Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Engländer

Nußland mit seinen Expansionsgelüsten und seinen gewaltigen Mitteln, bildet
die Hauptgefahr, und die Gegnerschaft gegen das Zarenreich, wenn auch nicht
mit gleicher Energie, von der liberalen wie von der konservativen Partei fest¬
gehalten, war Richtung gebend für die englische Politik in Europa wie in
Asien. Der Anschluß an das russisch-französische Bündnis widerspricht dieser
Tradition durchaus und wäre eine Unbegreiflichkeit, wenn er für England
mehr bedeutete als einen Geschäftsvertrag zu zeitig begrenzten Zwecken. Offen¬
bar haben sich bei dem Abschluß desselben beide Seiten alles weitere
vorbehalten. In den: jetzigen Kriege, der durch diesen Vertrag möglich geworden,
vielleicht herbeigeführt ist, hätte sich für England nichts schlimmeres ereignen
können, als ein entscheidender Sieg seines russischen Bundesgenossen. Ein Welt¬
krieg zwischen England und Nußland, vermutlich mit ungleichen Waffen geführt,
wäre die unvermeidliche Folge gewesen. Für Augenblickszwecke, unter denen
die Einschränkung und Erniedrigung Deutschlands der wichtigste war, hat
England die leitenden Ideen seiner geschichtlichen Politik, wenn nicht dauernd
geopfert, so doch schwer und unwiderruflich geschädigt. Um den verhaßten
Konkurrenten auf dem europäischen Kontinent zu schwächen, hat es seine natür¬
lichen und historischen Gegner gestärkt und sich in einer kontinentalen Politik
dermaßen engagiert, daß es seine großen überseeischen Ziele dieser Politik zuliebe
preisgeben mußte. In alle dem ist Grey ein getreuer, geistig offenbar voll¬
kommen unselbständiger und beschränkter Schüler König Edwards: um uns zu
schädigen, hat er die Japaner nach Kiautschou berufen, deren Konkurrenz im
fernen Osten England schwerlich wieder los werden wird; um die Kriegführung
einiger Monate zu erleichtern, hat er durch die tatsächliche Annexion Ägyptens
im ganzen Orient den Samen zu einem unvergänglichen Haß ausgestreut.
Und die liberale Partei ebenso wie die Opposition, haben sich nicht weitsichtiger
erwiesen als der Minister. Sie haben die Politik gutgeheißen, die ohne Not,
um augenblicklicher Geschäftsvorteile willen, die Zukunft des Weltreichs in Frage
stellt, die liberale Partei, ohne Zweifel in gerechter Würdigung der letzten
Motive ihrer Führer, nämlich um sich und sie an der Macht zu erhalten, die
Opposition, weil ihr in jener der geschäftliche Gewinn einleuchtet, den dieser
ungleiche Kampf einbringen kann, die Arbeiterpartei und die Iren endlich, um
nicht weniger patriotisch zu erscheinen als die anderen. Wohl gemerkt die
Parteien im Parlamente! Damit aber noch lange nicht im Volke, wie das
leider verspätete Auftreten Keir Hardies und Macdonalds, und vor allem das
kürzlich veröffentlichte Manifest der Arbeiterpartei bewiesen hat. Freilich war
neben jenen Motiven und weiter verbreitet als sie alle noch eins wirksam und
wahrscheinlich entscheidend. Wir werden darauf alsbald zurückkommen.

