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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Reiseromantik

mit einem Zuge unserer Zeit zusammen, nämlich mit der Sucht nach groben
und nach möglichst viel Genüssen, ferner damit, daß heute soviel auf den
Schein gestellt und so wenig auf das innere Erlebnis gegeben wird? Daß
endlich unter der Vorherrschaft des Grobmateriellen das Gemütsleben verarmt
und die Sehnsucht nach und das Organ für poetische Reize, wie z. B. fürs
Romantische, verkümmert ist?

Deshalb sollten wir zur alten Art des Reifens wieder mehr zurückkehren,
zum Wandern, zu den Fußreisen. Es ist hier nicht der Ort, seine unschätzbaren
Vorzüge, die es geradezu zu einem Universalerziehungsmittel machen, in das
helle Licht zu rücken, es soll hier nur betont werden, wie das Wandern gerade
auch ein romantisches Reisen ermöglicht oder ist. Sein Hauptwert in dieser
Beziehung besteht darin, daß es uns so ziemlich unabhängig von äußeren Um¬
ständen macht. Unser Fuß trägt uns schnell dahin, wohin Auge und Seele
nur immer begehren, wohin uns kein Gefährt führen könnte. Wo wir nur
immer verharren wollen, während der Trupp oder der Genosse weiterziehen,
dürfen wir es unbekümmert tun, dürfen uns ganz dem jeweiligen Eindrucke
hingeben, so lange, wie wir wollen. Auf der Reise ist ja nicht nur das
Grandiose, das Gewaltige zu werten, sondern jeder Eindruck, der zu unserer
Seele spricht. Oft wird es gerade das Unbedeutende sein, das der Schnell¬
reisende überhaupt nicht erst gewahrt, was Sinn und Geist fesselt. Nur beim
Wandern ist es möglich, auch das Kleine zu genießen, überhaupt mit Muße
aufzunehmen, nachdenklich und besinnlich ein Landschaftsbild zu betrachten, seine
Phantasie blühen, sich von seineu Gedanken in alte Zeiten tragen zu lassen.
Schon die Einsamkeit kommt beim Wandern dem Genusse des Romantischen
sehr zu statten. Wer Romantik empfinden will -- den Zauber des Vergangenen,
das Phantasieerregende, das Unendliche, das Ungeheuerliche und Schauerliche --
ist am besten mit sich allein, zum mindesten doch nicht im lauten Menschen-
schwarm, vor dem jede Romantik sicher scheu zurückweicht.

Von den modernen Verkehrsmitteln wäre vielleicht noch das Fahrrad dem
romantischen Reisen günstig oder doch nicht besonders hinderlich. Es bringt
uns -- nicht auf verzärtelnde Weise wie das Fahren -- rasch vorwärts, wenn
es uns beliebt, gestattet uns jederzeit ein Anhalten, Ausruhen und wartet ge¬
treulich auf uns, wenn wir einen Sprung abseits gemacht haben; es kann uns
zum lieben Wanderroß werden.

Je größer unsere Städte werden, je mehr so viele Menschen ihr Leben in
Speichern, Fabriken, Schreibstuben verbringen, je mehr wir ferner abhängig
werden von den Gaben der Kultur, desto stärker wird, wie die Erfahrung
beweist, die Sehnsucht nach draußen und nach den alten Reizen der Natur.
Und es gehört gewiß mit zu dem sonderlichen im Menschenleben, daß man
diesen Drang nach der Natur so tief empfindet und ihn dann, auf Reisen, doch
nicht genügend stillt. Vielleicht muß die Trennung von der Natur erst noch
stärker werden, ehe das Bedürfnis stärker erwacht, sie wieder mehr zu suchen.


Reiseromantik

mit einem Zuge unserer Zeit zusammen, nämlich mit der Sucht nach groben
und nach möglichst viel Genüssen, ferner damit, daß heute soviel auf den
Schein gestellt und so wenig auf das innere Erlebnis gegeben wird? Daß
endlich unter der Vorherrschaft des Grobmateriellen das Gemütsleben verarmt
und die Sehnsucht nach und das Organ für poetische Reize, wie z. B. fürs
Romantische, verkümmert ist?

Deshalb sollten wir zur alten Art des Reifens wieder mehr zurückkehren,
zum Wandern, zu den Fußreisen. Es ist hier nicht der Ort, seine unschätzbaren
Vorzüge, die es geradezu zu einem Universalerziehungsmittel machen, in das
helle Licht zu rücken, es soll hier nur betont werden, wie das Wandern gerade
auch ein romantisches Reisen ermöglicht oder ist. Sein Hauptwert in dieser
Beziehung besteht darin, daß es uns so ziemlich unabhängig von äußeren Um¬
ständen macht. Unser Fuß trägt uns schnell dahin, wohin Auge und Seele
nur immer begehren, wohin uns kein Gefährt führen könnte. Wo wir nur
immer verharren wollen, während der Trupp oder der Genosse weiterziehen,
dürfen wir es unbekümmert tun, dürfen uns ganz dem jeweiligen Eindrucke
hingeben, so lange, wie wir wollen. Auf der Reise ist ja nicht nur das
Grandiose, das Gewaltige zu werten, sondern jeder Eindruck, der zu unserer
Seele spricht. Oft wird es gerade das Unbedeutende sein, das der Schnell¬
reisende überhaupt nicht erst gewahrt, was Sinn und Geist fesselt. Nur beim
Wandern ist es möglich, auch das Kleine zu genießen, überhaupt mit Muße
aufzunehmen, nachdenklich und besinnlich ein Landschaftsbild zu betrachten, seine
Phantasie blühen, sich von seineu Gedanken in alte Zeiten tragen zu lassen.
Schon die Einsamkeit kommt beim Wandern dem Genusse des Romantischen
sehr zu statten. Wer Romantik empfinden will — den Zauber des Vergangenen,
das Phantasieerregende, das Unendliche, das Ungeheuerliche und Schauerliche —
ist am besten mit sich allein, zum mindesten doch nicht im lauten Menschen-
schwarm, vor dem jede Romantik sicher scheu zurückweicht.

