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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Rumänien und der Krieg

was dem Kriegsausbruch in der kurzen Spanne einer Woche an diplomatischen
Verhandlungen vorausgegangen ist. Der König hat abgelehnt, denn er sah
für Rumänien kein Bedürfnis, den fremden Wünschen zu entsprechen. Sein
Heer wird er nur bereitstellen, wenn die Sicherheit, Ehre, Größe seines Landes
das fordern.

Auch die Größe, die künftige Größe I Das ist ein wichtiger Punkt. Wir
denken dabei immer noch in erster Linie daran, daß mehrere Millionen
Rumänen außerhalb der Grenzen des Landes wohnen, und daß eine starke
nationalistische Stimmung sie, die durch Sprach- und Kulturgemeinschaft ver-
wandten, hineinziehen möchte in den rumänischen Staatsverband. Dabei kommen
vorläufig allein die siebenbürger und bukowiner Rumänen und die Rumänen
des russischen Bessarabien in Frage. Die serbischen Rumänen, die im Donau-
winkel jenseits Vidin wohnen, würden für Rumänien, wenn sie einverleibt
werden sollten, wie auf einer vorgeschobenen Insel liegen; ihre natürliche
ökonomische Basis würde das serbische Hinterland bleiben. Die geographischen
Scheidewände, die der Pruth gegen Bessarabien, die Karpathen gegen Sieben¬
bürgen bilden, sind lange nicht so hinderlich. Es ist gar kein Zweifel und wir
dürfen uns darüber gar keine Illusionen machen: sowohl die bessarabischen wie
die siebenbürgischen Rumänen bilden einen Posten in jeder großen politischen
Berechnung jedes rumänischen Politikers. Momentane Konstellationen können
diesen Posten zurücktreten lassen. Auslöschen wird man ihn nie, solange die
Idee des Nationalismus und das Ideal politischer Zusammengehörigkeit der
einzelnen Sprachrassen überhaupt in den Köpfen der denkenden Menschheit Platz
haben. Dabei wird nun immer ein Gegensatz herrschen zwischen den Tendenzen
und Wünschen begeisterter aber unverantwortlicher Patrioten und den Entschlüssen
einer vorsichtig berechnenden Negierung. Und die Regierung eines Staates,
der schwächer ist als der Nachbar, wird doppelt sorgfältig rechnen und wägen
müssen, ehe sie das scheinbar unmögliche wagen darf: dem Mächtigeren neue
Grenzen zu diktieren. Sie wird die Pflicht fühlen, einer noch so starken
nationalistischen Strömung im eigenen Volke entgegenzutreten, wenn sie über¬
zeugt ist. daß ein Angriff zur Eroberung der Brüder in der Fremde tollkühn
wäre. Es gibt ein Moment, das stärker auf die Bildung der Staatsgrenzen
wirkt, wie die Nationalität: nämlich das Interesse an gemeinsamer staatlicher
Organisation. Das eigene Interesse der siebenbürger, zu Ungarn zu gehören,
ist im gegenwärtigen Augenblick für sie zu groß, zu klar, als daß sie einen
Wunsch nach Einverleibung in Rumänien haben könnten. Solange Ungarn mit
Österreich und Österreich-Ungarn mit Deutschland eng verbunden ist, bildet der
ungarische Staatsverband mit seinen deutschen Stützen für die siebenbürger
gegen die drohende, die furchtbare Gefahr der Nussifizierung eine weit bessere
Garantie, wie ein noch so großes Rumänien sie bilden könnte. Es wäre eine
sentimentale Selbsttäuschung, wenn wir die ungarnfreundliche Haltung der
siebenbürger Rumänen aus der traditionellen Zugehörigkeit zum Magyarenstaat


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Rumänien und der Krieg

was dem Kriegsausbruch in der kurzen Spanne einer Woche an diplomatischen
Verhandlungen vorausgegangen ist. Der König hat abgelehnt, denn er sah
für Rumänien kein Bedürfnis, den fremden Wünschen zu entsprechen. Sein
Heer wird er nur bereitstellen, wenn die Sicherheit, Ehre, Größe seines Landes
das fordern.

