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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Englische Politik

Versailles 1783 klagte er, daß Frankreich die Möglichkeit habe, seine Marine
neu ins Leben zu rufen. Diese Gesinnung verschärfte sich noch, besonders im
Laufe des Krieges mit Frankreich, der seinen zeitweiligen Abschluß im Frieden
von Amiens fand. Die ganze Enttäuschung Englands, bei diesem Anlaß keinen
Handelsvertrag durchgesetzt zu haben, spiegelt eine Broschüre wieder mit dem
Titel: "Ein ewiger Krieg als einziges Mittel zur Sicherheit und Wohlfahrt
Großbritanniens." Einige bezeichnende Sätze lauten: "Bietet Frankreich Frieden,
so müssen wir antworten: zieht eure Truppen aus den benachbarten Ländern
und von den Küsten zurück, die ihr besetzt habt, entwaffnet eure Flotten, stellt
eure Seerüstungen ein, dann sollen die englischen Kriegsschiffe aufhören, die
französischen Küsten zu beunruhigen. -- Eure ganze Seemacht muß vernichtet
werden." In welchem Geiste England seine Seeherrschaft auffaßte, zeigt mit
voller Deutlichkeit sein Seerecht. Dieses erkannte den Grundsatz, daß feindliche
Ware unter freundschaftlicher Flagge unantastbar sei, also frei Gut frei Schiff,
nicht an, sondern maßte sich das Durchsuchungsrecht an, sowie den Begriff
Konterbande nach seinem Gutdünken festzusetzen. Ferner sollte eine einfache
Blockadeerklärung genügen, um alle die Maßnahmen zu rechtfertigen, die eine
wirklich durchgeführte Blockade im Gefolge hatte. Auch jedes andere Mittel
war willkommen, das den Gegner schädigen konnte. Die Unterstützung aller
seiner Feinde, des eigenen Landes wie des Auslandes, mit Geld oder anderen
Mitteln, war selbstverständlich. In einem eigentümlichen Lichte erscheint "der
Prinzipienkampf gegen die unmoralische Revolution", da die englische Regierung
den Verschwörern gegen das Leben des Ersten Konsuls, Napoleon Bonaparte,
Pichegru, Cadoudal usw., Gastrecht gewährte und sie ihre Vorbereitungen zum
feigen Meuchelmord zum mindesten unter stillschweigender Duldung treffen ließ.
Damit aber war Englands Arsenal an vergifteten Waffen noch lange nicht erschöpft.
In diesen Kämpfen schmiedete es die Waffe, die ihm von da an ein mächtiger
Helfer im Streite sein sollte: die Verleumdung des Gegners um jeden Preis. Schon
damals war die englische Presse die weitaus bedeutendste: mit ihrem ganzen Ein¬
fluß stellte diese sich der Regierung und deren Plänen und Absichten zur Verfügung.

Eine große Anzahl von über die ganze Welt verstreuten Agenten in allen
Schichten der Bevölkerung, eine Fülle meist anonymer Broschüren in den ver¬
schiedenen Landessprachen vollendeten das sorgsam geplante Werk. Gegenüber
diesem skrupellos durchgeführten Verleumdungsfeldzug blieb die französische
Regierung machtlos. Sie mochte noch so laut verkünden, daß die Handhabung
des Seerechtes seitens Englands dem Völkerrecht Hohn spreche, eine Vergewal¬
tigung der seefahrenden Welt ohnegleichen sei. Ihr Protest verhallte ohne
Wirkung. Napoleon mochte noch so oft in die Welt hinausrufen, daß er die
Handelsfreiheit Europas gegen britische Anmaßung und Unterdrückung verteidige,
daß England ihn zu seinen unaufhörlichen Kriegen und zu seinen handelspolitischen
Maßnahmen treibe: nirgends fand er Glauben. Das Festland spürte die harte
Faust des Eroberers, die unheilvollen wirtschaftlichen Folgen der Kontinental-


