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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Weltwirtschaft und Weltkrieg

Verlegungen verursachte, die den anderen Nationen früher unnötige, nun unbequeme,
schwere Opfer und Anstrengungen zwecks Erhaltung des alten Gewichts in der Wage
auferlegte und daß dies nicht gerade zur Beliebtheit Deutschlands beitragen konnte.

Immerhin war wirklich kriegerisch, d. h. bereit, die letzten Konsequenzen
aus den Gegensätzen zu Deutschland zu ziehen und im günstigen Momente die
große Abrechnung durch das Schwert herbeizuführen, nur ein verhältnismäßig
sehr geringer Teil der Angehörigen der gegnerischen Nationen. Nur aus der
Verteilung der kriegslüsternen Gruppen, ihrem Einfluß und ihrer mehr oder
weniger nahen Stellung zu den Personen, die für die europäische Politik aus¬
schlaggebend waren, wird es begreiflich, daß es doch zum Bruche kam, trotz aller
weitverbreiteter und stets wieder hervorgehobener Friedensliebe.

Auch hier waren die, die am lautesten schrien, nicht die gefährlichsten.

Frankreichs Politik war wohl am meisten von der Kriegsdrohung und dem
Hinweis auf das Kriegsgespenst beherrscht. Trotzdem war Frankreich das
Land, wo ein ganz überwiegendes Friedensbedürfnis und eine in den weitesten
Kreisen verbreitete Kriegsunlust bestand. Man kann das über vierzigjährige
Fortleben der Revanchedevise nur verstehen, wenn man sich ihre Rolle als Partei¬
parole vergegenwärtigt. Nach dem unglücklichen Kriege und dem Zusammenbruche
der monarchischen Verfassung waren es vorzugsweise die reaktionären Parteien,
Royalisten und Bonapartisten, die, an die verletzte Eitelkeit ihrer Landsleute
appellierend, von der wieder aufgerichteten monarchischen Staatsform Rückeroberung
der verlorenen Provinzen und Wiederherstellung des alten Glanzes versprachen.
Demgegenüber wollten die republikanischen Parteien nicht wagen, in den Ruf
schlechten Patriotismus zu kommen und machten die Kriegsdevise zu der ihrigen.
Damit hatte diese Eingang in die offizielle Regierungspolitik gefunden. Und
später hatten die Regierungen, die rasch wechselnden Ministerien nicht die
Kraft, und bei ihrem vielfach kurzlebigen Dasein nicht die Zeit, das für ihre
Popularität gefährliche Experiment eines Kurs- und Schlagwortwechsels zu wagen.
Trotzdem verlor die Revancheidee im Volke mehr und mehr an Boden, und
wenn man auch selten jemanden finden konnte, der sich offen und ehrlich gegen
die Kriegsparole und für friedliches nachbarliches Abfinden mit dem alten Gegner
auszusprechen wagte, so nahm die allgemeine Abneigung gegen den Krieg doch
täglich zu. Am Ende blieb nur noch eine im Vergleich verschwindend kleine,
aber um so lautere Gruppe gewerbsmäßiger Hetzer, die den Krieg predigte.
Es waren Männer des öffentlichen Lebens, vor allem Journalisten, die aus der
Agitation ihr Leben fristeten, und vor allem solche, denen sie allein ein gewisses
politisches Relief und Ansehen verlieh. Und diese selbst hofften vielleicht noch
weniger ernstlich auf den Krieg, als eine Gruppe von Dummen, die sich von
ihnen hatten verhetzen lassen: die Agitation nährte sie besser als eventuell durch
einen Krieg geklärte Zustände.

Schließlich begünstigte die Negierung insgeheim die Hetzer. Die Erklärung
auch hierfür liegt mindestens zum Teil, so unwahrscheinlich es klingen mag, in


Weltwirtschaft und Weltkrieg

Verlegungen verursachte, die den anderen Nationen früher unnötige, nun unbequeme,
schwere Opfer und Anstrengungen zwecks Erhaltung des alten Gewichts in der Wage
auferlegte und daß dies nicht gerade zur Beliebtheit Deutschlands beitragen konnte.

Immerhin war wirklich kriegerisch, d. h. bereit, die letzten Konsequenzen
aus den Gegensätzen zu Deutschland zu ziehen und im günstigen Momente die
große Abrechnung durch das Schwert herbeizuführen, nur ein verhältnismäßig
sehr geringer Teil der Angehörigen der gegnerischen Nationen. Nur aus der
Verteilung der kriegslüsternen Gruppen, ihrem Einfluß und ihrer mehr oder
weniger nahen Stellung zu den Personen, die für die europäische Politik aus¬
schlaggebend waren, wird es begreiflich, daß es doch zum Bruche kam, trotz aller
weitverbreiteter und stets wieder hervorgehobener Friedensliebe.

Auch hier waren die, die am lautesten schrien, nicht die gefährlichsten.

