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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Der große Krieg

das serbische Vieh ungehindert auf den österreichisch-ungarischen Markt kommen.
Durch den Zollkrieg von 1906 wurde dieses Absatzgebiet den Serben genommen.
Nachträglich wird man vielleicht zu dem Ergebnis kommen, daß die östereichisch-
ungarischen Maßnahmen gegenüber der Geringfügigkeit des Objekts zu stark
waren. Man wird aber in dem ganzen Milieu, in der Lebhaftigkeit der
Kampfesweise, dem Temperament der Gegner und manchen anderen lokalen
Verhältnissen eine genügende Erklärung auch dafür finden. Genug: die politisch-
nationalen Folgen, die Österreich-Ungarns Maßnahmen auslösen konnten, wurden
anscheinend nicht in den Bereich des Möglichen gezogen. Man rechnete nicht
mit den Reaktionen des Magens eines ganzen Volkes, die je nach Temperament
recht verschieden sein können. Die Serben glaubten sich in Überschätzung
der Folgen der ungarischen Maßnahmen zunächst vor den Ruin gestellt.
Zu ihrem eigenen Erstaunen erwies sich diese Furcht aber als unbegründet.
Es fanden sich andere Abnehmer für ihre Landeserzeugnisse: außerhalb der
Habsburgischen Monarchie wohnende Konsumenten begannen einander in Liebens¬
würdigkeit gegen den sonst so verachteten Mausfallenhändler zu überbieten, um
dessen günstige Meinung geschäftlich auszubeuten. Es fanden sich Kapitalisten,
die teils selbst große Schlachthäuser auf serbischen Boden errichteten, teils Geld
zur Befruchtung der serbischen Viehaussuhr hergaben, und viele tausend Kilo
der italienischen Salamiwurst sind nach 1906 aus serbischen Rinde in Serbien
hergestellt worden; auch die berühmten Pflaumen Serbiens fanden ihren Weg
ins Ausland. Man begann sich um die serbischen Produkte buchstäblich zu reißen!
Der geschäftliche Einfluß Österreich-Ungarns in Serbien begann sich daneben zu ver¬
ringern. Die Serben fanden, daß nicht nur ihre Waren begehrenswert, sondern
auch sie selbst recht begehrenswerte Menschen seien, und nun erwachte und
erwärmte sich auch ziemlich heftig das nationale Bewußtsein. Man erinnere
sich, daß 1908 der allslawische Kongres zu Prag stattfand. Als echte Slawen
Ma die Serben aus einem Extrem ins andere: von tiefster Niedergeschlagen¬
heit bis zum ausschweifendsten Größenwahn und Optimismus war nur ein
Schritt. Das aber war so recht die Stimmung, die die russische Diplomatie
brauchte, um die Serben vor den Wagen der russischen Interessen zu spannen
und sie ging ungesäumt ans Werk.

Aus an sich harmlosen lokalen Verhältnissen, die sich im friedlichen Wett¬
bewerb der Völker jederzeit in allen Ländern und zwischen allen Nationen
wiederholen, machten sie eine große politische Frage und fachten dadurch den
Brand an, der jetzt ihre Bundesgenossen, später hoffentlich auch die Brandstifter
selbst verzehren soll.

Auf Rußlands Wege nach Konstantinopel, ivie zum Mittelmeer überhaupt,
also auch zur Adria stand die vom Dreibunde geschützte Türkei, steht
hindernd der Dreibund selbst und in ihm wieder besonders das feste
Bündnis zwischen Deutschland und Osterreich. Der Dreibund war darum den
Russen längst ein Dorn im Auge. Die unbedeutende wirtschaftliche Konkurrenz,


Der große Krieg

das serbische Vieh ungehindert auf den österreichisch-ungarischen Markt kommen.
Durch den Zollkrieg von 1906 wurde dieses Absatzgebiet den Serben genommen.
Nachträglich wird man vielleicht zu dem Ergebnis kommen, daß die östereichisch-
ungarischen Maßnahmen gegenüber der Geringfügigkeit des Objekts zu stark
waren. Man wird aber in dem ganzen Milieu, in der Lebhaftigkeit der
Kampfesweise, dem Temperament der Gegner und manchen anderen lokalen
Verhältnissen eine genügende Erklärung auch dafür finden. Genug: die politisch-
nationalen Folgen, die Österreich-Ungarns Maßnahmen auslösen konnten, wurden
anscheinend nicht in den Bereich des Möglichen gezogen. Man rechnete nicht
mit den Reaktionen des Magens eines ganzen Volkes, die je nach Temperament
recht verschieden sein können. Die Serben glaubten sich in Überschätzung
der Folgen der ungarischen Maßnahmen zunächst vor den Ruin gestellt.
Zu ihrem eigenen Erstaunen erwies sich diese Furcht aber als unbegründet.
Es fanden sich andere Abnehmer für ihre Landeserzeugnisse: außerhalb der
Habsburgischen Monarchie wohnende Konsumenten begannen einander in Liebens¬
würdigkeit gegen den sonst so verachteten Mausfallenhändler zu überbieten, um
dessen günstige Meinung geschäftlich auszubeuten. Es fanden sich Kapitalisten,
die teils selbst große Schlachthäuser auf serbischen Boden errichteten, teils Geld
zur Befruchtung der serbischen Viehaussuhr hergaben, und viele tausend Kilo
der italienischen Salamiwurst sind nach 1906 aus serbischen Rinde in Serbien
hergestellt worden; auch die berühmten Pflaumen Serbiens fanden ihren Weg
ins Ausland. Man begann sich um die serbischen Produkte buchstäblich zu reißen!
Der geschäftliche Einfluß Österreich-Ungarns in Serbien begann sich daneben zu ver¬
ringern. Die Serben fanden, daß nicht nur ihre Waren begehrenswert, sondern
auch sie selbst recht begehrenswerte Menschen seien, und nun erwachte und
erwärmte sich auch ziemlich heftig das nationale Bewußtsein. Man erinnere
sich, daß 1908 der allslawische Kongres zu Prag stattfand. Als echte Slawen
Ma die Serben aus einem Extrem ins andere: von tiefster Niedergeschlagen¬
heit bis zum ausschweifendsten Größenwahn und Optimismus war nur ein
Schritt. Das aber war so recht die Stimmung, die die russische Diplomatie
brauchte, um die Serben vor den Wagen der russischen Interessen zu spannen
und sie ging ungesäumt ans Werk.