Englische Politik

Versailles 1783 klagte er, daß Frankreich die Möglichkeit habe, seine Marine
neu ins Leben zu rufen. Diese Gesinnung verschärfte sich noch, besonders im
Laufe des Krieges mit Frankreich, der seinen zeitweiligen Abschluß im Frieden
von Amiens fand. Die ganze Enttäuschung Englands, bei diesem Anlaß keinen
Handelsvertrag durchgesetzt zu haben, spiegelt eine Broschüre wieder mit dem
Titel: „Ein ewiger Krieg als einziges Mittel zur Sicherheit und Wohlfahrt
Großbritanniens." Einige bezeichnende Sätze lauten: „Bietet Frankreich Frieden,
so müssen wir antworten: zieht eure Truppen aus den benachbarten Ländern
und von den Küsten zurück, die ihr besetzt habt, entwaffnet eure Flotten, stellt
eure Seerüstungen ein, dann sollen die englischen Kriegsschiffe aufhören, die
französischen Küsten zu beunruhigen. — Eure ganze Seemacht muß vernichtet
werden." In welchem Geiste England seine Seeherrschaft auffaßte, zeigt mit
voller Deutlichkeit sein Seerecht. Dieses erkannte den Grundsatz, daß feindliche
Ware unter freundschaftlicher Flagge unantastbar sei, also frei Gut frei Schiff,
nicht an, sondern maßte sich das Durchsuchungsrecht an, sowie den Begriff
Konterbande nach seinem Gutdünken festzusetzen. Ferner sollte eine einfache
Blockadeerklärung genügen, um alle die Maßnahmen zu rechtfertigen, die eine
wirklich durchgeführte Blockade im Gefolge hatte. Auch jedes andere Mittel
war willkommen, das den Gegner schädigen konnte. Die Unterstützung aller
seiner Feinde, des eigenen Landes wie des Auslandes, mit Geld oder anderen
Mitteln, war selbstverständlich. In einem eigentümlichen Lichte erscheint „der
Prinzipienkampf gegen die unmoralische Revolution", da die englische Regierung
den Verschwörern gegen das Leben des Ersten Konsuls, Napoleon Bonaparte,
Pichegru, Cadoudal usw., Gastrecht gewährte und sie ihre Vorbereitungen zum
feigen Meuchelmord zum mindesten unter stillschweigender Duldung treffen ließ.
Damit aber war Englands Arsenal an vergifteten Waffen noch lange nicht erschöpft.
In diesen Kämpfen schmiedete es die Waffe, die ihm von da an ein mächtiger
Helfer im Streite sein sollte: die Verleumdung des Gegners um jeden Preis. Schon
damals war die englische Presse die weitaus bedeutendste: mit ihrem ganzen Ein¬
fluß stellte diese sich der Regierung und deren Plänen und Absichten zur Verfügung.

Eine große Anzahl von über die ganze Welt verstreuten Agenten in allen
Schichten der Bevölkerung, eine Fülle meist anonymer Broschüren in den ver¬
schiedenen Landessprachen vollendeten das sorgsam geplante Werk. Gegenüber
diesem skrupellos durchgeführten Verleumdungsfeldzug blieb die französische
Regierung machtlos. Sie mochte noch so laut verkünden, daß die Handhabung
des Seerechtes seitens Englands dem Völkerrecht Hohn spreche, eine Vergewal¬
tigung der seefahrenden Welt ohnegleichen sei. Ihr Protest verhallte ohne
Wirkung. Napoleon mochte noch so oft in die Welt hinausrufen, daß er die
Handelsfreiheit Europas gegen britische Anmaßung und Unterdrückung verteidige,
daß England ihn zu seinen unaufhörlichen Kriegen und zu seinen handelspolitischen
Maßnahmen treibe: nirgends fand er Glauben. Das Festland spürte die harte
Faust des Eroberers, die unheilvollen wirtschaftlichen Folgen der Kontinental-


