Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Weltwirtschaft und Weltkrieg

der kontinentalen Gegner den Rivalen zur See möglichst in Abstand zu
halten, um selbst in Friedenszeiten Deutschland -- unter entsprechender
egoistischer Ausnützung der eigenen Bundesgenossen -- durch starke Rüstungs¬
opfer wirtschaftlich nach Kräften zu schädigen. England, das sich vom Frieden
und engerer Freundschaft mit Deutschlands Feinden wirtschaftliche Vorteile
versprach, stand bei einem allgemeinen europäischen Aderlaß reicher Gewinn,
ohne eigenes großes Risiko in Aussicht. Dazu kam dann die persönliche Politik
Eduards des Siebenten, des Mannes, der als konstitutionellster Monarch Europas
es fertig brachte, als Persönlichkeit einer der stärksten Faktoren der diplomatischen
Geschichte der Neuzeit zu werden. Seine ausgesprochene gallische Vorliebe und
persönliche Verknüpfung mit gewissen Kreisen der Großindustrie und des Handels
seines Landes schrieben ihm den Weg vor.

Dann die unmittelbaren Anlässe des Krieges: Österreich wird vor die
Lebensfrage gestellt, den unruhigen mit allen gewissenlosen und verbrecherischen
Mitteln eines verkommenen Volkscharakters arbeitenden Nachbarstaat endgültig
zur Ordnung zu bringen. Rußland durch seine der Kriegspartei verschriebene
Diplomatie festgelegt, kann nicht zurück, ohne Gefahr zu laufen, nach mehreren
diplomatischen Rückzügen in der Balkanpolitik der letzten Jahre seine traditionelle
Stellung und sein Ansehen im südöstlichen Europa endgültig einzubüßen.
Frankreich erklärt sich solidarisch, hineingeritten durch seine frivolen Hetzereien
gegen Deutschland und in der Angst, sich durch eine Ablehnung dauernd bündnis¬
unfähig zu machen, dabei die Isolierung und Schwächung Rußlands ebenfalls
fürchtend, und gleichzeitig zitternd für den Verlust der in Rußland angelegten
Milliarden. England sieht die Gefahr eines nach Vernichtung seiner kontinentalen
Gegner übermächtigen Deutschlands. Es wirft sein Schwert in die Wagschale
in der Hoffnung, damit den Ausschlag zu geben, und durch den Sieg des Drei¬
verbandes der lästigen Konkurrenz des emporstrebenden Betters für immer ledig
zu werden.

Man redet vielfach von einem abgekarteten Spiele gegenüber Deutschland.
Und wirklich lassen gewisse frühe Truppenbewegungen von Frankreich und
Nußland diesen Verdacht aufkommen. Aber vermutlich ist diese Ansicht doch
unrichtig. Wohl versuchten beide Staaten, Verwicklungen voraussehend, gegenüber
dem mobileren Deutschland im gegebenen Falle den Druck ihrer Rüstungen ins
Gewicht werfen zu können. Aber es ist bei dem allgemeinen Stande der
militärischen Kriegsbereitschaft in Europa unwahrscheinlich, daß der Dreiverband
jetzt den ihm verhältnismäßig ungünstigen Augenblick zum Losschlagen benutzt
haben sollte, da in nicht allzulanger Frist seine geplanten militärischen Vor¬
bereitungen ihn in eine wesentlich günstigere Lage gegenüber Deutschland versetzten.
Vermutlich handelte es sich mehr um einen Einschüchterungsversuch, einen Bluff.
Aber die Saat aus Englands kühl berechneten, lang vorbereiteten Intrigenspiel
und Frankreichs leichtsinnigen Hetzereien war inzwischen aufgegangen: als
Österreich und Deutschland im Konflikt mit Rußland fest blieben, da war der


