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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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England und der Militarismus

schaftliche Entwicklung mit allem, was dazu gehört, und diese konnten wir,
soviel an uns lag, nur im Frieden mit England finden. Diesen Frieden zu
halten, war aber auch, subjektiv betrachtet, ein Gebot der Klugheit mit Rück¬
sicht auf die Eigenheit unseres Nationalcharakters. Würden wir wohl eine fo
großartige Erhebung, einen so einzigartigen Zusammenschluß, eine so bedingungs-
lose Opferfreudigkeit unseres Volkes erlebt haben, wenn wir, dem Rat weniger
stets aufgeregten Patrioten und dem Sturm und Drang nationaler Kraftmeier
folgend, eine Politik gemacht hätten, die zu einem sogenannten Präventivkrieg
gegen England führte? Wir konnten in diesen Krieg, in dieses ungeheure
Ringen um Sein oder Nichtsein nur eintreten, wenn jeden im deutschen Volke
das zwingende Bewußtsein durchdrang: "Es geht nicht andersI Wir mögen
wollen oder nicht, wir sind gezwungen, um das Letzte zu kämpfen, und deshalb
müssen wir siegen!" In diesem Sinne ist gerade unsere unbeirrbare, fast bis
zum äußersten getriebene Friedenspolitik, die den härter und lebhafter
Empfindenden unter uns so oft schon als eine Politik des Zurückweichens und
der unverantwortlichen Schwäche erschien, unsere stärkste und gefährlichste --
weil vom Feinde gänzlich verkannte -- Waffe geworden. Aber wir konnten
diese Haltung nur bewahren, weil wir das hatten, was unsere Feinde jetzt im
Ingrimm zu später Erkenntnis als "Militarismus" verlästern, nämlich die bei
tiefster, aufrichtigster Friedfertigkeit stets vorhandene kriegerische Bereitschaft und
kriegerische Opferwilligkeit. In England haben Gewohnheit und geschichtliche
Erfahrungen fo weit von diesem Gedanken abgeführt, daß man an den Wert
des Militarismus in diesem Sinne nicht glauben kann. Macht besitzen und
sie nur im Notfall gegen andere gebrauchen, das ist etwas, was in ein englisches
Gehirn nicht hineingeht. Darum haben sie in der Verblendung des Dünkels
geglaubt, unsere scheinbare Macht sei in Wahrheit Schwäche. Und jetzt ihres
Irrtumes gewahr, suchen sie, getrieben durch die Wut der Enttäuschung, den
ihnen so verhängnisvoll gewordenen Militarismus als das kulturfeindliche
Prinzip zu brandmarken, das sie angeblich bekämpfen. Weil jeder Engländer
von einigem Urteil mindestens unbewußt durchfühlt, wo der ungeheure Rechen¬
fehler steckt, der ihre nach altem, verbrauchten Schema arbeitende Politik zum
Bankerott geführt hat und weil darin allerdings der "Militarismus" Deutschlands
eine Rolle spielt, darum glaubt auch der, der es besser wissen könnte, sein Heil
in dem kläglichen Zufluchtsort des allgemeinen nationalen Vorurteils suchen zu
müssen. Wir brauchen mit ihm nicht zu streiten; die Weltgeschichte selbst wird
die Lehre, die ihn widerlegt, mit härterem Griffel schreiben.