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[0362] Englische Politik Versailles 1783 klagte er, daß Frankreich die Möglichkeit habe, seine Marine neu ins Leben zu rufen. Diese Gesinnung verschärfte sich noch, besonders im Laufe des Krieges mit Frankreich, der seinen zeitweiligen Abschluß im Frieden von Amiens fand. Die ganze Enttäuschung Englands, bei diesem Anlaß keinen Handelsvertrag durchgesetzt zu haben, spiegelt eine Broschüre wieder mit dem Titel: „Ein ewiger Krieg als einziges Mittel zur Sicherheit und Wohlfahrt Großbritanniens." Einige bezeichnende Sätze lauten: „Bietet Frankreich Frieden, so müssen wir antworten: zieht eure Truppen aus den benachbarten Ländern und von den Küsten zurück, die ihr besetzt habt, entwaffnet eure Flotten, stellt eure Seerüstungen ein, dann sollen die englischen Kriegsschiffe aufhören, die französischen Küsten zu beunruhigen. — Eure ganze Seemacht muß vernichtet werden." In welchem Geiste England seine Seeherrschaft auffaßte, zeigt mit voller Deutlichkeit sein Seerecht. Dieses erkannte den Grundsatz, daß feindliche Ware unter freundschaftlicher Flagge unantastbar sei, also frei Gut frei Schiff, nicht an, sondern maßte sich das Durchsuchungsrecht an, sowie den Begriff Konterbande nach seinem Gutdünken festzusetzen. Ferner sollte eine einfache Blockadeerklärung genügen, um alle die Maßnahmen zu rechtfertigen, die eine wirklich durchgeführte Blockade im Gefolge hatte. Auch jedes andere Mittel war willkommen, das den Gegner schädigen konnte. Die Unterstützung aller seiner Feinde, des eigenen Landes wie des Auslandes, mit Geld oder anderen Mitteln, war selbstverständlich. In einem eigentümlichen Lichte erscheint „der Prinzipienkampf gegen die unmoralische Revolution", da die englische Regierung den Verschwörern gegen das Leben des Ersten Konsuls, Napoleon Bonaparte, Pichegru, Cadoudal usw., Gastrecht gewährte und sie ihre Vorbereitungen zum feigen Meuchelmord zum mindesten unter stillschweigender Duldung treffen ließ. Damit aber war Englands Arsenal an vergifteten Waffen noch lange nicht erschöpft. In diesen Kämpfen schmiedete es die Waffe, die ihm von da an ein mächtiger Helfer im Streite sein sollte: die Verleumdung des Gegners um jeden Preis. Schon damals war die englische Presse die weitaus bedeutendste: mit ihrem ganzen Ein¬ fluß stellte diese sich der Regierung und deren Plänen und Absichten zur Verfügung. Eine große Anzahl von über die ganze Welt verstreuten Agenten in allen Schichten der Bevölkerung, eine Fülle meist anonymer Broschüren in den ver¬ schiedenen Landessprachen vollendeten das sorgsam geplante Werk. Gegenüber diesem skrupellos durchgeführten Verleumdungsfeldzug blieb die französische Regierung machtlos. Sie mochte noch so laut verkünden, daß die Handhabung des Seerechtes seitens Englands dem Völkerrecht Hohn spreche, eine Vergewal¬ tigung der seefahrenden Welt ohnegleichen sei. Ihr Protest verhallte ohne Wirkung. Napoleon mochte noch so oft in die Welt hinausrufen, daß er die Handelsfreiheit Europas gegen britische Anmaßung und Unterdrückung verteidige, daß England ihn zu seinen unaufhörlichen Kriegen und zu seinen handelspolitischen Maßnahmen treibe: nirgends fand er Glauben. Das Festland spürte die harte Faust des Eroberers, die unheilvollen wirtschaftlichen Folgen der Kontinental-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/362>, abgerufen am 29.07.2024.