Weltwirtschaft und Weltkrieg

der kontinentalen Gegner den Rivalen zur See möglichst in Abstand zu
halten, um selbst in Friedenszeiten Deutschland — unter entsprechender
egoistischer Ausnützung der eigenen Bundesgenossen — durch starke Rüstungs¬
opfer wirtschaftlich nach Kräften zu schädigen. England, das sich vom Frieden
und engerer Freundschaft mit Deutschlands Feinden wirtschaftliche Vorteile
versprach, stand bei einem allgemeinen europäischen Aderlaß reicher Gewinn,
ohne eigenes großes Risiko in Aussicht. Dazu kam dann die persönliche Politik
Eduards des Siebenten, des Mannes, der als konstitutionellster Monarch Europas
es fertig brachte, als Persönlichkeit einer der stärksten Faktoren der diplomatischen
Geschichte der Neuzeit zu werden. Seine ausgesprochene gallische Vorliebe und
persönliche Verknüpfung mit gewissen Kreisen der Großindustrie und des Handels
seines Landes schrieben ihm den Weg vor.

Dann die unmittelbaren Anlässe des Krieges: Österreich wird vor die
Lebensfrage gestellt, den unruhigen mit allen gewissenlosen und verbrecherischen
Mitteln eines verkommenen Volkscharakters arbeitenden Nachbarstaat endgültig
zur Ordnung zu bringen. Rußland durch seine der Kriegspartei verschriebene
Diplomatie festgelegt, kann nicht zurück, ohne Gefahr zu laufen, nach mehreren
diplomatischen Rückzügen in der Balkanpolitik der letzten Jahre seine traditionelle
Stellung und sein Ansehen im südöstlichen Europa endgültig einzubüßen.
Frankreich erklärt sich solidarisch, hineingeritten durch seine frivolen Hetzereien
gegen Deutschland und in der Angst, sich durch eine Ablehnung dauernd bündnis¬
unfähig zu machen, dabei die Isolierung und Schwächung Rußlands ebenfalls
fürchtend, und gleichzeitig zitternd für den Verlust der in Rußland angelegten
Milliarden. England sieht die Gefahr eines nach Vernichtung seiner kontinentalen
Gegner übermächtigen Deutschlands. Es wirft sein Schwert in die Wagschale
in der Hoffnung, damit den Ausschlag zu geben, und durch den Sieg des Drei¬
verbandes der lästigen Konkurrenz des emporstrebenden Betters für immer ledig
zu werden.

