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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Englands Prämie bei der Friedensschlußversicherung auf Gegenseitigkeit

Der erste Punkt bedarf kaum weiterer Aufklärung. Ein dem deutschen
Reich günstiger Verlauf des Krieges muß in den durch die deutsche Besetzung
unmittelbar betroffenen Staaten Frankreich und Rußland am ersten und drin¬
gendsten den Wunsch nach Einstellung der Feindseligkeiten wachrufen. Es lag
also für England die Gefahr eines kontinentalen Friedensschlusses vor. bei dem
sich das Inselreich plötzlich allein den beiden europäischen Zentralmächten gegen-
über gesehen hätte. Dieser unangenehmen Möglichkeit glaubt man in der
Downingstreet durch das Abkommen vorgebeugt zu haben, das die beiden konti¬
nentalen Alliierten bindet, keinen Separatfrieden zu schließen.

Nun zu dem anderen Gesichtspunkt, der meines Wissens bislang weder in
der deutschen noch in der feindlichen Presse Erwähnung gefunden hat. wiewohl
er den englischen Staatsmännern für den Abschluß des Londoner Paktes zweifellos
mitbestimmend gewesen ist. Man hat an der Themse zweifellos auch die Mög¬
lichkeit eines für Deutschland unglücklichen Kriegsverlaufes ins Auge gefaßt und
durch den neuen Dreiverbandsvertrag diskontiert. England ist von den gegen
uns kämpfenden Mächten der einzige Staat, der ein ernstes Interesse daran hat,
Deutschland nicht zu sehr geschwächt zu sehen. Denn im Moment der Zer-
trümmerung der deutschen Kontinentalstellung tritt für England die russische
Gefahr wieder drohend in den Vordergrund. Der Grundsatz des abzuwägenden
europäischen Gleichgewichts, der seit langer Zeit die englische Festlandspolitik
beherrscht, würde bei einer völligen Niederkämpfung des deutschen Reiches ge¬
fährdet. England hat ein Lebensinteresse daran, niemals eine Schwächung der
deutschen Nation bis zu dem Punkte zuzulassen, daß sie gegen Rußland nicht
mehr in die Wagschale geworfen werden könnte. Wenn nun England die
Gemeinsamkeit des Friedensschlusses vertraglich hat festlegen lassen, so sichert
es sich dadurch die Möglichkeit, bestimmend in die Friedensverhandlungen ein¬
zugreifen und solchen Forderungen Rußlands und Frankreichs, die auf eine
Verstümmelung des deutschen Reiches hinausliefen, aus eigensten Interesse zu
widersprechen.

Die von England erzielte Rückwirkung des Londoner Vertrages vom Sep¬
tember 1914 auf den Gang späterer Friedensverhandlungen resultiert in folgenden
diplomatischen Vorteilen: verliert Deutschland, so wirft England seine Stimme
gegen die seiner Alliierten in die Wagschale. Gewinne Deutschland, so zwingt
England seine Alliierten zum Aushalten an seiner Seite.




Englands Prämie bei der Friedensschlußversicherung auf Gegenseitigkeit

Der erste Punkt bedarf kaum weiterer Aufklärung. Ein dem deutschen
Reich günstiger Verlauf des Krieges muß in den durch die deutsche Besetzung
unmittelbar betroffenen Staaten Frankreich und Rußland am ersten und drin¬
gendsten den Wunsch nach Einstellung der Feindseligkeiten wachrufen. Es lag
also für England die Gefahr eines kontinentalen Friedensschlusses vor. bei dem
sich das Inselreich plötzlich allein den beiden europäischen Zentralmächten gegen-
über gesehen hätte. Dieser unangenehmen Möglichkeit glaubt man in der
Downingstreet durch das Abkommen vorgebeugt zu haben, das die beiden konti¬
nentalen Alliierten bindet, keinen Separatfrieden zu schließen.

