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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Weltwirtschaft und Weltkrieg

erstaunlicher, unvorhersehbarer Weise entwickelt hatte -- an die Staatsmänner
stellte. Wie sehr der Verzicht aus eine proklamierte Tendenz Schwächung des
Ansehens und der internationalen Position, ja diplomatische Niederlage bedeuten
konnte, ist dabei in Betracht zu ziehen.

Dann hatte man sich auch zu sehr daran gewöhnt, die Politik als eine Art
objektive Wissenschaft anzusehen, sie zu sehr von der Person derer, die sie beeinflussen,
loszulösen. Die internationale Politik der Welt wird letzten Endes tatsächlich von
ein paar hundert Köpfen, die das Schicksal in eine entsprechende Stellung gesetzt
hat, gemacht. Von Leuten aus ungefähr denselben Gesellschaftsklassen, von
ähnlichen Manieren und ähnlicher Bildung. Aber man hatte sich durch diesen
gleichartigen Firnis vielfach zu sehr blenden lassen und außer Rechnung gestellt,
daß auch sie innerlich Angehörige ihrer Nation bleiben, den Anschauungen,
Überlieferungen, Hoffnungen, Zu- und Abneigungen -- tausend Imponderabilien
-- ihres Volkes unterworfen, den mannigfachsten Einwirkungen nationaler
Interessengruppen, Suggestionen und Rücksichtnahmen ausgesetzt sind. Und
manche von ihnen waren alles andere als friedliebend. Vielleicht hatte man
das gerade in Deutschland, dem Lande der exakten Wissenschaft, im Gefühle
ehrlicher Friedensliebe und selbstbewußter Kraft am meisten übersehen. Der
Deutsche hat wohl in der Politik nicht allzuviel Sinn für psychologische Fein¬
heiten -- ist zuviel "entweder-oder". Hier, wo man sür das gewaltige wirt¬
schaftliche Fortschreiten, dessen Entwicklung man mit berechtigtem Stolze mit
ansah, den Frieden am meisten benötigte, war der Wunsch vielleicht auch zum
Teil der Vater der friedlichen Weltanschauung.

Eine Partei, die wirklich für den Krieg war, gab es in Deutschland
eigentlich überhaupt nicht. Auch viele der Pangermanisten und Imperialisten,
die für die Ausdehnung des Kolonialreiches eintraten, dachten letzten Grundes,
daß sich ihre Ziele durch starke Rüstung und festes diplomatisches Auftreten,
vielleicht auch durch Säbelrasseln, aber unter Wahrung des Friedens erreichen
lassen. Das von Anatole France über Deutschland geprägte Wort als der
"Nation qui aime les solclats, mais qui n'aime pas la Zusrre" hatte trotz
des beißenden Spottes vielleicht in einem besseren Sinne seine Berechtigung.

Deutschland war wohl einer der wenigen Großstaaten, in denen Regierung
und Volk -- einerlei welcher Schicht -- einmütig in der Friedensliebe war.
Trotzdem wurde es im Auslande immer als der prädestinierte Friedensstörer
hingestellt. Man konnte ihm sein leider so spätes Emporkommen, seinen ver¬
blüffenden Eintritt in den Rat der Weltnationen nicht verzeihen und nicht be¬
greifen, daß sein wirtschaftliches Erstarken nicht auch zu gefährlichen Ambitionen
politischer Natur führen sollte. Ihre klassische Ausführung findet diese Auffassung
in dem im Auslande viel gelesenen Buche von Fullerton "Problems ok Power,
a Skua^ ok international polities kron Leclan to KirK-Kniffe". Selbstver¬
ständlich ist, daß die ungemein rasche Entwicklung des konsolidierten Deutschlands,
seine rapide Bevölkerungszunahme und militärische Organisation Gleichgewichts-


Weltwirtschaft und Weltkrieg

erstaunlicher, unvorhersehbarer Weise entwickelt hatte — an die Staatsmänner
stellte. Wie sehr der Verzicht aus eine proklamierte Tendenz Schwächung des
Ansehens und der internationalen Position, ja diplomatische Niederlage bedeuten
konnte, ist dabei in Betracht zu ziehen.

Dann hatte man sich auch zu sehr daran gewöhnt, die Politik als eine Art
objektive Wissenschaft anzusehen, sie zu sehr von der Person derer, die sie beeinflussen,
loszulösen. Die internationale Politik der Welt wird letzten Endes tatsächlich von
ein paar hundert Köpfen, die das Schicksal in eine entsprechende Stellung gesetzt
hat, gemacht. Von Leuten aus ungefähr denselben Gesellschaftsklassen, von
ähnlichen Manieren und ähnlicher Bildung. Aber man hatte sich durch diesen
gleichartigen Firnis vielfach zu sehr blenden lassen und außer Rechnung gestellt,
daß auch sie innerlich Angehörige ihrer Nation bleiben, den Anschauungen,
Überlieferungen, Hoffnungen, Zu- und Abneigungen — tausend Imponderabilien
— ihres Volkes unterworfen, den mannigfachsten Einwirkungen nationaler
Interessengruppen, Suggestionen und Rücksichtnahmen ausgesetzt sind. Und
manche von ihnen waren alles andere als friedliebend. Vielleicht hatte man
das gerade in Deutschland, dem Lande der exakten Wissenschaft, im Gefühle
ehrlicher Friedensliebe und selbstbewußter Kraft am meisten übersehen. Der
Deutsche hat wohl in der Politik nicht allzuviel Sinn für psychologische Fein¬
heiten — ist zuviel „entweder-oder". Hier, wo man sür das gewaltige wirt¬
schaftliche Fortschreiten, dessen Entwicklung man mit berechtigtem Stolze mit
ansah, den Frieden am meisten benötigte, war der Wunsch vielleicht auch zum
Teil der Vater der friedlichen Weltanschauung.

