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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Rumänien und der Krieg

seit den Trübungen, die zuletzt im Jubiläumsjahre 1906 hervortraten*) --
ausgezeichnet. Die ökonomische Interessengemeinschaft ist umfassend und tief¬
greifend. Diplomatisch hatte sich Deutschland durch die entschlossene Stellung¬
nahme des Kaisers zugunsten der rumänischen Bestrebungen bei dem Bukarester
Friedensschluß im Sommer 1913 die Dankbarkeit der Regierung Rumäniens
verdient. Aber ein diplomatischer Beitritt zum Dreibund war nie erfolgt. Und
die diplomatischen Beziehungen zur österreichisch-ungarischen Monarchie, die
ehedem lange Zeit überaus warme gewesen, hatten sich gerade während Deutsch¬
land im letzten Jahre Rumänien ostentativ unterstützte, stark abgekühlt. Es
wäre Selbsttäuschung, wollten wir das übersehen. Man hatte in Rumänien --
inwiefern mit Recht, ist jetzt gleichgültig -- das Gefühl bekommen, daß Österreich-
Ungarn, um Bulgarien zu gewinnen, Rumänien ein wenig vernachlässigt habe.
Man zitierte in Rumänien die Geschichte von dem Mann, der den Spatz unterm
Hut entwischen ließ, weil er einen zweiten dazustecken wollte. Wenn wir die
diplomatische Korrespondenz in den Grün- und Rotbüchern zur letzten Balkan¬
krise studieren, scheint dieser rumänische Vorwurf ungerecht. Allein diese Bücher
sind gerade in dieser Beziehung nicht ganz vollständig. Manch wichtiges Akten¬
stück ist vorläufig in den Archiven verschlossen geblieben. Und dann: vom kleinen
Staat aus betrachtet schauen die Dinge stets etwas anders aus, wie wenn wir
sie mit den Augen des mächtigen Gönners ansehen. Genug: man war in
Rumänien mit der österreichisch-ungarischen Diplomatie gerade in letzter Zeit
nicht mehr recht zufrieden.

Umgekehrt fühlte sich Rumänien dem russischen Nachbar verpflichtet. Da
war die Mission eines russischen Großfürsten mit dem Marschallstab zu Anfang
des ersten Balkankrieges. Dann das Eintreten Rußlands für Rumänien auf
der Petersburger Botschafterkonferenz, die Rumänien Silistria zusprach. Darüber
lst bisher fo gut wie gar nichts bekannt geworden: man ist in Rumänien
überzeugt, daß auf dieser Konferenz Österreich-Ungarn und Deutschland mit
ihrem Eintreten für Rumänien nicht bis zum Äußersten gegangen seien, daß
vielmehr Rußland den Ausschlag gegen Bulgarien gab. Dann kam der Zaren-
besuch in Konstantz. Die Nachrichten der Presse, daß dabei irgendeine politische
Abmachung mit Rußland zustande gekommen sei, sind allerdings falsch. Nichts
dergleichen ist geschehen. Aber es war doch eine ostentative Aufmerksamkeit
Rußlands für den kleinen Nachbar. Noch höher hat man es den Russen
angerechnet, daß sie in diesem Sommer in Konstantinopel ihre Aktion wegen
künftiger Offenhaltung der Dardanellen für die Privatschiffahrt in Kriegszeiten
Seite an Seite mit Rumänien unternommen haben. Hieß das nicht, daß
Rumänien von Nußland als gleichberechtigte Großmacht behandelt wurde? Man
hat es so empfunden. Wenn wir uns auch hier wieder die Mühe geben, uns



*) Vergleiche meine Abhandlung "Deutschland und König Karl von Rumänien"
Berlin, 1906.
Rumänien und der Krieg

seit den Trübungen, die zuletzt im Jubiläumsjahre 1906 hervortraten*) —
ausgezeichnet. Die ökonomische Interessengemeinschaft ist umfassend und tief¬
greifend. Diplomatisch hatte sich Deutschland durch die entschlossene Stellung¬
nahme des Kaisers zugunsten der rumänischen Bestrebungen bei dem Bukarester
Friedensschluß im Sommer 1913 die Dankbarkeit der Regierung Rumäniens
verdient. Aber ein diplomatischer Beitritt zum Dreibund war nie erfolgt. Und
die diplomatischen Beziehungen zur österreichisch-ungarischen Monarchie, die
ehedem lange Zeit überaus warme gewesen, hatten sich gerade während Deutsch¬
land im letzten Jahre Rumänien ostentativ unterstützte, stark abgekühlt. Es
wäre Selbsttäuschung, wollten wir das übersehen. Man hatte in Rumänien —
inwiefern mit Recht, ist jetzt gleichgültig — das Gefühl bekommen, daß Österreich-
Ungarn, um Bulgarien zu gewinnen, Rumänien ein wenig vernachlässigt habe.
Man zitierte in Rumänien die Geschichte von dem Mann, der den Spatz unterm
Hut entwischen ließ, weil er einen zweiten dazustecken wollte. Wenn wir die
diplomatische Korrespondenz in den Grün- und Rotbüchern zur letzten Balkan¬
krise studieren, scheint dieser rumänische Vorwurf ungerecht. Allein diese Bücher
sind gerade in dieser Beziehung nicht ganz vollständig. Manch wichtiges Akten¬
stück ist vorläufig in den Archiven verschlossen geblieben. Und dann: vom kleinen
Staat aus betrachtet schauen die Dinge stets etwas anders aus, wie wenn wir
sie mit den Augen des mächtigen Gönners ansehen. Genug: man war in
Rumänien mit der österreichisch-ungarischen Diplomatie gerade in letzter Zeit
nicht mehr recht zufrieden.

