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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Rumänien und der Krieg

erklären wollten. Derartige Ponderabilien wiegen heute nicht schwer genug, um
Schicksalsfragen der Völker zu entscheiden. Aber in Momenten der gemein¬
samen Gefahr, wie jetzt, erwacht der gesunde Selbsterhaltungstrieb jedes Volkes.
Die siebenbürger, die hinter der schmalen Grenzmauer Galiziens und der
Bukowina das rücksichtslose freiheitvernichtende Moskowitertum drohen fühlten,
wußten instinktiv, wo ihre ersten Lebensinteressen am meisten gefährdet, von
wem sie am besten geschützt waren: daher die einmütige imponierende Loyalitäts¬
kundgebung der österreichisch-ungarischen Rumänen zu Anfang des jetzigen Krieges.
Ihre politische Not und ihre Neigung über die Karpathen hinüber nach Rumänien
sind nicht vergessen. Aber ihre Treue galt dem Herrscherhaus, von dem sie
wußten, daß es Treue vergilt durch den gleichmäßigen Schutz, mit dem es alle
seine Völker umfaßt, wenn dem einen oder anderen Vernichtung droht. Man
nenne diese Auffassung nicht materialistisch: die Zeiten der Lehnstreue, in der
das Wort des Herrn die Untertanen band, sind vorüber. Heute ist Loyalität
eine Volksäußerung geworden. Völker empfinden kollektiv. Deshalb brauchen
sie die Macht der Logik als Leiter ihrer Empfindungen und die Logik kann sich
nur auf Tatsachen aufbauen. Die Tatsachen im Volksempfinden sind aber die
eigenen Interessen und Bedürfnisse. Es ist nur eine andere, eine moderne Art
Idealismus, der die Erhaltung der eigenen Kultur als Richtlinie an die Stelle
der Einhaltung des feudalen Eides gesetzt hat.

Die rumänische Regierung und ihr vornehmster Berater, der erfahrenste
und feinste und kühlste Diplomat Europas, der eigene König, haben das wohl
gewußt. Deshalb war die Sorge unserer Regierungen in den ersten Kriegs¬
lager, daß Rumänien mit Rußland gehen könnte, um Siebenbürgen zu er¬
obern, grundlos. Die rumänische Regierung war vom ersten Tage an ent¬
schlossen, keinen noch so dringenden Kundgebungen der rumänischen öffentlichen
Meinung gegen Österreich-Ungarn nachzugeben. Bis jetzt hat sie danach ge¬
handelt: sie ist neutral geblieben.

Man mag das eine laue Stellungnahme nennen. Warum nur Neutralität?
Warum nicht gleich bestimmtes Eintreten für den nördlichen Nachbar, den man
nicht angreifen will, gegen den östlichen, der das von jedem Rumänen still
begehrte Bessarabien in unwürdiger Knechtschaft hält? Man hat bei uns auf
die langjährige Hinneigung Rumäniens zum Dreibund und auf eine Art
militärischen Abkommens hingewiesen, das -- nie veröffentlicht -- doch in
Österreich-Ungarn kein Geheimnis war. Sogar sehr hohe Stellen bei uns
haben geglaubt, daraufhin eine entschiedene Parteinahme gegen Rußland erwarten
zu können, halb als Pflicht, halb wegen des Gewinnes, den eine Niederwerfung
Rußlands verhieß.

Zunächst: daß Rumänien uns gegenüber irgendwie vertraglich gebunden
gewesen wäre, ist ein Irrtum. Es gab bei Ausbruch des Krieges keinerlei
internationale Verpflichtung, die Rumänien auf unsere Seite hätte führen müssen.
Das Verhältnis zu Deutschland war allerdings seit einer Reihe von Jahren


Rumänien und der Krieg

erklären wollten. Derartige Ponderabilien wiegen heute nicht schwer genug, um
Schicksalsfragen der Völker zu entscheiden. Aber in Momenten der gemein¬
samen Gefahr, wie jetzt, erwacht der gesunde Selbsterhaltungstrieb jedes Volkes.
Die siebenbürger, die hinter der schmalen Grenzmauer Galiziens und der
Bukowina das rücksichtslose freiheitvernichtende Moskowitertum drohen fühlten,
wußten instinktiv, wo ihre ersten Lebensinteressen am meisten gefährdet, von
wem sie am besten geschützt waren: daher die einmütige imponierende Loyalitäts¬
kundgebung der österreichisch-ungarischen Rumänen zu Anfang des jetzigen Krieges.
Ihre politische Not und ihre Neigung über die Karpathen hinüber nach Rumänien
sind nicht vergessen. Aber ihre Treue galt dem Herrscherhaus, von dem sie
wußten, daß es Treue vergilt durch den gleichmäßigen Schutz, mit dem es alle
seine Völker umfaßt, wenn dem einen oder anderen Vernichtung droht. Man
nenne diese Auffassung nicht materialistisch: die Zeiten der Lehnstreue, in der
das Wort des Herrn die Untertanen band, sind vorüber. Heute ist Loyalität
eine Volksäußerung geworden. Völker empfinden kollektiv. Deshalb brauchen
sie die Macht der Logik als Leiter ihrer Empfindungen und die Logik kann sich
nur auf Tatsachen aufbauen. Die Tatsachen im Volksempfinden sind aber die
eigenen Interessen und Bedürfnisse. Es ist nur eine andere, eine moderne Art
Idealismus, der die Erhaltung der eigenen Kultur als Richtlinie an die Stelle
der Einhaltung des feudalen Eides gesetzt hat.

