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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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hin, nicht nur nach der einen, vom regelrechten Britentum approbierten, zu
gebrauchen gelernt haben. Man glaubt zu beobachten, daß der äußere Schein
einer besonders weitgehenden persönlichen Freiheit in den Dingen des gewöhn¬
lichen Lebens die Engländer nur um so leichter darüber hinwegtäuscht, daß sie
in ihrer Gedankentätigkeit auf politischem und sozialem Gebiet in Wahrheit über
die Maßen unfrei, ja geradezu Sklaven der Gewohnheit, des Herkommens,
der Schablone, der Gedankenlosigkeit und Unwahrheit in jeder Form sind. Es
ist. als ob jeder einzelne Geist durch das Gummiband einer unendlich einseitigen
Erziehung gefesselt ist. Einzelnen gelingt es, in der Berührung mit einem anderen
Gesichtskreise dieses Band so weit auszudehnen, daß der Schein freier geistiger
Bewegung erweckt wird. Aber sobald irgend eine Tatsache diese Spannung aufhebt,
schnellt das Band in die alte Lage zurück; von der Verbindung mit einer anderen
geistigen Sphäre, von der freien Bewegung ist nichts mehr zu spüren. Das
scheint niir der Fall des Herrn Dawson zu sein. Die Weltereignisse haben
es gefügt, daß der vom Durchschnittsbriten ersehnte Krieg mit Deutschland da
ist; damit erlischt im Gehirn des sonst besser unterrichteten Beurteilers jede
bessere Erkenntnis, und er sieht Deutschland nur noch so, wie es eben der
Engländer schlechthin sieht, das Zerrbild, das nur noch die Züge trägt, in
denen der typische Engländer einen Gegensatz zu seinem eigenen Wesen zu
erkennen glaubt, gleichviel ob es wahr oder unwahr ist. Viele scheuen sich,
das zu glauben, weil sie eine so große Zahl von klugen und sympathischen
Einzelpersönlichkeitcu in England kennen und zugleich das viele Große und
Gute ini Auge haben, was von England in der Geschichte geleistet worden
ist. Das kann man alles anerkennen und muß dennoch einsehen, daß
man sich im konkreten Fall der Berührung mit andern Nationen die Ge¬
samtwirkung des englischen Wesens nicht borniert genug vorstellen kann.
Und wenn man das weiß, so sollte man auch mit diesem Mangel, dem wir
einen sehr hartklingenden Namen geben, rechnen; es handelt sich hier -- trotz
geistiger Höhe auf anderen Gebieten -- wirklich um jene Eigenschaft, mit der
nach dem Wort, das unser großer Dichter in einer seltsamen Ironie des Zufalls
einem Engländer in den Mund legte, selbst Götter vergebens kämpfen. Wir
sollten uns also nicht mit Hoffnungen tragen, die sich nicht verwirklichen lassen.

Man könnte aus dieser Erfahrung vielleicht rückblickend einen Vorwurf
schmieden gegen alle die, die eine Verständigung mit England unter solchen
Verhältnissen empfohlen und gepflegt haben. Das halte ich für nicht richtig.
Wir haben unsererseits recht daran gedacht, diese Verständigung zu suchen, solange
sie im Bereich der Möglichkeit lag. Es war, objektiv betrachtet, unsere Pflicht,
weil das Gegenteil, die Herbeiführung eines Bruchs von unserer Seite, Werte
auf das Spiel gesetzt hätte, die wir zu hüten hatten, solange es eben ging.
Denn in ihnen lag zum Teil die Berechtigung unserer Ansprüche, auch gegen¬
über England, und zugleich unsere Waffe im Kampf gegen unsere Widersacher.
Wir brauchten eine möglichst weit geführte, friedliche und ungestörte weltwirt-


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hin, nicht nur nach der einen, vom regelrechten Britentum approbierten, zu
gebrauchen gelernt haben. Man glaubt zu beobachten, daß der äußere Schein
einer besonders weitgehenden persönlichen Freiheit in den Dingen des gewöhn¬
lichen Lebens die Engländer nur um so leichter darüber hinwegtäuscht, daß sie
in ihrer Gedankentätigkeit auf politischem und sozialem Gebiet in Wahrheit über
die Maßen unfrei, ja geradezu Sklaven der Gewohnheit, des Herkommens,
der Schablone, der Gedankenlosigkeit und Unwahrheit in jeder Form sind. Es
ist. als ob jeder einzelne Geist durch das Gummiband einer unendlich einseitigen
Erziehung gefesselt ist. Einzelnen gelingt es, in der Berührung mit einem anderen
Gesichtskreise dieses Band so weit auszudehnen, daß der Schein freier geistiger
Bewegung erweckt wird. Aber sobald irgend eine Tatsache diese Spannung aufhebt,
schnellt das Band in die alte Lage zurück; von der Verbindung mit einer anderen
geistigen Sphäre, von der freien Bewegung ist nichts mehr zu spüren. Das
scheint niir der Fall des Herrn Dawson zu sein. Die Weltereignisse haben
es gefügt, daß der vom Durchschnittsbriten ersehnte Krieg mit Deutschland da
ist; damit erlischt im Gehirn des sonst besser unterrichteten Beurteilers jede
bessere Erkenntnis, und er sieht Deutschland nur noch so, wie es eben der
Engländer schlechthin sieht, das Zerrbild, das nur noch die Züge trägt, in
denen der typische Engländer einen Gegensatz zu seinem eigenen Wesen zu
erkennen glaubt, gleichviel ob es wahr oder unwahr ist. Viele scheuen sich,
das zu glauben, weil sie eine so große Zahl von klugen und sympathischen
Einzelpersönlichkeitcu in England kennen und zugleich das viele Große und
Gute ini Auge haben, was von England in der Geschichte geleistet worden
ist. Das kann man alles anerkennen und muß dennoch einsehen, daß
man sich im konkreten Fall der Berührung mit andern Nationen die Ge¬
samtwirkung des englischen Wesens nicht borniert genug vorstellen kann.
Und wenn man das weiß, so sollte man auch mit diesem Mangel, dem wir
einen sehr hartklingenden Namen geben, rechnen; es handelt sich hier — trotz
geistiger Höhe auf anderen Gebieten — wirklich um jene Eigenschaft, mit der
nach dem Wort, das unser großer Dichter in einer seltsamen Ironie des Zufalls
einem Engländer in den Mund legte, selbst Götter vergebens kämpfen. Wir
sollten uns also nicht mit Hoffnungen tragen, die sich nicht verwirklichen lassen.