Man redet vielfach von einem abgekarteten Spiele gegenüber Deutschland.
Und wirklich lassen gewisse frühe Truppenbewegungen von Frankreich und
Nußland diesen Verdacht aufkommen. Aber vermutlich ist diese Ansicht doch
unrichtig. Wohl versuchten beide Staaten, Verwicklungen voraussehend, gegenüber
dem mobileren Deutschland im gegebenen Falle den Druck ihrer Rüstungen ins
Gewicht werfen zu können. Aber es ist bei dem allgemeinen Stande der
militärischen Kriegsbereitschaft in Europa unwahrscheinlich, daß der Dreiverband
jetzt den ihm verhältnismäßig ungünstigen Augenblick zum Losschlagen benutzt
haben sollte, da in nicht allzulanger Frist seine geplanten militärischen Vor¬
bereitungen ihn in eine wesentlich günstigere Lage gegenüber Deutschland versetzten.
Vermutlich handelte es sich mehr um einen Einschüchterungsversuch, einen Bluff.
Aber die Saat aus Englands kühl berechneten, lang vorbereiteten Intrigenspiel
und Frankreichs leichtsinnigen Hetzereien war inzwischen aufgegangen: als
Österreich und Deutschland im Konflikt mit Rußland fest blieben, da war der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0117" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329345"/>
          <fw type="header" place="top"> Weltwirtschaft und Weltkrieg</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_326" prev="#ID_325"> der kontinentalen Gegner den Rivalen zur See möglichst in Abstand zu<lb/>
halten, um selbst in Friedenszeiten Deutschland &#x2014; unter entsprechender<lb/>
egoistischer Ausnützung der eigenen Bundesgenossen &#x2014; durch starke Rüstungs¬<lb/>
opfer wirtschaftlich nach Kräften zu schädigen. England, das sich vom Frieden<lb/>
und engerer Freundschaft mit Deutschlands Feinden wirtschaftliche Vorteile<lb/>
versprach, stand bei einem allgemeinen europäischen Aderlaß reicher Gewinn,<lb/>
ohne eigenes großes Risiko in Aussicht. Dazu kam dann die persönliche Politik<lb/>
Eduards des Siebenten, des Mannes, der als konstitutionellster Monarch Europas<lb/>
es fertig brachte, als Persönlichkeit einer der stärksten Faktoren der diplomatischen<lb/>
Geschichte der Neuzeit zu werden. Seine ausgesprochene gallische Vorliebe und<lb/>
persönliche Verknüpfung mit gewissen Kreisen der Großindustrie und des Handels<lb/>
seines Landes schrieben ihm den Weg vor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_327"> Dann die unmittelbaren Anlässe des Krieges: Österreich wird vor die<lb/>
Lebensfrage gestellt, den unruhigen mit allen gewissenlosen und verbrecherischen<lb/>
Mitteln eines verkommenen Volkscharakters arbeitenden Nachbarstaat endgültig<lb/>
zur Ordnung zu bringen. Rußland durch seine der Kriegspartei verschriebene<lb/>
Diplomatie festgelegt, kann nicht zurück, ohne Gefahr zu laufen, nach mehreren<lb/>
diplomatischen Rückzügen in der Balkanpolitik der letzten Jahre seine traditionelle<lb/>
Stellung und sein Ansehen im südöstlichen Europa endgültig einzubüßen.<lb/>
Frankreich erklärt sich solidarisch, hineingeritten durch seine frivolen Hetzereien<lb/>
gegen Deutschland und in der Angst, sich durch eine Ablehnung dauernd bündnis¬<lb/>
unfähig zu machen, dabei die Isolierung und Schwächung Rußlands ebenfalls<lb/>
fürchtend, und gleichzeitig zitternd für den Verlust der in Rußland angelegten<lb/>
Milliarden. England sieht die Gefahr eines nach Vernichtung seiner kontinentalen<lb/>
Gegner übermächtigen Deutschlands. Es wirft sein Schwert in die Wagschale<lb/>
in der Hoffnung, damit den Ausschlag zu geben, und durch den Sieg des Drei¬<lb/>
verbandes der lästigen Konkurrenz des emporstrebenden Betters für immer ledig<lb/>
zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_328" next="#ID_329"> Man redet vielfach von einem abgekarteten Spiele gegenüber Deutschland.<lb/>
Und wirklich lassen gewisse frühe Truppenbewegungen von Frankreich und<lb/>
Nußland diesen Verdacht aufkommen. Aber vermutlich ist diese Ansicht doch<lb/>
unrichtig. Wohl versuchten beide Staaten, Verwicklungen voraussehend, gegenüber<lb/>
dem mobileren Deutschland im gegebenen Falle den Druck ihrer Rüstungen ins<lb/>