Die rumänische Regierung und ihr vornehmster Berater, der erfahrenste
und feinste und kühlste Diplomat Europas, der eigene König, haben das wohl
gewußt. Deshalb war die Sorge unserer Regierungen in den ersten Kriegs¬
lager, daß Rumänien mit Rußland gehen könnte, um Siebenbürgen zu er¬
obern, grundlos. Die rumänische Regierung war vom ersten Tage an ent¬
schlossen, keinen noch so dringenden Kundgebungen der rumänischen öffentlichen
Meinung gegen Österreich-Ungarn nachzugeben. Bis jetzt hat sie danach ge¬
handelt: sie ist neutral geblieben.

Man mag das eine laue Stellungnahme nennen. Warum nur Neutralität?
Warum nicht gleich bestimmtes Eintreten für den nördlichen Nachbar, den man
nicht angreifen will, gegen den östlichen, der das von jedem Rumänen still
begehrte Bessarabien in unwürdiger Knechtschaft hält? Man hat bei uns auf
die langjährige Hinneigung Rumäniens zum Dreibund und auf eine Art
militärischen Abkommens hingewiesen, das — nie veröffentlicht — doch in
Österreich-Ungarn kein Geheimnis war. Sogar sehr hohe Stellen bei uns
haben geglaubt, daraufhin eine entschiedene Parteinahme gegen Rußland erwarten
zu können, halb als Pflicht, halb wegen des Gewinnes, den eine Niederwerfung
Rußlands verhieß.

Zunächst: daß Rumänien uns gegenüber irgendwie vertraglich gebunden
gewesen wäre, ist ein Irrtum. Es gab bei Ausbruch des Krieges keinerlei
internationale Verpflichtung, die Rumänien auf unsere Seite hätte führen müssen.
Das Verhältnis zu Deutschland war allerdings seit einer Reihe von Jahren


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[0428] Rumänien und der Krieg erklären wollten. Derartige Ponderabilien wiegen heute nicht schwer genug, um Schicksalsfragen der Völker zu entscheiden. Aber in Momenten der gemein¬ samen Gefahr, wie jetzt, erwacht der gesunde Selbsterhaltungstrieb jedes Volkes. Die siebenbürger, die hinter der schmalen Grenzmauer Galiziens und der Bukowina das rücksichtslose freiheitvernichtende Moskowitertum drohen fühlten, wußten instinktiv, wo ihre ersten Lebensinteressen am meisten gefährdet, von wem sie am besten geschützt waren: daher die einmütige imponierende Loyalitäts¬ kundgebung der österreichisch-ungarischen Rumänen zu Anfang des jetzigen Krieges. Ihre politische Not und ihre Neigung über die Karpathen hinüber nach Rumänien sind nicht vergessen. Aber ihre Treue galt dem Herrscherhaus, von dem sie wußten, daß es Treue vergilt durch den gleichmäßigen Schutz, mit dem es alle seine Völker umfaßt, wenn dem einen oder anderen Vernichtung droht. Man nenne diese Auffassung nicht materialistisch: die Zeiten der Lehnstreue, in der das Wort des Herrn die Untertanen band, sind vorüber. Heute ist Loyalität eine Volksäußerung geworden. Völker empfinden kollektiv. Deshalb brauchen sie die Macht der Logik als Leiter ihrer Empfindungen und die Logik kann sich nur auf Tatsachen aufbauen. Die Tatsachen im Volksempfinden sind aber die eigenen Interessen und Bedürfnisse. Es ist nur eine andere, eine moderne Art Idealismus, der die Erhaltung der eigenen Kultur als Richtlinie an die Stelle der Einhaltung des feudalen Eides gesetzt hat. Die rumänische Regierung und ihr vornehmster Berater, der erfahrenste und feinste und kühlste Diplomat Europas, der eigene König, haben das wohl gewußt. Deshalb war die Sorge unserer Regierungen in den ersten Kriegs¬ lager, daß Rumänien mit Rußland gehen könnte, um Siebenbürgen zu er¬ obern, grundlos. Die rumänische Regierung war vom ersten Tage an ent¬ schlossen, keinen noch so dringenden Kundgebungen der rumänischen öffentlichen Meinung gegen Österreich-Ungarn nachzugeben. Bis jetzt hat sie danach ge¬ handelt: sie ist neutral geblieben. Man mag das eine laue Stellungnahme nennen. Warum nur Neutralität? Warum nicht gleich bestimmtes Eintreten für den nördlichen Nachbar, den man nicht angreifen will, gegen den östlichen, der das von jedem Rumänen still begehrte Bessarabien in unwürdiger Knechtschaft hält? Man hat bei uns auf die langjährige Hinneigung Rumäniens zum Dreibund und auf eine Art militärischen Abkommens hingewiesen, das — nie veröffentlicht — doch in Österreich-Ungarn kein Geheimnis war. Sogar sehr hohe Stellen bei uns haben geglaubt, daraufhin eine entschiedene Parteinahme gegen Rußland erwarten zu können, halb als Pflicht, halb wegen des Gewinnes, den eine Niederwerfung Rußlands verhieß. Zunächst: daß Rumänien uns gegenüber irgendwie vertraglich gebunden gewesen wäre, ist ein Irrtum. Es gab bei Ausbruch des Krieges keinerlei internationale Verpflichtung, die Rumänien auf unsere Seite hätte führen müssen. Das Verhältnis zu Deutschland war allerdings seit einer Reihe von Jahren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/428>, abgerufen am 23.12.2024.