Nun zu dem anderen Gesichtspunkt, der meines Wissens bislang weder in
der deutschen noch in der feindlichen Presse Erwähnung gefunden hat. wiewohl
er den englischen Staatsmännern für den Abschluß des Londoner Paktes zweifellos
mitbestimmend gewesen ist. Man hat an der Themse zweifellos auch die Mög¬
lichkeit eines für Deutschland unglücklichen Kriegsverlaufes ins Auge gefaßt und
durch den neuen Dreiverbandsvertrag diskontiert. England ist von den gegen
uns kämpfenden Mächten der einzige Staat, der ein ernstes Interesse daran hat,
Deutschland nicht zu sehr geschwächt zu sehen. Denn im Moment der Zer-
trümmerung der deutschen Kontinentalstellung tritt für England die russische
Gefahr wieder drohend in den Vordergrund. Der Grundsatz des abzuwägenden
europäischen Gleichgewichts, der seit langer Zeit die englische Festlandspolitik
beherrscht, würde bei einer völligen Niederkämpfung des deutschen Reiches ge¬
fährdet. England hat ein Lebensinteresse daran, niemals eine Schwächung der
deutschen Nation bis zu dem Punkte zuzulassen, daß sie gegen Rußland nicht
mehr in die Wagschale geworfen werden könnte. Wenn nun England die
Gemeinsamkeit des Friedensschlusses vertraglich hat festlegen lassen, so sichert
es sich dadurch die Möglichkeit, bestimmend in die Friedensverhandlungen ein¬
zugreifen und solchen Forderungen Rußlands und Frankreichs, die auf eine
Verstümmelung des deutschen Reiches hinausliefen, aus eigensten Interesse zu
widersprechen.

Die von England erzielte Rückwirkung des Londoner Vertrages vom Sep¬
tember 1914 auf den Gang späterer Friedensverhandlungen resultiert in folgenden
diplomatischen Vorteilen: verliert Deutschland, so wirft England seine Stimme
gegen die seiner Alliierten in die Wagschale. Gewinne Deutschland, so zwingt
England seine Alliierten zum Aushalten an seiner Seite.




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[0487] Englands Prämie bei der Friedensschlußversicherung auf Gegenseitigkeit Der erste Punkt bedarf kaum weiterer Aufklärung. Ein dem deutschen Reich günstiger Verlauf des Krieges muß in den durch die deutsche Besetzung unmittelbar betroffenen Staaten Frankreich und Rußland am ersten und drin¬ gendsten den Wunsch nach Einstellung der Feindseligkeiten wachrufen. Es lag also für England die Gefahr eines kontinentalen Friedensschlusses vor. bei dem sich das Inselreich plötzlich allein den beiden europäischen Zentralmächten gegen- über gesehen hätte. Dieser unangenehmen Möglichkeit glaubt man in der Downingstreet durch das Abkommen vorgebeugt zu haben, das die beiden konti¬ nentalen Alliierten bindet, keinen Separatfrieden zu schließen. Nun zu dem anderen Gesichtspunkt, der meines Wissens bislang weder in der deutschen noch in der feindlichen Presse Erwähnung gefunden hat. wiewohl er den englischen Staatsmännern für den Abschluß des Londoner Paktes zweifellos mitbestimmend gewesen ist. Man hat an der Themse zweifellos auch die Mög¬ lichkeit eines für Deutschland unglücklichen Kriegsverlaufes ins Auge gefaßt und durch den neuen Dreiverbandsvertrag diskontiert. England ist von den gegen uns kämpfenden Mächten der einzige Staat, der ein ernstes Interesse daran hat, Deutschland nicht zu sehr geschwächt zu sehen. Denn im Moment der Zer- trümmerung der deutschen Kontinentalstellung tritt für England die russische Gefahr wieder drohend in den Vordergrund. Der Grundsatz des abzuwägenden europäischen Gleichgewichts, der seit langer Zeit die englische Festlandspolitik beherrscht, würde bei einer völligen Niederkämpfung des deutschen Reiches ge¬ fährdet. England hat ein Lebensinteresse daran, niemals eine Schwächung der deutschen Nation bis zu dem Punkte zuzulassen, daß sie gegen Rußland nicht mehr in die Wagschale geworfen werden könnte. Wenn nun England die Gemeinsamkeit des Friedensschlusses vertraglich hat festlegen lassen, so sichert es sich dadurch die Möglichkeit, bestimmend in die Friedensverhandlungen ein¬ zugreifen und solchen Forderungen Rußlands und Frankreichs, die auf eine Verstümmelung des deutschen Reiches hinausliefen, aus eigensten Interesse zu widersprechen. Die von England erzielte Rückwirkung des Londoner Vertrages vom Sep¬ tember 1914 auf den Gang späterer Friedensverhandlungen resultiert in folgenden diplomatischen Vorteilen: verliert Deutschland, so wirft England seine Stimme gegen die seiner Alliierten in die Wagschale. Gewinne Deutschland, so zwingt England seine Alliierten zum Aushalten an seiner Seite.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/487>, abgerufen am 22.12.2024.