England und der Militarismus

schaftliche Entwicklung mit allem, was dazu gehört, und diese konnten wir,
soviel an uns lag, nur im Frieden mit England finden. Diesen Frieden zu
halten, war aber auch, subjektiv betrachtet, ein Gebot der Klugheit mit Rück¬
sicht auf die Eigenheit unseres Nationalcharakters. Würden wir wohl eine fo
großartige Erhebung, einen so einzigartigen Zusammenschluß, eine so bedingungs-
lose Opferfreudigkeit unseres Volkes erlebt haben, wenn wir, dem Rat weniger
stets aufgeregten Patrioten und dem Sturm und Drang nationaler Kraftmeier
folgend, eine Politik gemacht hätten, die zu einem sogenannten Präventivkrieg
gegen England führte? Wir konnten in diesen Krieg, in dieses ungeheure
Ringen um Sein oder Nichtsein nur eintreten, wenn jeden im deutschen Volke
das zwingende Bewußtsein durchdrang: „Es geht nicht andersI Wir mögen
wollen oder nicht, wir sind gezwungen, um das Letzte zu kämpfen, und deshalb
müssen wir siegen!" In diesem Sinne ist gerade unsere unbeirrbare, fast bis
zum äußersten getriebene Friedenspolitik, die den härter und lebhafter
Empfindenden unter uns so oft schon als eine Politik des Zurückweichens und
der unverantwortlichen Schwäche erschien, unsere stärkste und gefährlichste —
weil vom Feinde gänzlich verkannte — Waffe geworden. Aber wir konnten
diese Haltung nur bewahren, weil wir das hatten, was unsere Feinde jetzt im
Ingrimm zu später Erkenntnis als „Militarismus" verlästern, nämlich die bei
tiefster, aufrichtigster Friedfertigkeit stets vorhandene kriegerische Bereitschaft und
kriegerische Opferwilligkeit. In England haben Gewohnheit und geschichtliche
Erfahrungen fo weit von diesem Gedanken abgeführt, daß man an den Wert
des Militarismus in diesem Sinne nicht glauben kann. Macht besitzen und
sie nur im Notfall gegen andere gebrauchen, das ist etwas, was in ein englisches
Gehirn nicht hineingeht. Darum haben sie in der Verblendung des Dünkels
geglaubt, unsere scheinbare Macht sei in Wahrheit Schwäche. Und jetzt ihres
Irrtumes gewahr, suchen sie, getrieben durch die Wut der Enttäuschung, den
ihnen so verhängnisvoll gewordenen Militarismus als das kulturfeindliche
Prinzip zu brandmarken, das sie angeblich bekämpfen. Weil jeder Engländer
von einigem Urteil mindestens unbewußt durchfühlt, wo der ungeheure Rechen¬
fehler steckt, der ihre nach altem, verbrauchten Schema arbeitende Politik zum
Bankerott geführt hat und weil darin allerdings der „Militarismus" Deutschlands
eine Rolle spielt, darum glaubt auch der, der es besser wissen könnte, sein Heil
in dem kläglichen Zufluchtsort des allgemeinen nationalen Vorurteils suchen zu
müssen. Wir brauchen mit ihm nicht zu streiten; die Weltgeschichte selbst wird
die Lehre, die ihn widerlegt, mit härterem Griffel schreiben.




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[0485] England und der Militarismus schaftliche Entwicklung mit allem, was dazu gehört, und diese konnten wir, soviel an uns lag, nur im Frieden mit England finden. Diesen Frieden zu halten, war aber auch, subjektiv betrachtet, ein Gebot der Klugheit mit Rück¬ sicht auf die Eigenheit unseres Nationalcharakters. Würden wir wohl eine fo großartige Erhebung, einen so einzigartigen Zusammenschluß, eine so bedingungs- lose Opferfreudigkeit unseres Volkes erlebt haben, wenn wir, dem Rat weniger stets aufgeregten Patrioten und dem Sturm und Drang nationaler Kraftmeier folgend, eine Politik gemacht hätten, die zu einem sogenannten Präventivkrieg gegen England führte? Wir konnten in diesen Krieg, in dieses ungeheure Ringen um Sein oder Nichtsein nur eintreten, wenn jeden im deutschen Volke das zwingende Bewußtsein durchdrang: „Es geht nicht andersI Wir mögen wollen oder nicht, wir sind gezwungen, um das Letzte zu kämpfen, und deshalb müssen wir siegen!" In diesem Sinne ist gerade unsere unbeirrbare, fast bis zum äußersten getriebene Friedenspolitik, die den härter und lebhafter Empfindenden unter uns so oft schon als eine Politik des Zurückweichens und der unverantwortlichen Schwäche erschien, unsere stärkste und gefährlichste — weil vom Feinde gänzlich verkannte — Waffe geworden. Aber wir konnten diese Haltung nur bewahren, weil wir das hatten, was unsere Feinde jetzt im Ingrimm zu später Erkenntnis als „Militarismus" verlästern, nämlich die bei tiefster, aufrichtigster Friedfertigkeit stets vorhandene kriegerische Bereitschaft und kriegerische Opferwilligkeit. In England haben Gewohnheit und geschichtliche Erfahrungen fo weit von diesem Gedanken abgeführt, daß man an den Wert des Militarismus in diesem Sinne nicht glauben kann. Macht besitzen und sie nur im Notfall gegen andere gebrauchen, das ist etwas, was in ein englisches Gehirn nicht hineingeht. Darum haben sie in der Verblendung des Dünkels geglaubt, unsere scheinbare Macht sei in Wahrheit Schwäche. Und jetzt ihres Irrtumes gewahr, suchen sie, getrieben durch die Wut der Enttäuschung, den ihnen so verhängnisvoll gewordenen Militarismus als das kulturfeindliche Prinzip zu brandmarken, das sie angeblich bekämpfen. Weil jeder Engländer von einigem Urteil mindestens unbewußt durchfühlt, wo der ungeheure Rechen¬ fehler steckt, der ihre nach altem, verbrauchten Schema arbeitende Politik zum Bankerott geführt hat und weil darin allerdings der „Militarismus" Deutschlands eine Rolle spielt, darum glaubt auch der, der es besser wissen könnte, sein Heil in dem kläglichen Zufluchtsort des allgemeinen nationalen Vorurteils suchen zu müssen. Wir brauchen mit ihm nicht zu streiten; die Weltgeschichte selbst wird die Lehre, die ihn widerlegt, mit härterem Griffel schreiben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/485>, abgerufen am 01.09.2024.