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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Vlamen und Wallonen
V Alfred Rnhemann on

es habe bei früherer Gelegenheit an dieser Stelle (Grenzboten
Ur. 40 dieses Jahres) durchblicken lassen, daß Belgiens innere
Verhältnisse unhaltbar einer Auseinandersetzung entgegentrieben,
und daß der gegenwärtige Krieg darin nur einen Aufschub
herbeigeführt habe. Ich habe erklären können, auf welche Weise
das belgische Nationalitätsgefühl von der eigenen Negierung wachgerufen, auf¬
gestachelt und bestochen worden war, jenes vaterländische Gefühl, das der
Belgier seit den Revolutionstagen des Jahres 1830 entbehren zu können
glaubte, -- ein Mangel, über den mit aufrichtiger Selbsterkenntnis zu witzeln,
er stets der erste gewesen war. Seine Erinnerung an die Gedenktage der
errungenen Unabhängigkeit mußte in Jahrmarktsmanier durch Jubiläums¬
ausstellungen und prunkhaste Umzüge aufgepeitscht werden, andernfalls wären
diese immer mehr in Vergessenheit geraten. Bei den Manier allerdings lag
die Sache anders. Diese ließen es sich nicht nehmen, alljährlich den Tag der
Goldenen Sporenschlacht zu feiern, in welcher die Blüte der französischen Ritter¬
schaft bei Kortryk von den Äxten und Streitkolben der flandrischen Gewerkler
niedergemäht worden war. Je erboster man in Paris darüber war, je tiefer
die belgische Regierung deswegen vor Frankreich zu Kreuze kroch und abbat,
desto Heller und energischer klang der "Flandrische Löwe" und das Geusenlied
durch die Straßen und Städte Flanderns und Antwerpens. Je mehr man
auf diese Weise die Hälfte der eigenen Bevölkerung vor den Franzosen ver¬
leugnete, desto weiter öffnete sich die Kluft zwischen dem germanischen und gallischen
Element in Belgien, desto mehr ging das Land einer inneren Zersetzung entgegen.

Der schnelle Fall von Antwerpen hat nun unbedingt dazu beigetragen,
eine Lage, schneller als gehofft, zu einer Klärung zu bringen, von der wir uns
die besten Folgen versprechen dürfen. Wären die von einem unerklärlichen
Wahnsinn eingegebenen Ausschreitungen des Antwerpener Hafenpöbels gegen
Deutsche und deutsches Eigentum nicht gewesen, so hätte es gar nicht erst der
militärischen Eroberung der prächtigen Hafenstadt bedurft, um uns die Ge¬
wißheit zu schaffen, daß in ihr heimlich Tausende von Herzen dem deutschen
Freunde ehrlich entgegenpochten. Durch jene Ausschreitungen aber wurden wir
irregeführt, wie auch durch die Tatsache des plötzlich zum Vorschein kommenden
Nationalitätsgesühles der nun zum ersten Male gemeinsam marschierenden




Vlamen und Wallonen
V Alfred Rnhemann on

es habe bei früherer Gelegenheit an dieser Stelle (Grenzboten
Ur. 40 dieses Jahres) durchblicken lassen, daß Belgiens innere
Verhältnisse unhaltbar einer Auseinandersetzung entgegentrieben,
und daß der gegenwärtige Krieg darin nur einen Aufschub
herbeigeführt habe. Ich habe erklären können, auf welche Weise
das belgische Nationalitätsgefühl von der eigenen Negierung wachgerufen, auf¬
gestachelt und bestochen worden war, jenes vaterländische Gefühl, das der
Belgier seit den Revolutionstagen des Jahres 1830 entbehren zu können
glaubte, — ein Mangel, über den mit aufrichtiger Selbsterkenntnis zu witzeln,
er stets der erste gewesen war. Seine Erinnerung an die Gedenktage der
errungenen Unabhängigkeit mußte in Jahrmarktsmanier durch Jubiläums¬
ausstellungen und prunkhaste Umzüge aufgepeitscht werden, andernfalls wären
diese immer mehr in Vergessenheit geraten. Bei den Manier allerdings lag
die Sache anders. Diese ließen es sich nicht nehmen, alljährlich den Tag der
Goldenen Sporenschlacht zu feiern, in welcher die Blüte der französischen Ritter¬
schaft bei Kortryk von den Äxten und Streitkolben der flandrischen Gewerkler
niedergemäht worden war. Je erboster man in Paris darüber war, je tiefer
die belgische Regierung deswegen vor Frankreich zu Kreuze kroch und abbat,
desto Heller und energischer klang der „Flandrische Löwe" und das Geusenlied
durch die Straßen und Städte Flanderns und Antwerpens. Je mehr man
auf diese Weise die Hälfte der eigenen Bevölkerung vor den Franzosen ver¬
leugnete, desto weiter öffnete sich die Kluft zwischen dem germanischen und gallischen
Element in Belgien, desto mehr ging das Land einer inneren Zersetzung entgegen.

