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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Weltwirtschaft und Weltkrieg

sicherlich nicht schwer gewesen, einen befriedigenden moan8 vivencZi zu
finden.

Ganz anders liegen die Verhältnisse bezüglich Rußlands.

Rußland ist ein halb barbarischer Staat noch im Stadium innerer und
äußerer Konsolidation; ein Land unausgeglichener Gegensätze, ein Staat, in
dem politisches Verständnis, politische Aspiration nur auf einen verhältnismäßig
kleinen Kreis durch Bildung Befähigter oder durch besondere Interessen dazu
Getriebener beschränkt ist. Die große Masse ohne regere nationale Anteilnahme,
sieht im Staate mehr den Bedrücker als den Helfer. Sie steht auf einer Kulturstufe,
in der der Begriff der bürgerlichen Freiheit der staatlich und gesetzlich umhegten
privaten Freiheitssphäre des einzelnen und des durch die Mitwirkung der Masse
der Untertanen bei den großen Aufgaben des Staates geknüpften Bandes
zwischen dem Staat und seinen Angehörigen so gut wie gar nicht existiert.
Ein solches Volk, bei dem einem großen Teil der Staatsangehörigen jedes
Mitbestimmungsrecht an dem Schicksal der Nation versagt blieb, mußte in
seiner überwiegenden Mehrzahl friedliebend sein. Aber auch eine ganze Reihe
von Elementen der politisch aufgeklärten Oberschicht war es. Man entsinne
sich nur einer - vor etwa zwei Jahren im Pariser Figaro erschienenen Aussatz¬
serie, in der sich die französischen Hetzer über das Hinneigen weiter Kreise
von russischen Großindustriellen, dann aber hauptsächlich von Grundbesitzern
und Getreidehändlern zu Deutschland beklagten.

Gegen diese stand eine außerordentlich einflußreiche, gesellschaftlich hoch¬
stehende ausgesprochen deutschfeindliche Kriegspartei, Leute, die in: Kriege den
besten Förderer eigener ehrgeiziger und habsüchtiger Bestrebungen sahen. Durch
Neigung, Erziehung und Mode der französischen Kultur -- mit aller Aufnahme-
und Anpassungsfähigkeit des Slawentums -- nahestehend, befanden sie sich schon
durch persönliche Geschmacksrichtung im Gegensatz zum Deutschtum, dessen
disziplinierte Starrheit und organisierte Ordnung dem weichen und sensitiven
Slawencharakter widerstrebte, ein Kreis, der die nationale Entwicklungsmöglichkeit
nicht im Lande in pflichtbewußter, langsamer Kulturarbeit, sondern in äußeren
Abenteuern leichter und glänzender suchen und finden zu können glaubte. Es sind
Leute, die im Lande der unausgeglichenen wirtschaftlichen Gegensätze über einen so
sicher fundierten Reichtum verfügten, daß sie vom Kriege nicht viel zu fürchten
hatten, dann aber hauptsächlich Beamte, Offiziere -- nicht zu vergessen die
zahlreichen Armeelieferanten -- denen der Krieg unlautere Bereicherungsquellen
zu eröffnen versprach. Eine ungemein mächtige Kriegspartei, der selbst viele
Mitglieder des kaiserlichen Hauses offen angehörtenI

Die Politik eines noch unorganischen, mit seinen Kulturaufgaben noch
halbfertigen und in der Bildung begriffenen Staates ist notwendiger und logischer
Weise Expansionspolitik. Beherrscht von dem gefährlich anmaßenden und andere
Staaten bedrohenden Anspruch als slawische und orthodoxe Vormacht zu gelten, ist
die Regierung in ihren einzelnen Entschließungen schwankend, bald Palast- bald


Weltwirtschaft und Weltkrieg

sicherlich nicht schwer gewesen, einen befriedigenden moan8 vivencZi zu
finden.

Ganz anders liegen die Verhältnisse bezüglich Rußlands.

Rußland ist ein halb barbarischer Staat noch im Stadium innerer und
äußerer Konsolidation; ein Land unausgeglichener Gegensätze, ein Staat, in
dem politisches Verständnis, politische Aspiration nur auf einen verhältnismäßig
kleinen Kreis durch Bildung Befähigter oder durch besondere Interessen dazu
Getriebener beschränkt ist. Die große Masse ohne regere nationale Anteilnahme,
sieht im Staate mehr den Bedrücker als den Helfer. Sie steht auf einer Kulturstufe,
in der der Begriff der bürgerlichen Freiheit der staatlich und gesetzlich umhegten
privaten Freiheitssphäre des einzelnen und des durch die Mitwirkung der Masse
der Untertanen bei den großen Aufgaben des Staates geknüpften Bandes
zwischen dem Staat und seinen Angehörigen so gut wie gar nicht existiert.
Ein solches Volk, bei dem einem großen Teil der Staatsangehörigen jedes
Mitbestimmungsrecht an dem Schicksal der Nation versagt blieb, mußte in
seiner überwiegenden Mehrzahl friedliebend sein. Aber auch eine ganze Reihe
von Elementen der politisch aufgeklärten Oberschicht war es. Man entsinne
sich nur einer - vor etwa zwei Jahren im Pariser Figaro erschienenen Aussatz¬
serie, in der sich die französischen Hetzer über das Hinneigen weiter Kreise
von russischen Großindustriellen, dann aber hauptsächlich von Grundbesitzern
und Getreidehändlern zu Deutschland beklagten.