Die Parteien sind nicht die Nation. Und eine parlamentarische Versammlung
ist Berechnungen einerseits, persönlichen Einflüssen andererseits zugänglicher als
die gesamte Masse eines Volkes. Wenn aber der Kriegsbeschluß der Regierung,
wenn die Haltung der Kammer nur auf vereinzelte Proteste gestoßen ist und


Die Engländer

Nußland mit seinen Expansionsgelüsten und seinen gewaltigen Mitteln, bildet
die Hauptgefahr, und die Gegnerschaft gegen das Zarenreich, wenn auch nicht
mit gleicher Energie, von der liberalen wie von der konservativen Partei fest¬
gehalten, war Richtung gebend für die englische Politik in Europa wie in
Asien. Der Anschluß an das russisch-französische Bündnis widerspricht dieser
Tradition durchaus und wäre eine Unbegreiflichkeit, wenn er für England
mehr bedeutete als einen Geschäftsvertrag zu zeitig begrenzten Zwecken. Offen¬
bar haben sich bei dem Abschluß desselben beide Seiten alles weitere
vorbehalten. In den: jetzigen Kriege, der durch diesen Vertrag möglich geworden,
vielleicht herbeigeführt ist, hätte sich für England nichts schlimmeres ereignen
können, als ein entscheidender Sieg seines russischen Bundesgenossen. Ein Welt¬
krieg zwischen England und Nußland, vermutlich mit ungleichen Waffen geführt,
wäre die unvermeidliche Folge gewesen. Für Augenblickszwecke, unter denen
die Einschränkung und Erniedrigung Deutschlands der wichtigste war, hat
England die leitenden Ideen seiner geschichtlichen Politik, wenn nicht dauernd
geopfert, so doch schwer und unwiderruflich geschädigt. Um den verhaßten
Konkurrenten auf dem europäischen Kontinent zu schwächen, hat es seine natür¬
lichen und historischen Gegner gestärkt und sich in einer kontinentalen Politik
dermaßen engagiert, daß es seine großen überseeischen Ziele dieser Politik zuliebe
preisgeben mußte. In alle dem ist Grey ein getreuer, geistig offenbar voll¬
kommen unselbständiger und beschränkter Schüler König Edwards: um uns zu
schädigen, hat er die Japaner nach Kiautschou berufen, deren Konkurrenz im
fernen Osten England schwerlich wieder los werden wird; um die Kriegführung
einiger Monate zu erleichtern, hat er durch die tatsächliche Annexion Ägyptens
im ganzen Orient den Samen zu einem unvergänglichen Haß ausgestreut.
Und die liberale Partei ebenso wie die Opposition, haben sich nicht weitsichtiger
erwiesen als der Minister. Sie haben die Politik gutgeheißen, die ohne Not,
um augenblicklicher Geschäftsvorteile willen, die Zukunft des Weltreichs in Frage
stellt, die liberale Partei, ohne Zweifel in gerechter Würdigung der letzten
Motive ihrer Führer, nämlich um sich und sie an der Macht zu erhalten, die
Opposition, weil ihr in jener der geschäftliche Gewinn einleuchtet, den dieser
ungleiche Kampf einbringen kann, die Arbeiterpartei und die Iren endlich, um
nicht weniger patriotisch zu erscheinen als die anderen. Wohl gemerkt die
Parteien im Parlamente! Damit aber noch lange nicht im Volke, wie das
leider verspätete Auftreten Keir Hardies und Macdonalds, und vor allem das
kürzlich veröffentlichte Manifest der Arbeiterpartei bewiesen hat. Freilich war
neben jenen Motiven und weiter verbreitet als sie alle noch eins wirksam und
wahrscheinlich entscheidend. Wir werden darauf alsbald zurückkommen.

