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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Rumänien und der Krieg

die Vernichtung Serbiens, noch nicht eingetreten. Deshalb ist es doch wohl
am Platze, auch jetzt noch der Lage in Rumänien einige Beachtung zu geben,
Und das um so mehr, als, wie mir scheint, die öffentliche Meinung gerade in
Deutschland nicht gründlich genug über die Motive und die Bedürfnisse, die für
Rumänien in Frage kommen, orientiert worden ist. Manche Nachricht und
manches Gerücht aus Bukarest und aus Sinaja ist in letzter Zeit durch unsere
Presse gegangen und nicht richtiggestellt worden, obwohl daran kein wahres
Wort war.

Zunächst: als Machtfaktor ist Rumänien von unseren Regierungen mit
Recht hoch eingeschätzt worden. Die Bevölkerungszahl ist etwas geringer wie
die Belgiens. Aber das Heer ist weit größer, ist vollkommen modern geschult,
organisiert, bewaffnet; die Artillerie hervorragend. Das Soldatenmaterial hat
sich während des unblutigen aber äußerst strapaziösen Feldzuges in Bulgarien
im Sommer 1913 als ausgezeichnet erwiesen. Die Mobilmachung funktionierte
musterhaft. Die Führung war vollkommen auf der Höhe und die Disziplin
glänzend. Böswillig herabsetzende Berichte über diesen Feldzug, die bei uns
zirkulierten, entsprachen nicht der Wahrheit. Mitteilungen der Carnegie-Unter¬
suchungskommission üher Völkerrechtswidrigkeiten und Grausamkeiten der
rumänischen Truppen waren aus der Luft gegriffen. Unmittelbar vor Beginn
des jetzigen Krieges haben nichtrumänische Augenzeugen, insbesondere auch
Franzosen (die antirumünischen "Berichte" im Carnegieprotokoll wurden auf
die französischen Mitglieder der Untersuchungskommission zurückgeführt) nach¬
gewiesen, daß Carnegies Friedensmänner in Rumänien nicht nach eigenem
Augenschein berichtet hatten. Es ist jedenfalls kein Zweifel, daß Europa im
Fall des rumänischen Eingreifens mit einer halben Million vollwertiger
rumänischer Truppen zu rechnen hätte.

Die Armee untersteht direkt dem König. Er hat sie in seiner bald funfzig¬
jährigen Regierungszeit geschaffen. Er hat für ihre stete Vervollkommnung und
Kriegsbereitschaft, insbesondere für ihre moderne artilleristische Ausstattung,
gesorgt. Man hat bei uns gesagt, als geborener Deutscher wird der König
diese seine Armee nie gegen deutsche Interessen ins Feld führen. Das ist nicht
ganz richtig. Selbstverständlich gehören die persönlichen Sympathien des Königs
Deutschland und Österreich-Ungarn. Er hat in Holstein als junger preußischer
Offizier gekämpft. Er ist den Herrschern unserer Monarchien durch Bluts¬
verwandtschaft und Freundschaft verbunden. Aber er ist keine sentimentale
Natur: seitdem er Rumänien regiert, ist seine erste Leitlinie die Pflicht, die er
auf sich genommen hat, sein Land zu heben. Nie wird er seine Armee für
andere ins Feld schicken, als einzig und allein für seine Rumänen. Zu
Anfang des gegenwärtigen Völkerkonflikts sind von fremder Seite Versuche
gemacht worden, Rumänien für eine bestimmte Partei zu gewinnen. Wie und
in welcher Form, das hat die Öffentlichkeit nicht erfahren. Das werden wir,
nach langen Jahren vielleicht, hören, wenn einmal alles gesagt werden darf,


Rumänien und der Krieg

die Vernichtung Serbiens, noch nicht eingetreten. Deshalb ist es doch wohl
am Platze, auch jetzt noch der Lage in Rumänien einige Beachtung zu geben,
Und das um so mehr, als, wie mir scheint, die öffentliche Meinung gerade in
Deutschland nicht gründlich genug über die Motive und die Bedürfnisse, die für
Rumänien in Frage kommen, orientiert worden ist. Manche Nachricht und
manches Gerücht aus Bukarest und aus Sinaja ist in letzter Zeit durch unsere
Presse gegangen und nicht richtiggestellt worden, obwohl daran kein wahres
Wort war.

Zunächst: als Machtfaktor ist Rumänien von unseren Regierungen mit
Recht hoch eingeschätzt worden. Die Bevölkerungszahl ist etwas geringer wie
die Belgiens. Aber das Heer ist weit größer, ist vollkommen modern geschult,
organisiert, bewaffnet; die Artillerie hervorragend. Das Soldatenmaterial hat
sich während des unblutigen aber äußerst strapaziösen Feldzuges in Bulgarien
im Sommer 1913 als ausgezeichnet erwiesen. Die Mobilmachung funktionierte
musterhaft. Die Führung war vollkommen auf der Höhe und die Disziplin
glänzend. Böswillig herabsetzende Berichte über diesen Feldzug, die bei uns
zirkulierten, entsprachen nicht der Wahrheit. Mitteilungen der Carnegie-Unter¬
suchungskommission üher Völkerrechtswidrigkeiten und Grausamkeiten der
rumänischen Truppen waren aus der Luft gegriffen. Unmittelbar vor Beginn
des jetzigen Krieges haben nichtrumänische Augenzeugen, insbesondere auch
Franzosen (die antirumünischen „Berichte" im Carnegieprotokoll wurden auf
die französischen Mitglieder der Untersuchungskommission zurückgeführt) nach¬
gewiesen, daß Carnegies Friedensmänner in Rumänien nicht nach eigenem
Augenschein berichtet hatten. Es ist jedenfalls kein Zweifel, daß Europa im
Fall des rumänischen Eingreifens mit einer halben Million vollwertiger
rumänischer Truppen zu rechnen hätte.

