Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
planen und Mallonen

Vlamen und Wallonen. Wir kennen heute die Prämien, die die belgische
Negierung in letzter Stunde den Vlamen geboten hatte, um sie nicht abtrünnig
und aufsässig werden zu sehen. Wir unserseits glaubten, daß das Antwerpener
Volk genau so niederträchtig und heimtückisch feige wäre wie das Brüsseler.
Es war aber nur der Nachahmungstrieb, es der Hauptstadt gleich zu tun, der
die Antwerpener gepackt hatte, außerdem noch die englisch-französische Aufhetzung
und die Angst vor dem Kriege überhaupt. Am ersten Tage des Einzuges
unserer Truppen in die Scheidestadt konnten wir schon klar erkennen, wo unsere
ewigen Feinde und wo unsere vermutlichen Freunde in Belgien stecken, nachdem
des Landes Los erst einmal, wenigstens zunächst besiegelt war. Und jeder
weitere Tag wird es uns immer klarer werden lassen, daß der Krieg sür
Belgien selbst eine Erlösung von unerträglichen inneren Zuständen, die Abwehr
einer inneren Revolution bedeuten wird. In Belgien gab es zwei Welten,
von denen die eine früher oder später hätte unterliegen müssen. Der Sieg
wäre derjenigen verblieben, deren Lebenssäfte die kräftigeren gewesen wären.
Die Vlamen haben Jahrhunderte voller Kämpfe und Unterdrückungen über¬
standen und immer wieder reckenhaft den Kopf aufgerichtet. Sie sind Art von
unserer Art und wären gewiß nicht die unterliegenden gewesen. Sie wären
schon früher zum Bewußtsein ihrer Kraft und Intelligenz gekommen, hätten sie
sich nicht zum Wohle der durch sie geschaffenen neuen belgischen Nation solange
still verhalten wollen, bis ihre Stunde kam. Auch darin gleichen sie uns: sie sind
geduldig und dulden lieber solange als möglich Unrecht, ehe sie sich hinreißen lassen,
einen Weltbrand zu entzünden, packen aber auch zu, sobald feindlicher Übermut zu
groß und die Existenz der Nation in Frage gestellt wird. Mit staunender Be¬
friedigung hat man gesehen, wie Antwerpen schon am ersten Tage der Einnahme
sich benommen hat. unsere Leute fühlten sich sofort wie zu Hause, sie werden
auch für die Folge niemals das Gefühl haben, als müßten sie vor der
Bevölkerung auf der Hut sein. Im Handumdrehen lebte die Stadt wieder
auf, begann Handel und Wandel, den Verhältnissen entsprechend, von neuem,
als wäre eigentlich gar nichts vorgefallen, -- so lauteten naiv anmutend die
Berichte von Augenzeugen. Und nur eine halbe Stunde entfernt, in Brüssel,
lauern Tücke und Verrat, niedergehalten nur durch die Angst vor deutschen
Kolbenschlägen und die Schlünde der deutschen Geschütze auf der Höhe des
kapitolinischen Justizpalastes. Ewig werden sie dort leben und sich noch in
manchen Explosionen gegen die deutschen Unterwerfer Lust machen, gleichviel,
ob jetzt, ob später, selbst wenn wieder geordnete Verhältnisse eingetreten sein
werden, und in welcher Form auch immer. Wen eingefleischter Haß blind
macht, dem ist nicht zu helfen. Man braucht ihm darob nicht gleich den Hals um¬
drehen zu wollen, man läßt ihn einfach am Wege liegen. Will er dort umkommen, so
ist es sein eigener Wille; besinnt er sich noch eines besseren, was in diesem Falle
jedoch so gut wie ausgeschlossen sein wird, so kennt er den Weg zum Frieden und zu
der Hand, die allein ihm zu einer neuen und dauernden Existenz verhelfen kann.