Die Parteien sind nicht die Nation. Und eine parlamentarische Versammlung
ist Berechnungen einerseits, persönlichen Einflüssen andererseits zugänglicher als
die gesamte Masse eines Volkes. Wenn aber der Kriegsbeschluß der Regierung,
wenn die Haltung der Kammer nur auf vereinzelte Proteste gestoßen ist und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0468" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329202"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Engländer</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1563" prev="#ID_1562"> Nußland mit seinen Expansionsgelüsten und seinen gewaltigen Mitteln, bildet<lb/>
die Hauptgefahr, und die Gegnerschaft gegen das Zarenreich, wenn auch nicht<lb/>
mit gleicher Energie, von der liberalen wie von der konservativen Partei fest¬<lb/>
gehalten, war Richtung gebend für die englische Politik in Europa wie in<lb/>
Asien. Der Anschluß an das russisch-französische Bündnis widerspricht dieser<lb/>
Tradition durchaus und wäre eine Unbegreiflichkeit, wenn er für England<lb/>
mehr bedeutete als einen Geschäftsvertrag zu zeitig begrenzten Zwecken. Offen¬<lb/>
bar haben sich bei dem Abschluß desselben beide Seiten alles weitere<lb/>
vorbehalten. In den: jetzigen Kriege, der durch diesen Vertrag möglich geworden,<lb/>
vielleicht herbeigeführt ist, hätte sich für England nichts schlimmeres ereignen<lb/>
können, als ein entscheidender Sieg seines russischen Bundesgenossen. Ein Welt¬<lb/>
krieg zwischen England und Nußland, vermutlich mit ungleichen Waffen geführt,<lb/>
wäre die unvermeidliche Folge gewesen. Für Augenblickszwecke, unter denen<lb/>
die Einschränkung und Erniedrigung Deutschlands der wichtigste war, hat<lb/>
England die leitenden Ideen seiner geschichtlichen Politik, wenn nicht dauernd<lb/>
geopfert, so doch schwer und unwiderruflich geschädigt. Um den verhaßten<lb/>
Konkurrenten auf dem europäischen Kontinent zu schwächen, hat es seine natür¬<lb/>
lichen und historischen Gegner gestärkt und sich in einer kontinentalen Politik<lb/>
dermaßen engagiert, daß es seine großen überseeischen Ziele dieser Politik zuliebe<lb/>
preisgeben mußte. In alle dem ist Grey ein getreuer, geistig offenbar voll¬<lb/>
kommen unselbständiger und beschränkter Schüler König Edwards: um uns zu<lb/>
schädigen, hat er die Japaner nach Kiautschou berufen, deren Konkurrenz im<lb/>
fernen Osten England schwerlich wieder los werden wird; um die Kriegführung<lb/>
einiger Monate zu erleichtern, hat er durch die tatsächliche Annexion Ägyptens<lb/>
im ganzen Orient den Samen zu einem unvergänglichen Haß ausgestreut.<lb/>
Und die liberale Partei ebenso wie die Opposition, haben sich nicht weitsichtiger<lb/>
erwiesen als der Minister. Sie haben die Politik gutgeheißen, die ohne Not,<lb/>
um augenblicklicher Geschäftsvorteile willen, die Zukunft des Weltreichs in Frage<lb/>
stellt, die liberale Partei, ohne Zweifel in gerechter Würdigung der letzten<lb/>
Motive ihrer Führer, nämlich um sich und sie an der Macht zu erhalten, die<lb/>
Opposition, weil ihr in jener der geschäftliche Gewinn einleuchtet, den dieser<lb/>
ungleiche Kampf einbringen kann, die Arbeiterpartei und die Iren endlich, um<lb/>
nicht weniger patriotisch zu erscheinen als die anderen. Wohl gemerkt die<lb/>
Parteien im Parlamente! Damit aber noch lange nicht im Volke, wie das<lb/>
leider verspätete Auftreten Keir Hardies und Macdonalds, und vor allem das<lb/>
kürzlich veröffentlichte Manifest der Arbeiterpartei bewiesen hat. Freilich war<lb/>
neben jenen Motiven und weiter verbreitet als sie alle noch eins wirksam und<lb/>
wahrscheinlich entscheidend.  Wir werden darauf alsbald zurückkommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1564" next="#ID_1565"> Die Parteien sind nicht die Nation. Und eine parlamentarische Versammlung<lb/>