Der schnelle Fall von Antwerpen hat nun unbedingt dazu beigetragen,
eine Lage, schneller als gehofft, zu einer Klärung zu bringen, von der wir uns
die besten Folgen versprechen dürfen. Wären die von einem unerklärlichen
Wahnsinn eingegebenen Ausschreitungen des Antwerpener Hafenpöbels gegen
Deutsche und deutsches Eigentum nicht gewesen, so hätte es gar nicht erst der
militärischen Eroberung der prächtigen Hafenstadt bedurft, um uns die Ge¬
wißheit zu schaffen, daß in ihr heimlich Tausende von Herzen dem deutschen
Freunde ehrlich entgegenpochten. Durch jene Ausschreitungen aber wurden wir
irregeführt, wie auch durch die Tatsache des plötzlich zum Vorschein kommenden
Nationalitätsgesühles der nun zum ersten Male gemeinsam marschierenden


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[0119] [Abbildung] Vlamen und Wallonen V Alfred Rnhemann on es habe bei früherer Gelegenheit an dieser Stelle (Grenzboten Ur. 40 dieses Jahres) durchblicken lassen, daß Belgiens innere Verhältnisse unhaltbar einer Auseinandersetzung entgegentrieben, und daß der gegenwärtige Krieg darin nur einen Aufschub herbeigeführt habe. Ich habe erklären können, auf welche Weise das belgische Nationalitätsgefühl von der eigenen Negierung wachgerufen, auf¬ gestachelt und bestochen worden war, jenes vaterländische Gefühl, das der Belgier seit den Revolutionstagen des Jahres 1830 entbehren zu können glaubte, — ein Mangel, über den mit aufrichtiger Selbsterkenntnis zu witzeln, er stets der erste gewesen war. Seine Erinnerung an die Gedenktage der errungenen Unabhängigkeit mußte in Jahrmarktsmanier durch Jubiläums¬ ausstellungen und prunkhaste Umzüge aufgepeitscht werden, andernfalls wären diese immer mehr in Vergessenheit geraten. Bei den Manier allerdings lag die Sache anders. Diese ließen es sich nicht nehmen, alljährlich den Tag der Goldenen Sporenschlacht zu feiern, in welcher die Blüte der französischen Ritter¬ schaft bei Kortryk von den Äxten und Streitkolben der flandrischen Gewerkler niedergemäht worden war. Je erboster man in Paris darüber war, je tiefer die belgische Regierung deswegen vor Frankreich zu Kreuze kroch und abbat, desto Heller und energischer klang der „Flandrische Löwe" und das Geusenlied durch die Straßen und Städte Flanderns und Antwerpens. Je mehr man auf diese Weise die Hälfte der eigenen Bevölkerung vor den Franzosen ver¬ leugnete, desto weiter öffnete sich die Kluft zwischen dem germanischen und gallischen Element in Belgien, desto mehr ging das Land einer inneren Zersetzung entgegen. Der schnelle Fall von Antwerpen hat nun unbedingt dazu beigetragen, eine Lage, schneller als gehofft, zu einer Klärung zu bringen, von der wir uns die besten Folgen versprechen dürfen. Wären die von einem unerklärlichen Wahnsinn eingegebenen Ausschreitungen des Antwerpener Hafenpöbels gegen Deutsche und deutsches Eigentum nicht gewesen, so hätte es gar nicht erst der militärischen Eroberung der prächtigen Hafenstadt bedurft, um uns die Ge¬ wißheit zu schaffen, daß in ihr heimlich Tausende von Herzen dem deutschen Freunde ehrlich entgegenpochten. Durch jene Ausschreitungen aber wurden wir irregeführt, wie auch durch die Tatsache des plötzlich zum Vorschein kommenden Nationalitätsgesühles der nun zum ersten Male gemeinsam marschierenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/119>, abgerufen am 02.07.2024.