Umgekehrt fühlte sich Rumänien dem russischen Nachbar verpflichtet. Da
war die Mission eines russischen Großfürsten mit dem Marschallstab zu Anfang
des ersten Balkankrieges. Dann das Eintreten Rußlands für Rumänien auf
der Petersburger Botschafterkonferenz, die Rumänien Silistria zusprach. Darüber
lst bisher fo gut wie gar nichts bekannt geworden: man ist in Rumänien
überzeugt, daß auf dieser Konferenz Österreich-Ungarn und Deutschland mit
ihrem Eintreten für Rumänien nicht bis zum Äußersten gegangen seien, daß
vielmehr Rußland den Ausschlag gegen Bulgarien gab. Dann kam der Zaren-
besuch in Konstantz. Die Nachrichten der Presse, daß dabei irgendeine politische
Abmachung mit Rußland zustande gekommen sei, sind allerdings falsch. Nichts
dergleichen ist geschehen. Aber es war doch eine ostentative Aufmerksamkeit
Rußlands für den kleinen Nachbar. Noch höher hat man es den Russen
angerechnet, daß sie in diesem Sommer in Konstantinopel ihre Aktion wegen
künftiger Offenhaltung der Dardanellen für die Privatschiffahrt in Kriegszeiten
Seite an Seite mit Rumänien unternommen haben. Hieß das nicht, daß
Rumänien von Nußland als gleichberechtigte Großmacht behandelt wurde? Man
hat es so empfunden. Wenn wir uns auch hier wieder die Mühe geben, uns



*) Vergleiche meine Abhandlung „Deutschland und König Karl von Rumänien"
Berlin, 1906.
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[0429] Rumänien und der Krieg seit den Trübungen, die zuletzt im Jubiläumsjahre 1906 hervortraten*) — ausgezeichnet. Die ökonomische Interessengemeinschaft ist umfassend und tief¬ greifend. Diplomatisch hatte sich Deutschland durch die entschlossene Stellung¬ nahme des Kaisers zugunsten der rumänischen Bestrebungen bei dem Bukarester Friedensschluß im Sommer 1913 die Dankbarkeit der Regierung Rumäniens verdient. Aber ein diplomatischer Beitritt zum Dreibund war nie erfolgt. Und die diplomatischen Beziehungen zur österreichisch-ungarischen Monarchie, die ehedem lange Zeit überaus warme gewesen, hatten sich gerade während Deutsch¬ land im letzten Jahre Rumänien ostentativ unterstützte, stark abgekühlt. Es wäre Selbsttäuschung, wollten wir das übersehen. Man hatte in Rumänien — inwiefern mit Recht, ist jetzt gleichgültig — das Gefühl bekommen, daß Österreich- Ungarn, um Bulgarien zu gewinnen, Rumänien ein wenig vernachlässigt habe. Man zitierte in Rumänien die Geschichte von dem Mann, der den Spatz unterm Hut entwischen ließ, weil er einen zweiten dazustecken wollte. Wenn wir die diplomatische Korrespondenz in den Grün- und Rotbüchern zur letzten Balkan¬ krise studieren, scheint dieser rumänische Vorwurf ungerecht. Allein diese Bücher sind gerade in dieser Beziehung nicht ganz vollständig. Manch wichtiges Akten¬ stück ist vorläufig in den Archiven verschlossen geblieben. Und dann: vom kleinen Staat aus betrachtet schauen die Dinge stets etwas anders aus, wie wenn wir sie mit den Augen des mächtigen Gönners ansehen. Genug: man war in Rumänien mit der österreichisch-ungarischen Diplomatie gerade in letzter Zeit nicht mehr recht zufrieden. Umgekehrt fühlte sich Rumänien dem russischen Nachbar verpflichtet. Da war die Mission eines russischen Großfürsten mit dem Marschallstab zu Anfang des ersten Balkankrieges. Dann das Eintreten Rußlands für Rumänien auf der Petersburger Botschafterkonferenz, die Rumänien Silistria zusprach. Darüber lst bisher fo gut wie gar nichts bekannt geworden: man ist in Rumänien überzeugt, daß auf dieser Konferenz Österreich-Ungarn und Deutschland mit ihrem Eintreten für Rumänien nicht bis zum Äußersten gegangen seien, daß vielmehr Rußland den Ausschlag gegen Bulgarien gab. Dann kam der Zaren- besuch in Konstantz. Die Nachrichten der Presse, daß dabei irgendeine politische Abmachung mit Rußland zustande gekommen sei, sind allerdings falsch. Nichts dergleichen ist geschehen. Aber es war doch eine ostentative Aufmerksamkeit Rußlands für den kleinen Nachbar. Noch höher hat man es den Russen angerechnet, daß sie in diesem Sommer in Konstantinopel ihre Aktion wegen künftiger Offenhaltung der Dardanellen für die Privatschiffahrt in Kriegszeiten Seite an Seite mit Rumänien unternommen haben. Hieß das nicht, daß Rumänien von Nußland als gleichberechtigte Großmacht behandelt wurde? Man hat es so empfunden. Wenn wir uns auch hier wieder die Mühe geben, uns *) Vergleiche meine Abhandlung „Deutschland und König Karl von Rumänien" Berlin, 1906.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/429>, abgerufen am 28.07.2024.