Auch die Größe, die künftige Größe I Das ist ein wichtiger Punkt. Wir
denken dabei immer noch in erster Linie daran, daß mehrere Millionen
Rumänen außerhalb der Grenzen des Landes wohnen, und daß eine starke
nationalistische Stimmung sie, die durch Sprach- und Kulturgemeinschaft ver-
wandten, hineinziehen möchte in den rumänischen Staatsverband. Dabei kommen
vorläufig allein die siebenbürger und bukowiner Rumänen und die Rumänen
des russischen Bessarabien in Frage. Die serbischen Rumänen, die im Donau-
winkel jenseits Vidin wohnen, würden für Rumänien, wenn sie einverleibt
werden sollten, wie auf einer vorgeschobenen Insel liegen; ihre natürliche
ökonomische Basis würde das serbische Hinterland bleiben. Die geographischen
Scheidewände, die der Pruth gegen Bessarabien, die Karpathen gegen Sieben¬
bürgen bilden, sind lange nicht so hinderlich. Es ist gar kein Zweifel und wir
dürfen uns darüber gar keine Illusionen machen: sowohl die bessarabischen wie
die siebenbürgischen Rumänen bilden einen Posten in jeder großen politischen
Berechnung jedes rumänischen Politikers. Momentane Konstellationen können
diesen Posten zurücktreten lassen. Auslöschen wird man ihn nie, solange die
Idee des Nationalismus und das Ideal politischer Zusammengehörigkeit der
einzelnen Sprachrassen überhaupt in den Köpfen der denkenden Menschheit Platz
haben. Dabei wird nun immer ein Gegensatz herrschen zwischen den Tendenzen
und Wünschen begeisterter aber unverantwortlicher Patrioten und den Entschlüssen
einer vorsichtig berechnenden Negierung. Und die Regierung eines Staates,
der schwächer ist als der Nachbar, wird doppelt sorgfältig rechnen und wägen
müssen, ehe sie das scheinbar unmögliche wagen darf: dem Mächtigeren neue
Grenzen zu diktieren. Sie wird die Pflicht fühlen, einer noch so starken
nationalistischen Strömung im eigenen Volke entgegenzutreten, wenn sie über¬
zeugt ist. daß ein Angriff zur Eroberung der Brüder in der Fremde tollkühn
wäre. Es gibt ein Moment, das stärker auf die Bildung der Staatsgrenzen
wirkt, wie die Nationalität: nämlich das Interesse an gemeinsamer staatlicher
Organisation. Das eigene Interesse der siebenbürger, zu Ungarn zu gehören,
ist im gegenwärtigen Augenblick für sie zu groß, zu klar, als daß sie einen
Wunsch nach Einverleibung in Rumänien haben könnten. Solange Ungarn mit
Österreich und Österreich-Ungarn mit Deutschland eng verbunden ist, bildet der
ungarische Staatsverband mit seinen deutschen Stützen für die siebenbürger
gegen die drohende, die furchtbare Gefahr der Nussifizierung eine weit bessere
Garantie, wie ein noch so großes Rumänien sie bilden könnte. Es wäre eine
sentimentale Selbsttäuschung, wenn wir die ungarnfreundliche Haltung der
siebenbürger Rumänen aus der traditionellen Zugehörigkeit zum Magyarenstaat


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[0427] Rumänien und der Krieg was dem Kriegsausbruch in der kurzen Spanne einer Woche an diplomatischen Verhandlungen vorausgegangen ist. Der König hat abgelehnt, denn er sah für Rumänien kein Bedürfnis, den fremden Wünschen zu entsprechen. Sein Heer wird er nur bereitstellen, wenn die Sicherheit, Ehre, Größe seines Landes das fordern. Auch die Größe, die künftige Größe I Das ist ein wichtiger Punkt. Wir denken dabei immer noch in erster Linie daran, daß mehrere Millionen Rumänen außerhalb der Grenzen des Landes wohnen, und daß eine starke nationalistische Stimmung sie, die durch Sprach- und Kulturgemeinschaft ver- wandten, hineinziehen möchte in den rumänischen Staatsverband. Dabei kommen vorläufig allein die siebenbürger und bukowiner Rumänen und die Rumänen des russischen Bessarabien in Frage. Die serbischen Rumänen, die im Donau- winkel jenseits Vidin wohnen, würden für Rumänien, wenn sie einverleibt werden sollten, wie auf einer vorgeschobenen Insel liegen; ihre natürliche ökonomische Basis würde das serbische Hinterland bleiben. Die geographischen Scheidewände, die der Pruth gegen Bessarabien, die Karpathen gegen Sieben¬ bürgen bilden, sind lange nicht so hinderlich. Es ist gar kein Zweifel und wir dürfen uns darüber gar keine Illusionen machen: sowohl die bessarabischen wie die siebenbürgischen Rumänen bilden einen Posten in jeder großen politischen Berechnung jedes rumänischen Politikers. Momentane Konstellationen können diesen Posten zurücktreten lassen. Auslöschen wird man ihn nie, solange die Idee des Nationalismus und das Ideal politischer Zusammengehörigkeit der einzelnen Sprachrassen überhaupt in den Köpfen der denkenden Menschheit Platz haben. Dabei wird nun immer ein Gegensatz herrschen zwischen den Tendenzen und Wünschen begeisterter aber unverantwortlicher Patrioten und den Entschlüssen einer vorsichtig berechnenden Negierung. Und die Regierung eines Staates, der schwächer ist als der Nachbar, wird doppelt sorgfältig rechnen und wägen müssen, ehe sie das scheinbar unmögliche wagen darf: dem Mächtigeren neue Grenzen zu diktieren. Sie wird die Pflicht fühlen, einer noch so starken nationalistischen Strömung im eigenen Volke entgegenzutreten, wenn sie über¬ zeugt ist. daß ein Angriff zur Eroberung der Brüder in der Fremde tollkühn wäre. Es gibt ein Moment, das stärker auf die Bildung der Staatsgrenzen wirkt, wie die Nationalität: nämlich das Interesse an gemeinsamer staatlicher Organisation. Das eigene Interesse der siebenbürger, zu Ungarn zu gehören, ist im gegenwärtigen Augenblick für sie zu groß, zu klar, als daß sie einen Wunsch nach Einverleibung in Rumänien haben könnten. Solange Ungarn mit Österreich und Österreich-Ungarn mit Deutschland eng verbunden ist, bildet der ungarische Staatsverband mit seinen deutschen Stützen für die siebenbürger gegen die drohende, die furchtbare Gefahr der Nussifizierung eine weit bessere Garantie, wie ein noch so großes Rumänien sie bilden könnte. Es wäre eine sentimentale Selbsttäuschung, wenn wir die ungarnfreundliche Haltung der siebenbürger Rumänen aus der traditionellen Zugehörigkeit zum Magyarenstaat 29*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/427>, abgerufen am 27.07.2024.