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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Weltwirtschaft und Weltkrieg

Volksrevolution fürchtend. Im Grunde ist sie eher friedliebend, um die großen
Projekte der Bauernbefreiung und Gemeinheitsteilungen, mit denen ein glück¬
licher Anfang gemacht worden war, fortsetzen, aber zu schwach um sich der
Prestigepolitik widersetzen zu können, so schwach, daß sie selbst unbotmäßiger
Privatpolitik einzelner Diplomaten nicht wirkungsvoll entgegentreten konnte.
Noch schwächer ist der Zar, der Selbstherrscher aller Reußen.

Also alles in allem, ein politischer Zustand, der zum Kriege trieb, sobald
man sich Stärke zum Erfolge zutraute.

Bestand im deutschen Volke gegenüber Frankreich als Antwort auf die
jahrelangen Hetzereien mancherlei Abneigung, die in den gebildeten Klassen doch
wieder vielfach durch die Bewunderung für französische Kultur aufgewogen
wurde, gegenüber Rußland die Gleichgültigkeit gegen den Unbekannten gemischt
mit Unbehagen vor dem gewaltigen unberechenbaren Koloß, so hatte sich gegen¬
über England ein sich immer weiter verbreitender, fast alle Volksschichten er¬
greifender scharfer Widerspruch gegen die Versuche so mannigfacher Hemmungen
entwickelt, die von drüben kamen, -- scharfe innere Gegensätze, die auch eine
äußerlich einsetzende Versöhnungspolitik sobald nicht hatte überbrücken können.

Die Abneigung war freilich gegenseitig. Man fühlte sich in England
wirtschaftlich überholt. Auf Gebieten, auf denen sich englischer Handel seit
Jahrhunderten häuslich eingerichtet hatte, die als die sichere Domäne englischer
Industrie erschienen waren, bedrohte deutscher Fleiß, deutsche Regsamkeit und
deutsche Tüchtigkeit das englische Übergewicht. Der Engländer als Kaufmann
ist zweifellos im Durchschnitt weniger aktiv als der Deutsche, ist, wie durch
den Entwicklungsgang erklärlich, zurückhaltender. Er Hütte eben für viele Dinge
und seit langer Zeit das Monopol, man mußte zu ihm kommen. Darauf ist
die ganze Anschauungsweise von dem, was als gentleman-like und fair galt,
Sitte und gesellschaftliche Haltung zugeschnitten. Und der Engländer ändert
gerade, was diese Ansichten anbetrifft, nicht so leicht feine Auffassung. Daher
Verachtung der deutschen Geschäftsgepflogenheiten, und da, wo man den Erfolg
anerkennen mußte. Wut gegen den stegreichen Konkurrenten, den Emporkömmling.
Aber nicht nur der Großkaufmann auf dem Weltmarkte, auch der Mittelstand,
der kleine Angestellte im Lande selbst hatte unter dem Wettbewerb zu leiden.
Viele Tausende von Deutschen, begierig Sprache und Geschäftsgepflogenheit zu
lernen, boten sich in England selbst zur Arbeit um geringen Lohn an, und
drückten so die Lebensbedingungen breiter Schichten.

Die englische Politik ist mit den kaufmännischen Interessen mehr verwachsen
als die irgend eines Staates auf dem Kontinent. So sah man von offizieller
Seite die Entwicklung Deutschlands seit langem mit Besorgnis an. Jedem
Zuwachs an Macht und Einfluß suchte man entgegen zu arbeiten. Und als
man die ungeheure Kraft und Energie, die sich in Deutschland selbst aufspeicherte,
nicht mehr durch eine geschickte Gleichgewichtspolitik auf dem Festlande zur
Neutralisierung bringen zu können glaubte, da sah man sich selbst gezwungen,


Weltwirtschaft und Weltkrieg

Volksrevolution fürchtend. Im Grunde ist sie eher friedliebend, um die großen
Projekte der Bauernbefreiung und Gemeinheitsteilungen, mit denen ein glück¬
licher Anfang gemacht worden war, fortsetzen, aber zu schwach um sich der
Prestigepolitik widersetzen zu können, so schwach, daß sie selbst unbotmäßiger
Privatpolitik einzelner Diplomaten nicht wirkungsvoll entgegentreten konnte.
Noch schwächer ist der Zar, der Selbstherrscher aller Reußen.

Also alles in allem, ein politischer Zustand, der zum Kriege trieb, sobald
man sich Stärke zum Erfolge zutraute.

Bestand im deutschen Volke gegenüber Frankreich als Antwort auf die
jahrelangen Hetzereien mancherlei Abneigung, die in den gebildeten Klassen doch
wieder vielfach durch die Bewunderung für französische Kultur aufgewogen
wurde, gegenüber Rußland die Gleichgültigkeit gegen den Unbekannten gemischt
mit Unbehagen vor dem gewaltigen unberechenbaren Koloß, so hatte sich gegen¬
über England ein sich immer weiter verbreitender, fast alle Volksschichten er¬
greifender scharfer Widerspruch gegen die Versuche so mannigfacher Hemmungen
entwickelt, die von drüben kamen, — scharfe innere Gegensätze, die auch eine
äußerlich einsetzende Versöhnungspolitik sobald nicht hatte überbrücken können.

Die Abneigung war freilich gegenseitig. Man fühlte sich in England
wirtschaftlich überholt. Auf Gebieten, auf denen sich englischer Handel seit
Jahrhunderten häuslich eingerichtet hatte, die als die sichere Domäne englischer
Industrie erschienen waren, bedrohte deutscher Fleiß, deutsche Regsamkeit und
deutsche Tüchtigkeit das englische Übergewicht. Der Engländer als Kaufmann
ist zweifellos im Durchschnitt weniger aktiv als der Deutsche, ist, wie durch
den Entwicklungsgang erklärlich, zurückhaltender. Er Hütte eben für viele Dinge
und seit langer Zeit das Monopol, man mußte zu ihm kommen. Darauf ist
die ganze Anschauungsweise von dem, was als gentleman-like und fair galt,
Sitte und gesellschaftliche Haltung zugeschnitten. Und der Engländer ändert
gerade, was diese Ansichten anbetrifft, nicht so leicht feine Auffassung. Daher
Verachtung der deutschen Geschäftsgepflogenheiten, und da, wo man den Erfolg
anerkennen mußte. Wut gegen den stegreichen Konkurrenten, den Emporkömmling.
Aber nicht nur der Großkaufmann auf dem Weltmarkte, auch der Mittelstand,
der kleine Angestellte im Lande selbst hatte unter dem Wettbewerb zu leiden.
Viele Tausende von Deutschen, begierig Sprache und Geschäftsgepflogenheit zu
lernen, boten sich in England selbst zur Arbeit um geringen Lohn an, und
drückten so die Lebensbedingungen breiter Schichten.

Die englische Politik ist mit den kaufmännischen Interessen mehr verwachsen
als die irgend eines Staates auf dem Kontinent. So sah man von offizieller
Seite die Entwicklung Deutschlands seit langem mit Besorgnis an. Jedem
Zuwachs an Macht und Einfluß suchte man entgegen zu arbeiten. Und als
man die ungeheure Kraft und Energie, die sich in Deutschland selbst aufspeicherte,
nicht mehr durch eine geschickte Gleichgewichtspolitik auf dem Festlande zur
Neutralisierung bringen zu können glaubte, da sah man sich selbst gezwungen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/115>, abgerufen am 02.07.2024.