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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Lnglaud und der Militarismus

Anlaß zu diesem Kriege den Kopf zu zerbrechen', meint der Mann nachsichtig;
.wenn Kriegsherren fechten wollen, finden sie leicht einen Grmid. Wäre nicht
der Militarismus in der amtlichen Politik und im Willen Deutschlands vor¬
herrschend gewesen, so wäre der Krieg nicht ausgebrochen. Aus der Absicht,
Böses zu tun, entsprang das Böse. Aber da dieser Krieg gegen Preußen geht,
muß auch von Preußen letzten Endes die Sühne verlangt werden. Wenn man
durch diesen Krieg Preußen zum Recht zurückführt, so führt man ganz Deutsch¬
land und ganz Westeuropa zum Recht zurück. Ich wage zu glauben, daß
dieser Gedanke jetzt schon die Gemüter von Tausenden aufgeklärter und nach¬
denkender Deutscher beschäftigt, die Patrioten bis inS Innerste sind, aber den
Militarismus als etwas Unreines verabscheuen/"

Soweit Mr. Davson. Und die Moral von der Geschichte? Es versteht
sich von selbst, daß die Kölnische Zeitung im Anschluß an dieses Zitat dem
Herrn die nötige Abfuhr erteilt, und von uns Deutschen weiß jeder bis in die
Reihen der Sozialdemokraten hinein heute ganz genau, was er von dem
Gefasel des Engländers zu halten hat und was er darauf zu erwidern hätte.
Eines besonderen Hinweises aber bedarf, daß so ein Mann spricht, der nicht
der erste beste Durchschnittsengländer ist, sondern zu denen gehört, von denen
unsere idealistischen Englandschmürmer immer noch hoffen, daß sie mit dem
Kriege innerlich nicht einverstanden und uns im Grunde wohlgesinnt sind und
daß sie auf ihre von Sir Edward Grey irregeleiteten Landsleute mit der Zeit
einen günstigen Einfluß ausüben, sie vielleicht gar umstimmen werden. Für
Leute, die solche Hoffnungen hegen, ist der Fall Dawson ungemein lehrreich.
Ein Mann, der Deutschland verhältnismäßig gut kennt, der unter uns gelebt
hat unter Umständen, die jeden gut beanlagten Deutschen nach einem Aufent¬
halt gleicher Art im Auslande befähigt hätten, ein stanclsi-et >port über das
fremde Land zu schreiben, -- ein Mann der auch wirklich über den Durchschnitt
seiner Landsleute hinaus Verständnis für Deutschland und die Deutschen ge¬
wonnen hat, -- ein solcher Mann streift im kritischen Augenblick unter dem
Einfluß der gewaltigen nationalen Suggestion, die das Leben Englands mit
sich bringt, alle gewonnene Erkenntnis ab wie einen alten Handschuh und wühlt
sich, unbekümmert um alle geistige Arbeit der Vergangenheit und alle gewonnene
Erfahrung, fröhlich in den Schlamm des Vorurteils und der Unwissenheit ein,
ohne die geistige Verunreinigung seines besseren Selbst auch nur zu empfinden.
Tummelt er sich doch darin mit seinen Volksgenossen!

Die Volkspsnchologie ist ein sehr merkwürdiges Gebiet. Ich möchte es
nicht wagen, diesen Mann bewußter Unwahrheit und Heuchelei zu beschuldigen,
weil ich überzeugt bin, ihm damit Unrecht zu tun. Es gibt im Gehirn eines
Engländers Bahnen des Denkens, denen wir nicht folgen können. Zu tief
graben erbliche Belastung und Erziehung in eine Generation nach der anderen
gewisse Grundanschauungen ein, von denen selbst diejenigen nicht loskommen,
die in anderer Schule ihre geistigen Fähigkeiten nach verschiedenen Richtungen


Lnglaud und der Militarismus

Anlaß zu diesem Kriege den Kopf zu zerbrechen', meint der Mann nachsichtig;
.wenn Kriegsherren fechten wollen, finden sie leicht einen Grmid. Wäre nicht
der Militarismus in der amtlichen Politik und im Willen Deutschlands vor¬
herrschend gewesen, so wäre der Krieg nicht ausgebrochen. Aus der Absicht,
Böses zu tun, entsprang das Böse. Aber da dieser Krieg gegen Preußen geht,
muß auch von Preußen letzten Endes die Sühne verlangt werden. Wenn man
durch diesen Krieg Preußen zum Recht zurückführt, so führt man ganz Deutsch¬
land und ganz Westeuropa zum Recht zurück. Ich wage zu glauben, daß
dieser Gedanke jetzt schon die Gemüter von Tausenden aufgeklärter und nach¬
denkender Deutscher beschäftigt, die Patrioten bis inS Innerste sind, aber den
Militarismus als etwas Unreines verabscheuen/"