planen und Mallonen

Vlamen und Wallonen. Wir kennen heute die Prämien, die die belgische
Negierung in letzter Stunde den Vlamen geboten hatte, um sie nicht abtrünnig
und aufsässig werden zu sehen. Wir unserseits glaubten, daß das Antwerpener
Volk genau so niederträchtig und heimtückisch feige wäre wie das Brüsseler.
Es war aber nur der Nachahmungstrieb, es der Hauptstadt gleich zu tun, der
die Antwerpener gepackt hatte, außerdem noch die englisch-französische Aufhetzung
und die Angst vor dem Kriege überhaupt. Am ersten Tage des Einzuges
unserer Truppen in die Scheidestadt konnten wir schon klar erkennen, wo unsere
ewigen Feinde und wo unsere vermutlichen Freunde in Belgien stecken, nachdem
des Landes Los erst einmal, wenigstens zunächst besiegelt war. Und jeder
weitere Tag wird es uns immer klarer werden lassen, daß der Krieg sür
Belgien selbst eine Erlösung von unerträglichen inneren Zuständen, die Abwehr
einer inneren Revolution bedeuten wird. In Belgien gab es zwei Welten,
von denen die eine früher oder später hätte unterliegen müssen. Der Sieg
wäre derjenigen verblieben, deren Lebenssäfte die kräftigeren gewesen wären.
Die Vlamen haben Jahrhunderte voller Kämpfe und Unterdrückungen über¬
standen und immer wieder reckenhaft den Kopf aufgerichtet. Sie sind Art von
unserer Art und wären gewiß nicht die unterliegenden gewesen. Sie wären
schon früher zum Bewußtsein ihrer Kraft und Intelligenz gekommen, hätten sie
sich nicht zum Wohle der durch sie geschaffenen neuen belgischen Nation solange
still verhalten wollen, bis ihre Stunde kam. Auch darin gleichen sie uns: sie sind
geduldig und dulden lieber solange als möglich Unrecht, ehe sie sich hinreißen lassen,
einen Weltbrand zu entzünden, packen aber auch zu, sobald feindlicher Übermut zu
groß und die Existenz der Nation in Frage gestellt wird. Mit staunender Be¬
friedigung hat man gesehen, wie Antwerpen schon am ersten Tage der Einnahme
sich benommen hat. unsere Leute fühlten sich sofort wie zu Hause, sie werden
auch für die Folge niemals das Gefühl haben, als müßten sie vor der
Bevölkerung auf der Hut sein. Im Handumdrehen lebte die Stadt wieder
auf, begann Handel und Wandel, den Verhältnissen entsprechend, von neuem,
als wäre eigentlich gar nichts vorgefallen, — so lauteten naiv anmutend die
Berichte von Augenzeugen. Und nur eine halbe Stunde entfernt, in Brüssel,
lauern Tücke und Verrat, niedergehalten nur durch die Angst vor deutschen
Kolbenschlägen und die Schlünde der deutschen Geschütze auf der Höhe des
kapitolinischen Justizpalastes. Ewig werden sie dort leben und sich noch in
manchen Explosionen gegen die deutschen Unterwerfer Lust machen, gleichviel,
ob jetzt, ob später, selbst wenn wieder geordnete Verhältnisse eingetreten sein
werden, und in welcher Form auch immer. Wen eingefleischter Haß blind
macht, dem ist nicht zu helfen. Man braucht ihm darob nicht gleich den Hals um¬
drehen zu wollen, man läßt ihn einfach am Wege liegen. Will er dort umkommen, so
ist es sein eigener Wille; besinnt er sich noch eines besseren, was in diesem Falle
jedoch so gut wie ausgeschlossen sein wird, so kennt er den Weg zum Frieden und zu
der Hand, die allein ihm zu einer neuen und dauernden Existenz verhelfen kann.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329348"/>
          <fw type="header" place="top"> planen und Mallonen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_336" prev="#ID_335"> Vlamen und Wallonen. Wir kennen heute die Prämien, die die belgische<lb/>