Aus an sich harmlosen lokalen Verhältnissen, die sich im friedlichen Wett¬
bewerb der Völker jederzeit in allen Ländern und zwischen allen Nationen
wiederholen, machten sie eine große politische Frage und fachten dadurch den
Brand an, der jetzt ihre Bundesgenossen, später hoffentlich auch die Brandstifter
selbst verzehren soll.

Auf Rußlands Wege nach Konstantinopel, ivie zum Mittelmeer überhaupt,
also auch zur Adria stand die vom Dreibunde geschützte Türkei, steht
hindernd der Dreibund selbst und in ihm wieder besonders das feste
Bündnis zwischen Deutschland und Osterreich. Der Dreibund war darum den
Russen längst ein Dorn im Auge. Die unbedeutende wirtschaftliche Konkurrenz,


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[0326] Der große Krieg das serbische Vieh ungehindert auf den österreichisch-ungarischen Markt kommen. Durch den Zollkrieg von 1906 wurde dieses Absatzgebiet den Serben genommen. Nachträglich wird man vielleicht zu dem Ergebnis kommen, daß die östereichisch- ungarischen Maßnahmen gegenüber der Geringfügigkeit des Objekts zu stark waren. Man wird aber in dem ganzen Milieu, in der Lebhaftigkeit der Kampfesweise, dem Temperament der Gegner und manchen anderen lokalen Verhältnissen eine genügende Erklärung auch dafür finden. Genug: die politisch- nationalen Folgen, die Österreich-Ungarns Maßnahmen auslösen konnten, wurden anscheinend nicht in den Bereich des Möglichen gezogen. Man rechnete nicht mit den Reaktionen des Magens eines ganzen Volkes, die je nach Temperament recht verschieden sein können. Die Serben glaubten sich in Überschätzung der Folgen der ungarischen Maßnahmen zunächst vor den Ruin gestellt. Zu ihrem eigenen Erstaunen erwies sich diese Furcht aber als unbegründet. Es fanden sich andere Abnehmer für ihre Landeserzeugnisse: außerhalb der Habsburgischen Monarchie wohnende Konsumenten begannen einander in Liebens¬ würdigkeit gegen den sonst so verachteten Mausfallenhändler zu überbieten, um dessen günstige Meinung geschäftlich auszubeuten. Es fanden sich Kapitalisten, die teils selbst große Schlachthäuser auf serbischen Boden errichteten, teils Geld zur Befruchtung der serbischen Viehaussuhr hergaben, und viele tausend Kilo der italienischen Salamiwurst sind nach 1906 aus serbischen Rinde in Serbien hergestellt worden; auch die berühmten Pflaumen Serbiens fanden ihren Weg ins Ausland. Man begann sich um die serbischen Produkte buchstäblich zu reißen! Der geschäftliche Einfluß Österreich-Ungarns in Serbien begann sich daneben zu ver¬ ringern. Die Serben fanden, daß nicht nur ihre Waren begehrenswert, sondern auch sie selbst recht begehrenswerte Menschen seien, und nun erwachte und erwärmte sich auch ziemlich heftig das nationale Bewußtsein. Man erinnere sich, daß 1908 der allslawische Kongres zu Prag stattfand. Als echte Slawen Ma die Serben aus einem Extrem ins andere: von tiefster Niedergeschlagen¬ heit bis zum ausschweifendsten Größenwahn und Optimismus war nur ein Schritt. Das aber war so recht die Stimmung, die die russische Diplomatie brauchte, um die Serben vor den Wagen der russischen Interessen zu spannen und sie ging ungesäumt ans Werk. Aus an sich harmlosen lokalen Verhältnissen, die sich im friedlichen Wett¬ bewerb der Völker jederzeit in allen Ländern und zwischen allen Nationen wiederholen, machten sie eine große politische Frage und fachten dadurch den Brand an, der jetzt ihre Bundesgenossen, später hoffentlich auch die Brandstifter selbst verzehren soll. Auf Rußlands Wege nach Konstantinopel, ivie zum Mittelmeer überhaupt, also auch zur Adria stand die vom Dreibunde geschützte Türkei, steht hindernd der Dreibund selbst und in ihm wieder besonders das feste Bündnis zwischen Deutschland und Osterreich. Der Dreibund war darum den Russen längst ein Dorn im Auge. Die unbedeutende wirtschaftliche Konkurrenz,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/326>, abgerufen am 01.09.2024.