Soweit Mr. Davson. Und die Moral von der Geschichte? Es versteht
sich von selbst, daß die Kölnische Zeitung im Anschluß an dieses Zitat dem
Herrn die nötige Abfuhr erteilt, und von uns Deutschen weiß jeder bis in die
Reihen der Sozialdemokraten hinein heute ganz genau, was er von dem
Gefasel des Engländers zu halten hat und was er darauf zu erwidern hätte.
Eines besonderen Hinweises aber bedarf, daß so ein Mann spricht, der nicht
der erste beste Durchschnittsengländer ist, sondern zu denen gehört, von denen
unsere idealistischen Englandschmürmer immer noch hoffen, daß sie mit dem
Kriege innerlich nicht einverstanden und uns im Grunde wohlgesinnt sind und
daß sie auf ihre von Sir Edward Grey irregeleiteten Landsleute mit der Zeit
einen günstigen Einfluß ausüben, sie vielleicht gar umstimmen werden. Für
Leute, die solche Hoffnungen hegen, ist der Fall Dawson ungemein lehrreich.
Ein Mann, der Deutschland verhältnismäßig gut kennt, der unter uns gelebt
hat unter Umständen, die jeden gut beanlagten Deutschen nach einem Aufent¬
halt gleicher Art im Auslande befähigt hätten, ein stanclsi-et >port über das
fremde Land zu schreiben, — ein Mann der auch wirklich über den Durchschnitt
seiner Landsleute hinaus Verständnis für Deutschland und die Deutschen ge¬
wonnen hat, — ein solcher Mann streift im kritischen Augenblick unter dem
Einfluß der gewaltigen nationalen Suggestion, die das Leben Englands mit
sich bringt, alle gewonnene Erkenntnis ab wie einen alten Handschuh und wühlt
sich, unbekümmert um alle geistige Arbeit der Vergangenheit und alle gewonnene
Erfahrung, fröhlich in den Schlamm des Vorurteils und der Unwissenheit ein,
ohne die geistige Verunreinigung seines besseren Selbst auch nur zu empfinden.
Tummelt er sich doch darin mit seinen Volksgenossen!

Die Volkspsnchologie ist ein sehr merkwürdiges Gebiet. Ich möchte es
nicht wagen, diesen Mann bewußter Unwahrheit und Heuchelei zu beschuldigen,
weil ich überzeugt bin, ihm damit Unrecht zu tun. Es gibt im Gehirn eines
Engländers Bahnen des Denkens, denen wir nicht folgen können. Zu tief
graben erbliche Belastung und Erziehung in eine Generation nach der anderen
gewisse Grundanschauungen ein, von denen selbst diejenigen nicht loskommen,
die in anderer Schule ihre geistigen Fähigkeiten nach verschiedenen Richtungen


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[0483] Lnglaud und der Militarismus Anlaß zu diesem Kriege den Kopf zu zerbrechen', meint der Mann nachsichtig; .wenn Kriegsherren fechten wollen, finden sie leicht einen Grmid. Wäre nicht der Militarismus in der amtlichen Politik und im Willen Deutschlands vor¬ herrschend gewesen, so wäre der Krieg nicht ausgebrochen. Aus der Absicht, Böses zu tun, entsprang das Böse. Aber da dieser Krieg gegen Preußen geht, muß auch von Preußen letzten Endes die Sühne verlangt werden. Wenn man durch diesen Krieg Preußen zum Recht zurückführt, so führt man ganz Deutsch¬ land und ganz Westeuropa zum Recht zurück. Ich wage zu glauben, daß dieser Gedanke jetzt schon die Gemüter von Tausenden aufgeklärter und nach¬ denkender Deutscher beschäftigt, die Patrioten bis inS Innerste sind, aber den Militarismus als etwas Unreines verabscheuen/" Soweit Mr. Davson. Und die Moral von der Geschichte? Es versteht sich von selbst, daß die Kölnische Zeitung im Anschluß an dieses Zitat dem Herrn die nötige Abfuhr erteilt, und von uns Deutschen weiß jeder bis in die Reihen der Sozialdemokraten hinein heute ganz genau, was er von dem Gefasel des Engländers zu halten hat und was er darauf zu erwidern hätte. Eines besonderen Hinweises aber bedarf, daß so ein Mann spricht, der nicht der erste beste Durchschnittsengländer ist, sondern zu denen gehört, von denen unsere idealistischen Englandschmürmer immer noch hoffen, daß sie mit dem Kriege innerlich nicht einverstanden und uns im Grunde wohlgesinnt sind und daß sie auf ihre von Sir Edward Grey irregeleiteten Landsleute mit der Zeit einen günstigen Einfluß ausüben, sie vielleicht gar umstimmen werden. Für Leute, die solche Hoffnungen hegen, ist der Fall Dawson ungemein lehrreich. Ein Mann, der Deutschland verhältnismäßig gut kennt, der unter uns gelebt hat unter Umständen, die jeden gut beanlagten Deutschen nach einem Aufent¬ halt gleicher Art im Auslande befähigt hätten, ein stanclsi-et >port über das fremde Land zu schreiben, — ein Mann der auch wirklich über den Durchschnitt seiner Landsleute hinaus Verständnis für Deutschland und die Deutschen ge¬ wonnen hat, — ein solcher Mann streift im kritischen Augenblick unter dem Einfluß der gewaltigen nationalen Suggestion, die das Leben Englands mit sich bringt, alle gewonnene Erkenntnis ab wie einen alten Handschuh und wühlt sich, unbekümmert um alle geistige Arbeit der Vergangenheit und alle gewonnene Erfahrung, fröhlich in den Schlamm des Vorurteils und der Unwissenheit ein, ohne die geistige Verunreinigung seines besseren Selbst auch nur zu empfinden. Tummelt er sich doch darin mit seinen Volksgenossen! Die Volkspsnchologie ist ein sehr merkwürdiges Gebiet. Ich möchte es nicht wagen, diesen Mann bewußter Unwahrheit und Heuchelei zu beschuldigen, weil ich überzeugt bin, ihm damit Unrecht zu tun. Es gibt im Gehirn eines Engländers Bahnen des Denkens, denen wir nicht folgen können. Zu tief graben erbliche Belastung und Erziehung in eine Generation nach der anderen gewisse Grundanschauungen ein, von denen selbst diejenigen nicht loskommen, die in anderer Schule ihre geistigen Fähigkeiten nach verschiedenen Richtungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/483>, abgerufen am 27.07.2024.