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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Weltwirtschaft und Weltkrieg

die bewährte englische Politik, als unparteiischer, abwartender Dritter aufzugeben
und die unbequemen Bande eines kontinentalen Bündnisses auf sich zu nehmen.
Man hielt es für notwendig, zur weiteren Niederhaltung Deutschlands das
Gegenwinde zu vermehren. Dabei wußte man wohl, daß im Ernstfalle die
Hauptlasten und das Hauptrisiko die festländischen Bundesgenossen zu tragen
haben würden: der ungeheure Vorteil der Jnsellage und der starken Flotte.

Das war es aber, was in Deutschland allmählich sich verstärkenden Unwillen
verursachte. Das unritterliche Verhalten eines Gegners, der aus dem sicheren
Hinterhalte Pfeil auf Pfeil abschießt, ohne selbst den gleichen Kampfesbedingungen
zu unterliegen. Das Durchkreuzen aller deutschen Pläne, einerlei wo auf der
Elbe man sich den Platz an der Sonne in heißer Arbeit zu erwerben bemühte,
den Platz, der dem Fleiß und der Tüchtigkeit einer Nation von sechzig Millionen
Menschen wohl zukam. Gegner auf Gegner suchte man anzuwerben, Freund
auf Freund abtrünnig zu machen, um selbst wohl geborgen im Hinterhalte
dem Ringen der emporstrebenden Nationen Einhalt tun zu können.

Und das alles letzten Endes nicht großer nationaler, sondern geschäftlicher
Interessen halber. Wo man im friedlichen Wettstreite nicht mehr mitkommen
konnte, da führte man politische Ränke ins Feld.

Man sah bei uns die grenzenlose Ungerechtigkeit, die darin lag, daß --
falls es zum Kampfe kommen sollte -- Deutschland für seine Existenz, England
für schnöden wirtschaftlichen Gewinn fechten würde. Hier Volk in Waffen, hier
SöldnerheerI England hatte das Leben von angeworbenen Mietlingen, von
Abenteurern, die sich nicht aus Patriotismus sondern handwerksmäßig für den
Krieg hergaben, einzusetzen gegen ein Volk, bei dem jeder Familienvater, jeder
Ernährer seiner Eltern, jeder, der überhaupt eine Waffe tragen konnte, Gut
und Blut für sein Land aufs Spiel setzte. Wieviel größer der Jammer eines
Krieges einerlei welchen Ausganges sür ein solches Land! Das war kein gleicher
Einsatz, ebensowenig wie die Ursachen eines Krieges das gleiche sittliche
Gewicht hatten.

Wenn daher in Deutschland schon vor dem Kriege vielfach Erbitterung
gegen England herrschte, so kann man ihr die Berechtigung nicht absprechen.

Auf die inneren Gründe einzugehen, die die französisch-russische Alliance
zusammen brachten, ist überflüssig, sie liegen ja klar zutage. Ursprünglich war
Frankreich froh, im Osten einen Gegner Deutschlands zu wissen, der die eigene
militärische Lage wesentlich erleichterte. Rußland dagegen brauchte die guten
französischen I^oui8 6'ors. Mit dem inneren Niedergange Frankreichs und
Erstarken Deutschlands erhöhte sich das französische Interesse an der Alliance.
Frankreich konnte eben sein altes Gewicht im Rate der Völker nur durch
Bündnispolitik erhalten. Ebenso wuchs auch Rußlands Wertschätzung am Zwei¬
bunde, je mehr Deutschland und Österreich sich zusammenschlossen, und durch
die stritte Billigung und Deckung der österreichischen Balkanpolitik seitens des
deutschen Sekundanten. Englands Beitritt erfolgte, um durch Unterstützung


Weltwirtschaft und Weltkrieg

die bewährte englische Politik, als unparteiischer, abwartender Dritter aufzugeben
und die unbequemen Bande eines kontinentalen Bündnisses auf sich zu nehmen.
Man hielt es für notwendig, zur weiteren Niederhaltung Deutschlands das
Gegenwinde zu vermehren. Dabei wußte man wohl, daß im Ernstfalle die
Hauptlasten und das Hauptrisiko die festländischen Bundesgenossen zu tragen
haben würden: der ungeheure Vorteil der Jnsellage und der starken Flotte.

Das war es aber, was in Deutschland allmählich sich verstärkenden Unwillen
verursachte. Das unritterliche Verhalten eines Gegners, der aus dem sicheren
Hinterhalte Pfeil auf Pfeil abschießt, ohne selbst den gleichen Kampfesbedingungen
zu unterliegen. Das Durchkreuzen aller deutschen Pläne, einerlei wo auf der
Elbe man sich den Platz an der Sonne in heißer Arbeit zu erwerben bemühte,
den Platz, der dem Fleiß und der Tüchtigkeit einer Nation von sechzig Millionen
Menschen wohl zukam. Gegner auf Gegner suchte man anzuwerben, Freund
auf Freund abtrünnig zu machen, um selbst wohl geborgen im Hinterhalte
dem Ringen der emporstrebenden Nationen Einhalt tun zu können.

Und das alles letzten Endes nicht großer nationaler, sondern geschäftlicher
Interessen halber. Wo man im friedlichen Wettstreite nicht mehr mitkommen
konnte, da führte man politische Ränke ins Feld.

Man sah bei uns die grenzenlose Ungerechtigkeit, die darin lag, daß —
falls es zum Kampfe kommen sollte — Deutschland für seine Existenz, England
für schnöden wirtschaftlichen Gewinn fechten würde. Hier Volk in Waffen, hier
SöldnerheerI England hatte das Leben von angeworbenen Mietlingen, von
Abenteurern, die sich nicht aus Patriotismus sondern handwerksmäßig für den
Krieg hergaben, einzusetzen gegen ein Volk, bei dem jeder Familienvater, jeder
Ernährer seiner Eltern, jeder, der überhaupt eine Waffe tragen konnte, Gut
und Blut für sein Land aufs Spiel setzte. Wieviel größer der Jammer eines
Krieges einerlei welchen Ausganges sür ein solches Land! Das war kein gleicher
Einsatz, ebensowenig wie die Ursachen eines Krieges das gleiche sittliche
Gewicht hatten.

Wenn daher in Deutschland schon vor dem Kriege vielfach Erbitterung
gegen England herrschte, so kann man ihr die Berechtigung nicht absprechen.

Auf die inneren Gründe einzugehen, die die französisch-russische Alliance
zusammen brachten, ist überflüssig, sie liegen ja klar zutage. Ursprünglich war
Frankreich froh, im Osten einen Gegner Deutschlands zu wissen, der die eigene
militärische Lage wesentlich erleichterte. Rußland dagegen brauchte die guten
französischen I^oui8 6'ors. Mit dem inneren Niedergange Frankreichs und
Erstarken Deutschlands erhöhte sich das französische Interesse an der Alliance.
Frankreich konnte eben sein altes Gewicht im Rate der Völker nur durch
Bündnispolitik erhalten. Ebenso wuchs auch Rußlands Wertschätzung am Zwei¬
bunde, je mehr Deutschland und Österreich sich zusammenschlossen, und durch
die stritte Billigung und Deckung der österreichischen Balkanpolitik seitens des
deutschen Sekundanten. Englands Beitritt erfolgte, um durch Unterstützung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/116>, abgerufen am 02.07.2024.