Eine Partei, die wirklich für den Krieg war, gab es in Deutschland
eigentlich überhaupt nicht. Auch viele der Pangermanisten und Imperialisten,
die für die Ausdehnung des Kolonialreiches eintraten, dachten letzten Grundes,
daß sich ihre Ziele durch starke Rüstung und festes diplomatisches Auftreten,
vielleicht auch durch Säbelrasseln, aber unter Wahrung des Friedens erreichen
lassen. Das von Anatole France über Deutschland geprägte Wort als der
„Nation qui aime les solclats, mais qui n'aime pas la Zusrre" hatte trotz
des beißenden Spottes vielleicht in einem besseren Sinne seine Berechtigung.

Deutschland war wohl einer der wenigen Großstaaten, in denen Regierung
und Volk — einerlei welcher Schicht — einmütig in der Friedensliebe war.
Trotzdem wurde es im Auslande immer als der prädestinierte Friedensstörer
hingestellt. Man konnte ihm sein leider so spätes Emporkommen, seinen ver¬
blüffenden Eintritt in den Rat der Weltnationen nicht verzeihen und nicht be¬
greifen, daß sein wirtschaftliches Erstarken nicht auch zu gefährlichen Ambitionen
politischer Natur führen sollte. Ihre klassische Ausführung findet diese Auffassung
in dem im Auslande viel gelesenen Buche von Fullerton „Problems ok Power,
a Skua^ ok international polities kron Leclan to KirK-Kniffe". Selbstver¬
ständlich ist, daß die ungemein rasche Entwicklung des konsolidierten Deutschlands,
seine rapide Bevölkerungszunahme und militärische Organisation Gleichgewichts-


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[0111] Weltwirtschaft und Weltkrieg erstaunlicher, unvorhersehbarer Weise entwickelt hatte — an die Staatsmänner stellte. Wie sehr der Verzicht aus eine proklamierte Tendenz Schwächung des Ansehens und der internationalen Position, ja diplomatische Niederlage bedeuten konnte, ist dabei in Betracht zu ziehen. Dann hatte man sich auch zu sehr daran gewöhnt, die Politik als eine Art objektive Wissenschaft anzusehen, sie zu sehr von der Person derer, die sie beeinflussen, loszulösen. Die internationale Politik der Welt wird letzten Endes tatsächlich von ein paar hundert Köpfen, die das Schicksal in eine entsprechende Stellung gesetzt hat, gemacht. Von Leuten aus ungefähr denselben Gesellschaftsklassen, von ähnlichen Manieren und ähnlicher Bildung. Aber man hatte sich durch diesen gleichartigen Firnis vielfach zu sehr blenden lassen und außer Rechnung gestellt, daß auch sie innerlich Angehörige ihrer Nation bleiben, den Anschauungen, Überlieferungen, Hoffnungen, Zu- und Abneigungen — tausend Imponderabilien — ihres Volkes unterworfen, den mannigfachsten Einwirkungen nationaler Interessengruppen, Suggestionen und Rücksichtnahmen ausgesetzt sind. Und manche von ihnen waren alles andere als friedliebend. Vielleicht hatte man das gerade in Deutschland, dem Lande der exakten Wissenschaft, im Gefühle ehrlicher Friedensliebe und selbstbewußter Kraft am meisten übersehen. Der Deutsche hat wohl in der Politik nicht allzuviel Sinn für psychologische Fein¬ heiten — ist zuviel „entweder-oder". Hier, wo man sür das gewaltige wirt¬ schaftliche Fortschreiten, dessen Entwicklung man mit berechtigtem Stolze mit ansah, den Frieden am meisten benötigte, war der Wunsch vielleicht auch zum Teil der Vater der friedlichen Weltanschauung. Eine Partei, die wirklich für den Krieg war, gab es in Deutschland eigentlich überhaupt nicht. Auch viele der Pangermanisten und Imperialisten, die für die Ausdehnung des Kolonialreiches eintraten, dachten letzten Grundes, daß sich ihre Ziele durch starke Rüstung und festes diplomatisches Auftreten, vielleicht auch durch Säbelrasseln, aber unter Wahrung des Friedens erreichen lassen. Das von Anatole France über Deutschland geprägte Wort als der „Nation qui aime les solclats, mais qui n'aime pas la Zusrre" hatte trotz des beißenden Spottes vielleicht in einem besseren Sinne seine Berechtigung. Deutschland war wohl einer der wenigen Großstaaten, in denen Regierung und Volk — einerlei welcher Schicht — einmütig in der Friedensliebe war. Trotzdem wurde es im Auslande immer als der prädestinierte Friedensstörer hingestellt. Man konnte ihm sein leider so spätes Emporkommen, seinen ver¬ blüffenden Eintritt in den Rat der Weltnationen nicht verzeihen und nicht be¬ greifen, daß sein wirtschaftliches Erstarken nicht auch zu gefährlichen Ambitionen politischer Natur führen sollte. Ihre klassische Ausführung findet diese Auffassung in dem im Auslande viel gelesenen Buche von Fullerton „Problems ok Power, a Skua^ ok international polities kron Leclan to KirK-Kniffe". Selbstver¬ ständlich ist, daß die ungemein rasche Entwicklung des konsolidierten Deutschlands, seine rapide Bevölkerungszunahme und militärische Organisation Gleichgewichts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/111>, abgerufen am 02.07.2024.