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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Und auch aus unseren Reisen.

Man braucht noch lange kein Feind des Fortschritts zu sein und muß es
doch bedauern, daß gerade unsere Kultur -- häufig ist es die Falsch- und
Überkultur -- eine Disharmonie in die Natur hineinträgt und oft ihre ge¬
waltigsten und schönsten Eindrücke stört oder ihnen gar der Untergang droht.
Welches empfängliche Gemüt empfände es nicht als eine Verschandelung, wenn
an einer paradiesischen Stelle die schreiende Reklametafel die schmackhafteste
Zigarette, das beste Waschpulver anpreist? Wer muß es um der Romantik
willen nicht bedauern, daß große Wasserfälle gezwungen werden, der Fabrik die
Maschine zu treiben? Wo gibt es ein wundervolles Tal, in dem nicht der
Pfiff der Lokomotive ertönt, wo den Bergriesen, der nicht die Eisenbahn auf
seinem Nacken tragen muß? Wo den schönsten Fleck am Meer und auf den
Bergen, wo nicht sofort das "Grand Hotel" entsteht, um dem verwöhnten
heutigen Genußmenschen, notabene wenn er die "Füchse" springen lassen kann,
ja auch jede Schlaraffenbequemlichkeit zu bieten, auf die dieser doch auch nicht
einmal ein paar Tage verzichten kann und will?

Zum Wesen der Romantik gehört etwas Weltfernes, Einsames, Stilles,
Naturnaives. Daher hat mancher schöne Erdenfleck seine Romantik verloren,
weil er zur Sensation gemacht und als solche von der Menge überschwemmt
wurde. Sie gedeiht heute überhaupt nicht mehr auf der großen Heerstraße,
man muß vielmehr einen "Schritt vom Wege" gehen, um sie zu finden, dahin,
wo der Reisesnob sich glücklicherweise noch nicht hin verirrt, wo nach seiner
Meinung "nichts los ist".

An dem Schwinden der Romantik ist eben unsere heutige Reisekultur oder
vielmehr -Unkultur hauptsächlich schuld. Schon die schnelle Art des Reifens ist
vom Übel. Man will möglichst weit weggewesen sein und möglichst viel gesehen
haben. Darum wird das Programm mit wer weiß wie vielen Punkten voll¬
gestopft, die auf jeden Fall "erledigt" werden müssen -- oft zu keinem anderen
Zweck, als um in der Gesellschaft sagen zu können: da und da bin ich auch
gewesen. Es ist natürlich nichts dagegen zu sagen, daß uns der Schnellzug
in ferne Gegenden trägt -- auch eine Bahnfahrt hat ihre starken Reize, um
nicht gar zu sagen ihre Romantik -- aber wenn wir am Ziele sind, sollten
wir langsamer reisen, und uns lieber mit einem kleineren Teile der Gegend
begnügen und diesen Teil gründlicher kennen lernen, als es der Reisefex im
Geschwindschritt je tun kann. Je mehr uns gerade das Leben, der Alltag zur
ruhelosen Hast zwingt, desto mehr müßten wir uns gerade beim Reisen der
köstlichen Ruhe, des Behagens im gemächlichen Aufnehmen und Verarbeiten
freuen. Unser schnelles Reisen bringt uns um vollendete, überfüllt uns nur
mit einer Menge oberflächlicher, verschwommener Eindrücke, es läßt kein Gefühl
sich ausleben. Es läßt uns erst gar keine Zeit, einen Schritt abseits von dem
vielbetretener Wege zu tun, weiter geht es im schnellen Flug, ganz wie der
Dichter klagt: kaum gegrüßt -- gemieden! Hängt diese Reisemanie nicht wieder


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Und auch aus unseren Reisen.

Man braucht noch lange kein Feind des Fortschritts zu sein und muß es
doch bedauern, daß gerade unsere Kultur — häufig ist es die Falsch- und
Überkultur — eine Disharmonie in die Natur hineinträgt und oft ihre ge¬
waltigsten und schönsten Eindrücke stört oder ihnen gar der Untergang droht.
Welches empfängliche Gemüt empfände es nicht als eine Verschandelung, wenn
an einer paradiesischen Stelle die schreiende Reklametafel die schmackhafteste
Zigarette, das beste Waschpulver anpreist? Wer muß es um der Romantik
willen nicht bedauern, daß große Wasserfälle gezwungen werden, der Fabrik die
Maschine zu treiben? Wo gibt es ein wundervolles Tal, in dem nicht der
Pfiff der Lokomotive ertönt, wo den Bergriesen, der nicht die Eisenbahn auf
seinem Nacken tragen muß? Wo den schönsten Fleck am Meer und auf den
Bergen, wo nicht sofort das „Grand Hotel" entsteht, um dem verwöhnten
heutigen Genußmenschen, notabene wenn er die „Füchse" springen lassen kann,
ja auch jede Schlaraffenbequemlichkeit zu bieten, auf die dieser doch auch nicht
einmal ein paar Tage verzichten kann und will?

Zum Wesen der Romantik gehört etwas Weltfernes, Einsames, Stilles,
Naturnaives. Daher hat mancher schöne Erdenfleck seine Romantik verloren,
weil er zur Sensation gemacht und als solche von der Menge überschwemmt
wurde. Sie gedeiht heute überhaupt nicht mehr auf der großen Heerstraße,
man muß vielmehr einen „Schritt vom Wege" gehen, um sie zu finden, dahin,
wo der Reisesnob sich glücklicherweise noch nicht hin verirrt, wo nach seiner
Meinung „nichts los ist".

An dem Schwinden der Romantik ist eben unsere heutige Reisekultur oder
vielmehr -Unkultur hauptsächlich schuld. Schon die schnelle Art des Reifens ist
vom Übel. Man will möglichst weit weggewesen sein und möglichst viel gesehen
haben. Darum wird das Programm mit wer weiß wie vielen Punkten voll¬
gestopft, die auf jeden Fall „erledigt" werden müssen — oft zu keinem anderen
Zweck, als um in der Gesellschaft sagen zu können: da und da bin ich auch
gewesen. Es ist natürlich nichts dagegen zu sagen, daß uns der Schnellzug
in ferne Gegenden trägt — auch eine Bahnfahrt hat ihre starken Reize, um
nicht gar zu sagen ihre Romantik — aber wenn wir am Ziele sind, sollten
wir langsamer reisen, und uns lieber mit einem kleineren Teile der Gegend
begnügen und diesen Teil gründlicher kennen lernen, als es der Reisefex im
Geschwindschritt je tun kann. Je mehr uns gerade das Leben, der Alltag zur
ruhelosen Hast zwingt, desto mehr müßten wir uns gerade beim Reisen der
köstlichen Ruhe, des Behagens im gemächlichen Aufnehmen und Verarbeiten
freuen. Unser schnelles Reisen bringt uns um vollendete, überfüllt uns nur
mit einer Menge oberflächlicher, verschwommener Eindrücke, es läßt kein Gefühl
sich ausleben. Es läßt uns erst gar keine Zeit, einen Schritt abseits von dem
vielbetretener Wege zu tun, weiter geht es im schnellen Flug, ganz wie der
Dichter klagt: kaum gegrüßt — gemieden! Hängt diese Reisemanie nicht wieder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/55>, abgerufen am 28.07.2024.