Frankreichs Politik war wohl am meisten von der Kriegsdrohung und dem
Hinweis auf das Kriegsgespenst beherrscht. Trotzdem war Frankreich das
Land, wo ein ganz überwiegendes Friedensbedürfnis und eine in den weitesten
Kreisen verbreitete Kriegsunlust bestand. Man kann das über vierzigjährige
Fortleben der Revanchedevise nur verstehen, wenn man sich ihre Rolle als Partei¬
parole vergegenwärtigt. Nach dem unglücklichen Kriege und dem Zusammenbruche
der monarchischen Verfassung waren es vorzugsweise die reaktionären Parteien,
Royalisten und Bonapartisten, die, an die verletzte Eitelkeit ihrer Landsleute
appellierend, von der wieder aufgerichteten monarchischen Staatsform Rückeroberung
der verlorenen Provinzen und Wiederherstellung des alten Glanzes versprachen.
Demgegenüber wollten die republikanischen Parteien nicht wagen, in den Ruf
schlechten Patriotismus zu kommen und machten die Kriegsdevise zu der ihrigen.
Damit hatte diese Eingang in die offizielle Regierungspolitik gefunden. Und
später hatten die Regierungen, die rasch wechselnden Ministerien nicht die
Kraft, und bei ihrem vielfach kurzlebigen Dasein nicht die Zeit, das für ihre
Popularität gefährliche Experiment eines Kurs- und Schlagwortwechsels zu wagen.
Trotzdem verlor die Revancheidee im Volke mehr und mehr an Boden, und
wenn man auch selten jemanden finden konnte, der sich offen und ehrlich gegen
die Kriegsparole und für friedliches nachbarliches Abfinden mit dem alten Gegner
auszusprechen wagte, so nahm die allgemeine Abneigung gegen den Krieg doch
täglich zu. Am Ende blieb nur noch eine im Vergleich verschwindend kleine,
aber um so lautere Gruppe gewerbsmäßiger Hetzer, die den Krieg predigte.
Es waren Männer des öffentlichen Lebens, vor allem Journalisten, die aus der
Agitation ihr Leben fristeten, und vor allem solche, denen sie allein ein gewisses
politisches Relief und Ansehen verlieh. Und diese selbst hofften vielleicht noch
weniger ernstlich auf den Krieg, als eine Gruppe von Dummen, die sich von
ihnen hatten verhetzen lassen: die Agitation nährte sie besser als eventuell durch
einen Krieg geklärte Zustände.

Schließlich begünstigte die Negierung insgeheim die Hetzer. Die Erklärung
auch hierfür liegt mindestens zum Teil, so unwahrscheinlich es klingen mag, in


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[0112] Weltwirtschaft und Weltkrieg Verlegungen verursachte, die den anderen Nationen früher unnötige, nun unbequeme, schwere Opfer und Anstrengungen zwecks Erhaltung des alten Gewichts in der Wage auferlegte und daß dies nicht gerade zur Beliebtheit Deutschlands beitragen konnte. Immerhin war wirklich kriegerisch, d. h. bereit, die letzten Konsequenzen aus den Gegensätzen zu Deutschland zu ziehen und im günstigen Momente die große Abrechnung durch das Schwert herbeizuführen, nur ein verhältnismäßig sehr geringer Teil der Angehörigen der gegnerischen Nationen. Nur aus der Verteilung der kriegslüsternen Gruppen, ihrem Einfluß und ihrer mehr oder weniger nahen Stellung zu den Personen, die für die europäische Politik aus¬ schlaggebend waren, wird es begreiflich, daß es doch zum Bruche kam, trotz aller weitverbreiteter und stets wieder hervorgehobener Friedensliebe. Auch hier waren die, die am lautesten schrien, nicht die gefährlichsten. Frankreichs Politik war wohl am meisten von der Kriegsdrohung und dem Hinweis auf das Kriegsgespenst beherrscht. Trotzdem war Frankreich das Land, wo ein ganz überwiegendes Friedensbedürfnis und eine in den weitesten Kreisen verbreitete Kriegsunlust bestand. Man kann das über vierzigjährige Fortleben der Revanchedevise nur verstehen, wenn man sich ihre Rolle als Partei¬ parole vergegenwärtigt. Nach dem unglücklichen Kriege und dem Zusammenbruche der monarchischen Verfassung waren es vorzugsweise die reaktionären Parteien, Royalisten und Bonapartisten, die, an die verletzte Eitelkeit ihrer Landsleute appellierend, von der wieder aufgerichteten monarchischen Staatsform Rückeroberung der verlorenen Provinzen und Wiederherstellung des alten Glanzes versprachen. Demgegenüber wollten die republikanischen Parteien nicht wagen, in den Ruf schlechten Patriotismus zu kommen und machten die Kriegsdevise zu der ihrigen. Damit hatte diese Eingang in die offizielle Regierungspolitik gefunden. Und später hatten die Regierungen, die rasch wechselnden Ministerien nicht die Kraft, und bei ihrem vielfach kurzlebigen Dasein nicht die Zeit, das für ihre Popularität gefährliche Experiment eines Kurs- und Schlagwortwechsels zu wagen. Trotzdem verlor die Revancheidee im Volke mehr und mehr an Boden, und wenn man auch selten jemanden finden konnte, der sich offen und ehrlich gegen die Kriegsparole und für friedliches nachbarliches Abfinden mit dem alten Gegner auszusprechen wagte, so nahm die allgemeine Abneigung gegen den Krieg doch täglich zu. Am Ende blieb nur noch eine im Vergleich verschwindend kleine, aber um so lautere Gruppe gewerbsmäßiger Hetzer, die den Krieg predigte. Es waren Männer des öffentlichen Lebens, vor allem Journalisten, die aus der Agitation ihr Leben fristeten, und vor allem solche, denen sie allein ein gewisses politisches Relief und Ansehen verlieh. Und diese selbst hofften vielleicht noch weniger ernstlich auf den Krieg, als eine Gruppe von Dummen, die sich von ihnen hatten verhetzen lassen: die Agitation nährte sie besser als eventuell durch einen Krieg geklärte Zustände. Schließlich begünstigte die Negierung insgeheim die Hetzer. Die Erklärung auch hierfür liegt mindestens zum Teil, so unwahrscheinlich es klingen mag, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/112>, abgerufen am 02.07.2024.