Negierung in letzter Stunde den Vlamen geboten hatte, um sie nicht abtrünnig<lb/>
und aufsässig werden zu sehen. Wir unserseits glaubten, daß das Antwerpener<lb/>
Volk genau so niederträchtig und heimtückisch feige wäre wie das Brüsseler.<lb/>
Es war aber nur der Nachahmungstrieb, es der Hauptstadt gleich zu tun, der<lb/>
die Antwerpener gepackt hatte, außerdem noch die englisch-französische Aufhetzung<lb/>
und die Angst vor dem Kriege überhaupt. Am ersten Tage des Einzuges<lb/>
unserer Truppen in die Scheidestadt konnten wir schon klar erkennen, wo unsere<lb/>
ewigen Feinde und wo unsere vermutlichen Freunde in Belgien stecken, nachdem<lb/>
des Landes Los erst einmal, wenigstens zunächst besiegelt war. Und jeder<lb/>
weitere Tag wird es uns immer klarer werden lassen, daß der Krieg sür<lb/>
Belgien selbst eine Erlösung von unerträglichen inneren Zuständen, die Abwehr<lb/>
einer inneren Revolution bedeuten wird. In Belgien gab es zwei Welten,<lb/>
von denen die eine früher oder später hätte unterliegen müssen. Der Sieg<lb/>
wäre derjenigen verblieben, deren Lebenssäfte die kräftigeren gewesen wären.<lb/>
Die Vlamen haben Jahrhunderte voller Kämpfe und Unterdrückungen über¬<lb/>
standen und immer wieder reckenhaft den Kopf aufgerichtet. Sie sind Art von<lb/>
unserer Art und wären gewiß nicht die unterliegenden gewesen. Sie wären<lb/>
schon früher zum Bewußtsein ihrer Kraft und Intelligenz gekommen, hätten sie<lb/>
sich nicht zum Wohle der durch sie geschaffenen neuen belgischen Nation solange<lb/>
still verhalten wollen, bis ihre Stunde kam. Auch darin gleichen sie uns: sie sind<lb/>
geduldig und dulden lieber solange als möglich Unrecht, ehe sie sich hinreißen lassen,<lb/>
einen Weltbrand zu entzünden, packen aber auch zu, sobald feindlicher Übermut zu<lb/>
groß und die Existenz der Nation in Frage gestellt wird. Mit staunender Be¬<lb/>
friedigung hat man gesehen, wie Antwerpen schon am ersten Tage der Einnahme<lb/>
sich benommen hat. unsere Leute fühlten sich sofort wie zu Hause, sie werden<lb/>
auch für die Folge niemals das Gefühl haben, als müßten sie vor der<lb/>
Bevölkerung auf der Hut sein. Im Handumdrehen lebte die Stadt wieder<lb/>
auf, begann Handel und Wandel, den Verhältnissen entsprechend, von neuem,<lb/>
als wäre eigentlich gar nichts vorgefallen, &#x2014; so lauteten naiv anmutend die<lb/>
Berichte von Augenzeugen. Und nur eine halbe Stunde entfernt, in Brüssel,<lb/>
lauern Tücke und Verrat, niedergehalten nur durch die Angst vor deutschen<lb/>
Kolbenschlägen und die Schlünde der deutschen Geschütze auf der Höhe des<lb/>
kapitolinischen Justizpalastes. Ewig werden sie dort leben und sich noch in<lb/>
manchen Explosionen gegen die deutschen Unterwerfer Lust machen, gleichviel,<lb/>
ob jetzt, ob später, selbst wenn wieder geordnete Verhältnisse eingetreten sein<lb/>
werden, und in welcher Form auch immer. Wen eingefleischter Haß blind<lb/>
macht, dem ist nicht zu helfen. Man braucht ihm darob nicht gleich den Hals um¬<lb/>
drehen zu wollen, man läßt ihn einfach am Wege liegen. Will er dort umkommen, so<lb/>
ist es sein eigener Wille; besinnt er sich noch eines besseren, was in diesem Falle<lb/>
jedoch so gut wie ausgeschlossen sein wird, so kennt er den Weg zum Frieden und zu<lb/>