ist Berechnungen einerseits, persönlichen Einflüssen andererseits zugänglicher als<lb/>
die gesamte Masse eines Volkes. Wenn aber der Kriegsbeschluß der Regierung,<lb/>
wenn die Haltung der Kammer nur auf vereinzelte Proteste gestoßen ist und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0468] Die Engländer Nußland mit seinen Expansionsgelüsten und seinen gewaltigen Mitteln, bildet die Hauptgefahr, und die Gegnerschaft gegen das Zarenreich, wenn auch nicht mit gleicher Energie, von der liberalen wie von der konservativen Partei fest¬ gehalten, war Richtung gebend für die englische Politik in Europa wie in Asien. Der Anschluß an das russisch-französische Bündnis widerspricht dieser Tradition durchaus und wäre eine Unbegreiflichkeit, wenn er für England mehr bedeutete als einen Geschäftsvertrag zu zeitig begrenzten Zwecken. Offen¬ bar haben sich bei dem Abschluß desselben beide Seiten alles weitere vorbehalten. In den: jetzigen Kriege, der durch diesen Vertrag möglich geworden, vielleicht herbeigeführt ist, hätte sich für England nichts schlimmeres ereignen können, als ein entscheidender Sieg seines russischen Bundesgenossen. Ein Welt¬ krieg zwischen England und Nußland, vermutlich mit ungleichen Waffen geführt, wäre die unvermeidliche Folge gewesen. Für Augenblickszwecke, unter denen die Einschränkung und Erniedrigung Deutschlands der wichtigste war, hat England die leitenden Ideen seiner geschichtlichen Politik, wenn nicht dauernd geopfert, so doch schwer und unwiderruflich geschädigt. Um den verhaßten Konkurrenten auf dem europäischen Kontinent zu schwächen, hat es seine natür¬ lichen und historischen Gegner gestärkt und sich in einer kontinentalen Politik dermaßen engagiert, daß es seine großen überseeischen Ziele dieser Politik zuliebe preisgeben mußte. In alle dem ist Grey ein getreuer, geistig offenbar voll¬ kommen unselbständiger und beschränkter Schüler König Edwards: um uns zu schädigen, hat er die Japaner nach Kiautschou berufen, deren Konkurrenz im fernen Osten England schwerlich wieder los werden wird; um die Kriegführung einiger Monate zu erleichtern, hat er durch die tatsächliche Annexion Ägyptens im ganzen Orient den Samen zu einem unvergänglichen Haß ausgestreut. Und die liberale Partei ebenso wie die Opposition, haben sich nicht weitsichtiger erwiesen als der Minister. Sie haben die Politik gutgeheißen, die ohne Not, um augenblicklicher Geschäftsvorteile willen, die Zukunft des Weltreichs in Frage stellt, die liberale Partei, ohne Zweifel in gerechter Würdigung der letzten Motive ihrer Führer, nämlich um sich und sie an der Macht zu erhalten, die Opposition, weil ihr in jener der geschäftliche Gewinn einleuchtet, den dieser ungleiche Kampf einbringen kann, die Arbeiterpartei und die Iren endlich, um nicht weniger patriotisch zu erscheinen als die anderen. Wohl gemerkt die Parteien im Parlamente! Damit aber noch lange nicht im Volke, wie das leider verspätete Auftreten Keir Hardies und Macdonalds, und vor allem das kürzlich veröffentlichte Manifest der Arbeiterpartei bewiesen hat. Freilich war neben jenen Motiven und weiter verbreitet als sie alle noch eins wirksam und wahrscheinlich entscheidend. Wir werden darauf alsbald zurückkommen. Die Parteien sind nicht die Nation. Und eine parlamentarische Versammlung ist Berechnungen einerseits, persönlichen Einflüssen andererseits zugänglicher als die gesamte Masse eines Volkes. Wenn aber der Kriegsbeschluß der Regierung, wenn die Haltung der Kammer nur auf vereinzelte Proteste gestoßen ist und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/468
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/468>, abgerufen am 23.12.2024.