Von den modernen Verkehrsmitteln wäre vielleicht noch das Fahrrad dem
romantischen Reisen günstig oder doch nicht besonders hinderlich. Es bringt
uns — nicht auf verzärtelnde Weise wie das Fahren — rasch vorwärts, wenn
es uns beliebt, gestattet uns jederzeit ein Anhalten, Ausruhen und wartet ge¬
treulich auf uns, wenn wir einen Sprung abseits gemacht haben; es kann uns
zum lieben Wanderroß werden.

Je größer unsere Städte werden, je mehr so viele Menschen ihr Leben in
Speichern, Fabriken, Schreibstuben verbringen, je mehr wir ferner abhängig
werden von den Gaben der Kultur, desto stärker wird, wie die Erfahrung
beweist, die Sehnsucht nach draußen und nach den alten Reizen der Natur.
Und es gehört gewiß mit zu dem sonderlichen im Menschenleben, daß man
diesen Drang nach der Natur so tief empfindet und ihn dann, auf Reisen, doch
nicht genügend stillt. Vielleicht muß die Trennung von der Natur erst noch
stärker werden, ehe das Bedürfnis stärker erwacht, sie wieder mehr zu suchen.


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[0056] Reiseromantik mit einem Zuge unserer Zeit zusammen, nämlich mit der Sucht nach groben und nach möglichst viel Genüssen, ferner damit, daß heute soviel auf den Schein gestellt und so wenig auf das innere Erlebnis gegeben wird? Daß endlich unter der Vorherrschaft des Grobmateriellen das Gemütsleben verarmt und die Sehnsucht nach und das Organ für poetische Reize, wie z. B. fürs Romantische, verkümmert ist? Deshalb sollten wir zur alten Art des Reifens wieder mehr zurückkehren, zum Wandern, zu den Fußreisen. Es ist hier nicht der Ort, seine unschätzbaren Vorzüge, die es geradezu zu einem Universalerziehungsmittel machen, in das helle Licht zu rücken, es soll hier nur betont werden, wie das Wandern gerade auch ein romantisches Reisen ermöglicht oder ist. Sein Hauptwert in dieser Beziehung besteht darin, daß es uns so ziemlich unabhängig von äußeren Um¬ ständen macht. Unser Fuß trägt uns schnell dahin, wohin Auge und Seele nur immer begehren, wohin uns kein Gefährt führen könnte. Wo wir nur immer verharren wollen, während der Trupp oder der Genosse weiterziehen, dürfen wir es unbekümmert tun, dürfen uns ganz dem jeweiligen Eindrucke hingeben, so lange, wie wir wollen. Auf der Reise ist ja nicht nur das Grandiose, das Gewaltige zu werten, sondern jeder Eindruck, der zu unserer Seele spricht. Oft wird es gerade das Unbedeutende sein, das der Schnell¬ reisende überhaupt nicht erst gewahrt, was Sinn und Geist fesselt. Nur beim Wandern ist es möglich, auch das Kleine zu genießen, überhaupt mit Muße aufzunehmen, nachdenklich und besinnlich ein Landschaftsbild zu betrachten, seine Phantasie blühen, sich von seineu Gedanken in alte Zeiten tragen zu lassen. Schon die Einsamkeit kommt beim Wandern dem Genusse des Romantischen sehr zu statten. Wer Romantik empfinden will — den Zauber des Vergangenen, das Phantasieerregende, das Unendliche, das Ungeheuerliche und Schauerliche — ist am besten mit sich allein, zum mindesten doch nicht im lauten Menschen- schwarm, vor dem jede Romantik sicher scheu zurückweicht. Von den modernen Verkehrsmitteln wäre vielleicht noch das Fahrrad dem romantischen Reisen günstig oder doch nicht besonders hinderlich. Es bringt uns — nicht auf verzärtelnde Weise wie das Fahren — rasch vorwärts, wenn es uns beliebt, gestattet uns jederzeit ein Anhalten, Ausruhen und wartet ge¬ treulich auf uns, wenn wir einen Sprung abseits gemacht haben; es kann uns zum lieben Wanderroß werden. Je größer unsere Städte werden, je mehr so viele Menschen ihr Leben in Speichern, Fabriken, Schreibstuben verbringen, je mehr wir ferner abhängig werden von den Gaben der Kultur, desto stärker wird, wie die Erfahrung beweist, die Sehnsucht nach draußen und nach den alten Reizen der Natur. Und es gehört gewiß mit zu dem sonderlichen im Menschenleben, daß man diesen Drang nach der Natur so tief empfindet und ihn dann, auf Reisen, doch nicht genügend stillt. Vielleicht muß die Trennung von der Natur erst noch stärker werden, ehe das Bedürfnis stärker erwacht, sie wieder mehr zu suchen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/56>, abgerufen am 22.12.2024.