Die Armee untersteht direkt dem König. Er hat sie in seiner bald funfzig¬
jährigen Regierungszeit geschaffen. Er hat für ihre stete Vervollkommnung und
Kriegsbereitschaft, insbesondere für ihre moderne artilleristische Ausstattung,
gesorgt. Man hat bei uns gesagt, als geborener Deutscher wird der König
diese seine Armee nie gegen deutsche Interessen ins Feld führen. Das ist nicht
ganz richtig. Selbstverständlich gehören die persönlichen Sympathien des Königs
Deutschland und Österreich-Ungarn. Er hat in Holstein als junger preußischer
Offizier gekämpft. Er ist den Herrschern unserer Monarchien durch Bluts¬
verwandtschaft und Freundschaft verbunden. Aber er ist keine sentimentale
Natur: seitdem er Rumänien regiert, ist seine erste Leitlinie die Pflicht, die er
auf sich genommen hat, sein Land zu heben. Nie wird er seine Armee für
andere ins Feld schicken, als einzig und allein für seine Rumänen. Zu
Anfang des gegenwärtigen Völkerkonflikts sind von fremder Seite Versuche
gemacht worden, Rumänien für eine bestimmte Partei zu gewinnen. Wie und
in welcher Form, das hat die Öffentlichkeit nicht erfahren. Das werden wir,
nach langen Jahren vielleicht, hören, wenn einmal alles gesagt werden darf,


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[0426] Rumänien und der Krieg die Vernichtung Serbiens, noch nicht eingetreten. Deshalb ist es doch wohl am Platze, auch jetzt noch der Lage in Rumänien einige Beachtung zu geben, Und das um so mehr, als, wie mir scheint, die öffentliche Meinung gerade in Deutschland nicht gründlich genug über die Motive und die Bedürfnisse, die für Rumänien in Frage kommen, orientiert worden ist. Manche Nachricht und manches Gerücht aus Bukarest und aus Sinaja ist in letzter Zeit durch unsere Presse gegangen und nicht richtiggestellt worden, obwohl daran kein wahres Wort war. Zunächst: als Machtfaktor ist Rumänien von unseren Regierungen mit Recht hoch eingeschätzt worden. Die Bevölkerungszahl ist etwas geringer wie die Belgiens. Aber das Heer ist weit größer, ist vollkommen modern geschult, organisiert, bewaffnet; die Artillerie hervorragend. Das Soldatenmaterial hat sich während des unblutigen aber äußerst strapaziösen Feldzuges in Bulgarien im Sommer 1913 als ausgezeichnet erwiesen. Die Mobilmachung funktionierte musterhaft. Die Führung war vollkommen auf der Höhe und die Disziplin glänzend. Böswillig herabsetzende Berichte über diesen Feldzug, die bei uns zirkulierten, entsprachen nicht der Wahrheit. Mitteilungen der Carnegie-Unter¬ suchungskommission üher Völkerrechtswidrigkeiten und Grausamkeiten der rumänischen Truppen waren aus der Luft gegriffen. Unmittelbar vor Beginn des jetzigen Krieges haben nichtrumänische Augenzeugen, insbesondere auch Franzosen (die antirumünischen „Berichte" im Carnegieprotokoll wurden auf die französischen Mitglieder der Untersuchungskommission zurückgeführt) nach¬ gewiesen, daß Carnegies Friedensmänner in Rumänien nicht nach eigenem Augenschein berichtet hatten. Es ist jedenfalls kein Zweifel, daß Europa im Fall des rumänischen Eingreifens mit einer halben Million vollwertiger rumänischer Truppen zu rechnen hätte. Die Armee untersteht direkt dem König. Er hat sie in seiner bald funfzig¬ jährigen Regierungszeit geschaffen. Er hat für ihre stete Vervollkommnung und Kriegsbereitschaft, insbesondere für ihre moderne artilleristische Ausstattung, gesorgt. Man hat bei uns gesagt, als geborener Deutscher wird der König diese seine Armee nie gegen deutsche Interessen ins Feld führen. Das ist nicht ganz richtig. Selbstverständlich gehören die persönlichen Sympathien des Königs Deutschland und Österreich-Ungarn. Er hat in Holstein als junger preußischer Offizier gekämpft. Er ist den Herrschern unserer Monarchien durch Bluts¬ verwandtschaft und Freundschaft verbunden. Aber er ist keine sentimentale Natur: seitdem er Rumänien regiert, ist seine erste Leitlinie die Pflicht, die er auf sich genommen hat, sein Land zu heben. Nie wird er seine Armee für andere ins Feld schicken, als einzig und allein für seine Rumänen. Zu Anfang des gegenwärtigen Völkerkonflikts sind von fremder Seite Versuche gemacht worden, Rumänien für eine bestimmte Partei zu gewinnen. Wie und in welcher Form, das hat die Öffentlichkeit nicht erfahren. Das werden wir, nach langen Jahren vielleicht, hören, wenn einmal alles gesagt werden darf,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/426>, abgerufen am 22.12.2024.