Man könnte aus dieser Erfahrung vielleicht rückblickend einen Vorwurf
schmieden gegen alle die, die eine Verständigung mit England unter solchen
Verhältnissen empfohlen und gepflegt haben. Das halte ich für nicht richtig.
Wir haben unsererseits recht daran gedacht, diese Verständigung zu suchen, solange
sie im Bereich der Möglichkeit lag. Es war, objektiv betrachtet, unsere Pflicht,
weil das Gegenteil, die Herbeiführung eines Bruchs von unserer Seite, Werte
auf das Spiel gesetzt hätte, die wir zu hüten hatten, solange es eben ging.
Denn in ihnen lag zum Teil die Berechtigung unserer Ansprüche, auch gegen¬
über England, und zugleich unsere Waffe im Kampf gegen unsere Widersacher.
Wir brauchten eine möglichst weit geführte, friedliche und ungestörte weltwirt-


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[0484] Lnglcmd und der Militarismus hin, nicht nur nach der einen, vom regelrechten Britentum approbierten, zu gebrauchen gelernt haben. Man glaubt zu beobachten, daß der äußere Schein einer besonders weitgehenden persönlichen Freiheit in den Dingen des gewöhn¬ lichen Lebens die Engländer nur um so leichter darüber hinwegtäuscht, daß sie in ihrer Gedankentätigkeit auf politischem und sozialem Gebiet in Wahrheit über die Maßen unfrei, ja geradezu Sklaven der Gewohnheit, des Herkommens, der Schablone, der Gedankenlosigkeit und Unwahrheit in jeder Form sind. Es ist. als ob jeder einzelne Geist durch das Gummiband einer unendlich einseitigen Erziehung gefesselt ist. Einzelnen gelingt es, in der Berührung mit einem anderen Gesichtskreise dieses Band so weit auszudehnen, daß der Schein freier geistiger Bewegung erweckt wird. Aber sobald irgend eine Tatsache diese Spannung aufhebt, schnellt das Band in die alte Lage zurück; von der Verbindung mit einer anderen geistigen Sphäre, von der freien Bewegung ist nichts mehr zu spüren. Das scheint niir der Fall des Herrn Dawson zu sein. Die Weltereignisse haben es gefügt, daß der vom Durchschnittsbriten ersehnte Krieg mit Deutschland da ist; damit erlischt im Gehirn des sonst besser unterrichteten Beurteilers jede bessere Erkenntnis, und er sieht Deutschland nur noch so, wie es eben der Engländer schlechthin sieht, das Zerrbild, das nur noch die Züge trägt, in denen der typische Engländer einen Gegensatz zu seinem eigenen Wesen zu erkennen glaubt, gleichviel ob es wahr oder unwahr ist. Viele scheuen sich, das zu glauben, weil sie eine so große Zahl von klugen und sympathischen Einzelpersönlichkeitcu in England kennen und zugleich das viele Große und Gute ini Auge haben, was von England in der Geschichte geleistet worden ist. Das kann man alles anerkennen und muß dennoch einsehen, daß man sich im konkreten Fall der Berührung mit andern Nationen die Ge¬ samtwirkung des englischen Wesens nicht borniert genug vorstellen kann. Und wenn man das weiß, so sollte man auch mit diesem Mangel, dem wir einen sehr hartklingenden Namen geben, rechnen; es handelt sich hier — trotz geistiger Höhe auf anderen Gebieten — wirklich um jene Eigenschaft, mit der nach dem Wort, das unser großer Dichter in einer seltsamen Ironie des Zufalls einem Engländer in den Mund legte, selbst Götter vergebens kämpfen. Wir sollten uns also nicht mit Hoffnungen tragen, die sich nicht verwirklichen lassen. Man könnte aus dieser Erfahrung vielleicht rückblickend einen Vorwurf schmieden gegen alle die, die eine Verständigung mit England unter solchen Verhältnissen empfohlen und gepflegt haben. Das halte ich für nicht richtig. Wir haben unsererseits recht daran gedacht, diese Verständigung zu suchen, solange sie im Bereich der Möglichkeit lag. Es war, objektiv betrachtet, unsere Pflicht, weil das Gegenteil, die Herbeiführung eines Bruchs von unserer Seite, Werte auf das Spiel gesetzt hätte, die wir zu hüten hatten, solange es eben ging. Denn in ihnen lag zum Teil die Berechtigung unserer Ansprüche, auch gegen¬ über England, und zugleich unsere Waffe im Kampf gegen unsere Widersacher. Wir brauchten eine möglichst weit geführte, friedliche und ungestörte weltwirt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/484>, abgerufen am 27.07.2024.