Gegen diese stand eine außerordentlich einflußreiche, gesellschaftlich hoch¬
stehende ausgesprochen deutschfeindliche Kriegspartei, Leute, die in: Kriege den
besten Förderer eigener ehrgeiziger und habsüchtiger Bestrebungen sahen. Durch
Neigung, Erziehung und Mode der französischen Kultur — mit aller Aufnahme-
und Anpassungsfähigkeit des Slawentums — nahestehend, befanden sie sich schon
durch persönliche Geschmacksrichtung im Gegensatz zum Deutschtum, dessen
disziplinierte Starrheit und organisierte Ordnung dem weichen und sensitiven
Slawencharakter widerstrebte, ein Kreis, der die nationale Entwicklungsmöglichkeit
nicht im Lande in pflichtbewußter, langsamer Kulturarbeit, sondern in äußeren
Abenteuern leichter und glänzender suchen und finden zu können glaubte. Es sind
Leute, die im Lande der unausgeglichenen wirtschaftlichen Gegensätze über einen so
sicher fundierten Reichtum verfügten, daß sie vom Kriege nicht viel zu fürchten
hatten, dann aber hauptsächlich Beamte, Offiziere — nicht zu vergessen die
zahlreichen Armeelieferanten — denen der Krieg unlautere Bereicherungsquellen
zu eröffnen versprach. Eine ungemein mächtige Kriegspartei, der selbst viele
Mitglieder des kaiserlichen Hauses offen angehörtenI

Die Politik eines noch unorganischen, mit seinen Kulturaufgaben noch
halbfertigen und in der Bildung begriffenen Staates ist notwendiger und logischer
Weise Expansionspolitik. Beherrscht von dem gefährlich anmaßenden und andere
Staaten bedrohenden Anspruch als slawische und orthodoxe Vormacht zu gelten, ist
die Regierung in ihren einzelnen Entschließungen schwankend, bald Palast- bald


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[0114] Weltwirtschaft und Weltkrieg sicherlich nicht schwer gewesen, einen befriedigenden moan8 vivencZi zu finden. Ganz anders liegen die Verhältnisse bezüglich Rußlands. Rußland ist ein halb barbarischer Staat noch im Stadium innerer und äußerer Konsolidation; ein Land unausgeglichener Gegensätze, ein Staat, in dem politisches Verständnis, politische Aspiration nur auf einen verhältnismäßig kleinen Kreis durch Bildung Befähigter oder durch besondere Interessen dazu Getriebener beschränkt ist. Die große Masse ohne regere nationale Anteilnahme, sieht im Staate mehr den Bedrücker als den Helfer. Sie steht auf einer Kulturstufe, in der der Begriff der bürgerlichen Freiheit der staatlich und gesetzlich umhegten privaten Freiheitssphäre des einzelnen und des durch die Mitwirkung der Masse der Untertanen bei den großen Aufgaben des Staates geknüpften Bandes zwischen dem Staat und seinen Angehörigen so gut wie gar nicht existiert. Ein solches Volk, bei dem einem großen Teil der Staatsangehörigen jedes Mitbestimmungsrecht an dem Schicksal der Nation versagt blieb, mußte in seiner überwiegenden Mehrzahl friedliebend sein. Aber auch eine ganze Reihe von Elementen der politisch aufgeklärten Oberschicht war es. Man entsinne sich nur einer - vor etwa zwei Jahren im Pariser Figaro erschienenen Aussatz¬ serie, in der sich die französischen Hetzer über das Hinneigen weiter Kreise von russischen Großindustriellen, dann aber hauptsächlich von Grundbesitzern und Getreidehändlern zu Deutschland beklagten. Gegen diese stand eine außerordentlich einflußreiche, gesellschaftlich hoch¬ stehende ausgesprochen deutschfeindliche Kriegspartei, Leute, die in: Kriege den besten Förderer eigener ehrgeiziger und habsüchtiger Bestrebungen sahen. Durch Neigung, Erziehung und Mode der französischen Kultur — mit aller Aufnahme- und Anpassungsfähigkeit des Slawentums — nahestehend, befanden sie sich schon durch persönliche Geschmacksrichtung im Gegensatz zum Deutschtum, dessen disziplinierte Starrheit und organisierte Ordnung dem weichen und sensitiven Slawencharakter widerstrebte, ein Kreis, der die nationale Entwicklungsmöglichkeit nicht im Lande in pflichtbewußter, langsamer Kulturarbeit, sondern in äußeren Abenteuern leichter und glänzender suchen und finden zu können glaubte. Es sind Leute, die im Lande der unausgeglichenen wirtschaftlichen Gegensätze über einen so sicher fundierten Reichtum verfügten, daß sie vom Kriege nicht viel zu fürchten hatten, dann aber hauptsächlich Beamte, Offiziere — nicht zu vergessen die zahlreichen Armeelieferanten — denen der Krieg unlautere Bereicherungsquellen zu eröffnen versprach. Eine ungemein mächtige Kriegspartei, der selbst viele Mitglieder des kaiserlichen Hauses offen angehörtenI Die Politik eines noch unorganischen, mit seinen Kulturaufgaben noch halbfertigen und in der Bildung begriffenen Staates ist notwendiger und logischer Weise Expansionspolitik. Beherrscht von dem gefährlich anmaßenden und andere Staaten bedrohenden Anspruch als slawische und orthodoxe Vormacht zu gelten, ist die Regierung in ihren einzelnen Entschließungen schwankend, bald Palast- bald

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/114>, abgerufen am 02.07.2024.