Gewicht werfen zu können. Aber es ist bei dem allgemeinen Stande der<lb/>
militärischen Kriegsbereitschaft in Europa unwahrscheinlich, daß der Dreiverband<lb/>
jetzt den ihm verhältnismäßig ungünstigen Augenblick zum Losschlagen benutzt<lb/>
haben sollte, da in nicht allzulanger Frist seine geplanten militärischen Vor¬<lb/>
bereitungen ihn in eine wesentlich günstigere Lage gegenüber Deutschland versetzten.<lb/>
Vermutlich handelte es sich mehr um einen Einschüchterungsversuch, einen Bluff.<lb/>
Aber die Saat aus Englands kühl berechneten, lang vorbereiteten Intrigenspiel<lb/>
und Frankreichs leichtsinnigen Hetzereien war inzwischen aufgegangen: als<lb/>
Österreich und Deutschland im Konflikt mit Rußland fest blieben, da war der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0117] Weltwirtschaft und Weltkrieg der kontinentalen Gegner den Rivalen zur See möglichst in Abstand zu halten, um selbst in Friedenszeiten Deutschland — unter entsprechender egoistischer Ausnützung der eigenen Bundesgenossen — durch starke Rüstungs¬ opfer wirtschaftlich nach Kräften zu schädigen. England, das sich vom Frieden und engerer Freundschaft mit Deutschlands Feinden wirtschaftliche Vorteile versprach, stand bei einem allgemeinen europäischen Aderlaß reicher Gewinn, ohne eigenes großes Risiko in Aussicht. Dazu kam dann die persönliche Politik Eduards des Siebenten, des Mannes, der als konstitutionellster Monarch Europas es fertig brachte, als Persönlichkeit einer der stärksten Faktoren der diplomatischen Geschichte der Neuzeit zu werden. Seine ausgesprochene gallische Vorliebe und persönliche Verknüpfung mit gewissen Kreisen der Großindustrie und des Handels seines Landes schrieben ihm den Weg vor. Dann die unmittelbaren Anlässe des Krieges: Österreich wird vor die Lebensfrage gestellt, den unruhigen mit allen gewissenlosen und verbrecherischen Mitteln eines verkommenen Volkscharakters arbeitenden Nachbarstaat endgültig zur Ordnung zu bringen. Rußland durch seine der Kriegspartei verschriebene Diplomatie festgelegt, kann nicht zurück, ohne Gefahr zu laufen, nach mehreren diplomatischen Rückzügen in der Balkanpolitik der letzten Jahre seine traditionelle Stellung und sein Ansehen im südöstlichen Europa endgültig einzubüßen. Frankreich erklärt sich solidarisch, hineingeritten durch seine frivolen Hetzereien gegen Deutschland und in der Angst, sich durch eine Ablehnung dauernd bündnis¬ unfähig zu machen, dabei die Isolierung und Schwächung Rußlands ebenfalls fürchtend, und gleichzeitig zitternd für den Verlust der in Rußland angelegten Milliarden. England sieht die Gefahr eines nach Vernichtung seiner kontinentalen Gegner übermächtigen Deutschlands. Es wirft sein Schwert in die Wagschale in der Hoffnung, damit den Ausschlag zu geben, und durch den Sieg des Drei¬ verbandes der lästigen Konkurrenz des emporstrebenden Betters für immer ledig zu werden. Man redet vielfach von einem abgekarteten Spiele gegenüber Deutschland. Und wirklich lassen gewisse frühe Truppenbewegungen von Frankreich und Nußland diesen Verdacht aufkommen. Aber vermutlich ist diese Ansicht doch unrichtig. Wohl versuchten beide Staaten, Verwicklungen voraussehend, gegenüber dem mobileren Deutschland im gegebenen Falle den Druck ihrer Rüstungen ins Gewicht werfen zu können. Aber es ist bei dem allgemeinen Stande der militärischen Kriegsbereitschaft in Europa unwahrscheinlich, daß der Dreiverband jetzt den ihm verhältnismäßig ungünstigen Augenblick zum Losschlagen benutzt haben sollte, da in nicht allzulanger Frist seine geplanten militärischen Vor¬ bereitungen ihn in eine wesentlich günstigere Lage gegenüber Deutschland versetzten. Vermutlich handelte es sich mehr um einen Einschüchterungsversuch, einen Bluff. Aber die Saat aus Englands kühl berechneten, lang vorbereiteten Intrigenspiel und Frankreichs leichtsinnigen Hetzereien war inzwischen aufgegangen: als Österreich und Deutschland im Konflikt mit Rußland fest blieben, da war der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/117
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/117>, abgerufen am 02.07.2024.