der Hand, die allein ihm zu einer neuen und dauernden Existenz verhelfen kann.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0120] planen und Mallonen Vlamen und Wallonen. Wir kennen heute die Prämien, die die belgische Negierung in letzter Stunde den Vlamen geboten hatte, um sie nicht abtrünnig und aufsässig werden zu sehen. Wir unserseits glaubten, daß das Antwerpener Volk genau so niederträchtig und heimtückisch feige wäre wie das Brüsseler. Es war aber nur der Nachahmungstrieb, es der Hauptstadt gleich zu tun, der die Antwerpener gepackt hatte, außerdem noch die englisch-französische Aufhetzung und die Angst vor dem Kriege überhaupt. Am ersten Tage des Einzuges unserer Truppen in die Scheidestadt konnten wir schon klar erkennen, wo unsere ewigen Feinde und wo unsere vermutlichen Freunde in Belgien stecken, nachdem des Landes Los erst einmal, wenigstens zunächst besiegelt war. Und jeder weitere Tag wird es uns immer klarer werden lassen, daß der Krieg sür Belgien selbst eine Erlösung von unerträglichen inneren Zuständen, die Abwehr einer inneren Revolution bedeuten wird. In Belgien gab es zwei Welten, von denen die eine früher oder später hätte unterliegen müssen. Der Sieg wäre derjenigen verblieben, deren Lebenssäfte die kräftigeren gewesen wären. Die Vlamen haben Jahrhunderte voller Kämpfe und Unterdrückungen über¬ standen und immer wieder reckenhaft den Kopf aufgerichtet. Sie sind Art von unserer Art und wären gewiß nicht die unterliegenden gewesen. Sie wären schon früher zum Bewußtsein ihrer Kraft und Intelligenz gekommen, hätten sie sich nicht zum Wohle der durch sie geschaffenen neuen belgischen Nation solange still verhalten wollen, bis ihre Stunde kam. Auch darin gleichen sie uns: sie sind geduldig und dulden lieber solange als möglich Unrecht, ehe sie sich hinreißen lassen, einen Weltbrand zu entzünden, packen aber auch zu, sobald feindlicher Übermut zu groß und die Existenz der Nation in Frage gestellt wird. Mit staunender Be¬ friedigung hat man gesehen, wie Antwerpen schon am ersten Tage der Einnahme sich benommen hat. unsere Leute fühlten sich sofort wie zu Hause, sie werden auch für die Folge niemals das Gefühl haben, als müßten sie vor der Bevölkerung auf der Hut sein. Im Handumdrehen lebte die Stadt wieder auf, begann Handel und Wandel, den Verhältnissen entsprechend, von neuem, als wäre eigentlich gar nichts vorgefallen, — so lauteten naiv anmutend die Berichte von Augenzeugen. Und nur eine halbe Stunde entfernt, in Brüssel, lauern Tücke und Verrat, niedergehalten nur durch die Angst vor deutschen Kolbenschlägen und die Schlünde der deutschen Geschütze auf der Höhe des kapitolinischen Justizpalastes. Ewig werden sie dort leben und sich noch in manchen Explosionen gegen die deutschen Unterwerfer Lust machen, gleichviel, ob jetzt, ob später, selbst wenn wieder geordnete Verhältnisse eingetreten sein werden, und in welcher Form auch immer. Wen eingefleischter Haß blind macht, dem ist nicht zu helfen. Man braucht ihm darob nicht gleich den Hals um¬ drehen zu wollen, man läßt ihn einfach am Wege liegen. Will er dort umkommen, so ist es sein eigener Wille; besinnt er sich noch eines besseren, was in diesem Falle jedoch so gut wie ausgeschlossen sein wird, so kennt er den Weg zum Frieden und zu der Hand, die allein ihm zu einer neuen und dauernden Existenz verhelfen kann.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/120
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/120>, abgerufen am 02.07.2024.