entschieden aufmunternd
verhielt sich erst König Albert ihnen gegenüber, soweit seine eigene Person in
Frage kam. Wenn es wahr ist, daß er Antwerpen hatte übergeben wollen,
so bin ich überzeugt, daß diese kluge Absicht ihm nicht zuletzt durch seine
loyale Denkweise den Vlamen gegenüber eingegeben worden war.

Der bedauernswerte Mißgriff von 1831 war nun einmal geschehen, aber
es zeigte sich zuerst nur sporadisch, in den letzten Jahrzehnten jedoch immer
häufiger, daß die zwei nationalen Welten, aus denen Belgien zusammengesetzt
war, von Jahr zu Jahr mehr Neibungsstoff aufwiesen. Die Stichflamme, die
eine derselben verbrannt und damit das gesamte Staatsgesüge zerstört hätte,
wäre auch ohne europäischen Krieg eines Tages aufgelodert und hätte ein neues
diplomatisches Schachspiel, wahrscheinlich zugunsten eines rein vlämischen Belgiens,


planen und Wallonen

Es ist leicht, das Recht der kleinen Staaten auf Schutz durch die Groß,
Staaten und auf deren unverletzliche Neutralität zu proklamieren, so lange
niemand da ist, der sie anzugreifen und zu gefährden gedenkt. Es war vielleicht
eine Wohltat für die im Jahre 1831 paktierenden Staaten, ein neutrales
Land zu schaffen, dessen geographische Lage bedingte, daß sich niemand an ihm
vergreifen und so die anderen Kontrahenten übervorteilen konnte. War demnach
der Gedanke der Bestätigung eines neutralen Belgiens der damaligen, politisch
arg durchwühlten internationalen Lage entsprechend, so hätte man es aber doch
auch damals schon weniger eilig haben und besser überlegen müssen, wie sich
später einmal die inneren Verhältnisse des neugebackenen Pufferstaates gestalten
könnten, wenn man ihn aus drei so grundverschiedenen und geradezu einander
feindlichen Elemente bilden würde, wie das vlämische. das französische und das
luxemburgisch-deutsche es sind. Die Diplomaten jener Zeit waren eben in der
politischen Geographie noch wenig bewandert. Die Frage, wer sich zum
bequemsten und gefügigsten Fürsten des neutralen Belgiens machen ließe, erschien
ihnen wichtiger, als jene, wie der angeblich durch den freien Willen der
Nation erwählte König, seine gemischten Untertanen zu einer im patriotischen
Sinne einträchtig fühlenden Nation zusammenschweißen würde. Man teilte also die
Niederlande frisch darauf los, und Preußen gab, ich will nicht sagen gewissen¬
los, aber doch sehr wenig umsichtig und voraussehend, die dem neuen Belgien
verbleibenden deutschen und vlämischen Einwohner einem Monarchen preis, der
nur noch dem Namen nach ein deutscher Fürst war. Von der Thronbesteigung
Leopolds des Ersten an war der französische Einfluß stets, der englische vielfach
in Belgien maßgebend, die Vlamen blieben unbeachtet und wurden nicht für voll
angesehen, trotzdem ihre Anzahl der der beiden anderen Volksstämme das Gleich¬
gewicht hielt. Ihre Sprache wurde für bäurisch und unfein erklärt, ihre Literatur
verlacht, ihreKultur der einesBauernoolkes gleich erachtet. Selbst Leopold derZweite,
wenn er auch der vlämischen Sprache den Charakter einer mit dem Französischen
gleich bewerteten Amtssprache verlieh, behandelte seine vlämischen Untertanen
nur deshalb rücksichtsvoll, weil er sich ihrer für manche seiner Pläne, namentlich
der überseeischen und kolonialen, bedienen konnte. Entschieden aufmunternd
verhielt sich erst König Albert ihnen gegenüber, soweit seine eigene Person in
Frage kam. Wenn es wahr ist, daß er Antwerpen hatte übergeben wollen,
so bin ich überzeugt, daß diese kluge Absicht ihm nicht zuletzt durch seine
loyale Denkweise den Vlamen gegenüber eingegeben worden war.

Der bedauernswerte Mißgriff von 1831 war nun einmal geschehen, aber
es zeigte sich zuerst nur sporadisch, in den letzten Jahrzehnten jedoch immer
häufiger, daß die zwei nationalen Welten, aus denen Belgien zusammengesetzt
war, von Jahr zu Jahr mehr Neibungsstoff aufwiesen. Die Stichflamme, die
eine derselben verbrannt und damit das gesamte Staatsgesüge zerstört hätte,
wäre auch ohne europäischen Krieg eines Tages aufgelodert und hätte ein neues
diplomatisches Schachspiel, wahrscheinlich zugunsten eines rein vlämischen Belgiens,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/121>, abgerufen am 02.07.2024.