Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der große Krieg

die nach 1906 zwischen den befreundeten Staaten in Serbien auftauchte, sollte
deshalb so vertieft werden, daß sie sich zu einer politischen auf der Balkan¬
halbinsel erweitern würde. -- Den Serben gegenüber zog die russische Diplo¬
matie das pcmslawistische Register, um die neuerwachten nationalen Gefühle
weiter zu kräftigen und immer stärker gegen Österreich einzunehmen. Die beiden
eben angedeuteten Aufgaben führte mit bewundernswerter Energie, Rücksichts¬
und Gewissenlosigkeit der bekannte russische Diplomat Hartwig durch, der, seiner
Teilnahme an der großserbischen Propaganda überführt, am 24. Juli d. I. bei
einer letzten Aussprache mit dem österreichisch-ungarischen Gesandten in Belgrad
tot zusammenbrach. Schon dieser tragische Abschluß der Laufbahn Hartwigs
läßt darauf schließen, welch ein Fülle dramatischen Stoffes sich im Verlauf der
letzten Jahre in und um Belgrad angehäuft haben mag und wenn nur die
Namen einiger beteiligter Personen genannt werden, so sind damit ganze
Szenen des Dramas gezeichnet.

Die wirtschaftlichen Erfolge der Serben im Zusammenhang mit den russischen
Versprechungen, ließen ihre Führer sich sehr schnell zu dem Gedanken bekehren,
daß das serbische Volk auch stark genug sei, unabhängig von Österreich zu
werden, daß aber ein serbischer Staat nur lebensfähig werden könnte durch
Erlangung einer Verbindung mit dem offenen Meere. Es erstarkte die gro߬
serbische Propaganda, die das Adriatische Meer zu erreichen strebte. Der Weg
zum Adriatischen Meer führte damals noch durch Bosnien und die Herzegowina
nördlich an Montenegro vou'iber und durch den Sandschak, südlich um Mon¬
tenegro. Österreich-Ungarn begegnete diesem Streben, indem es die von ihm
bereits in Verwaltung genommenen Provinzen Bosnien und Herzegowina 1908
kurzerhand annektierte, den Sandschak aber räumte, wodurch das Drängen
Serbiens anscheinend geographisch gegen Albanien, politisch auf die Türkei abge¬
bogen werden sollte. Wie die weitere Entwickelung der serbischen Frage lehrte, war
das keine glückliche Entscheidung. Als Rußland dagegen ausbegehrte, gab es
in diesem Zusammenhange die erste diplomatische Schlappe für die Petersburger
Diplomatie: Deutschland stellte sich wie bekannt "in schimmernder Wehr" hinter
Österreich.

Da es auf diesem Wege nicht ging, suchte Hartwig die Serben auf andere
Weise an das Meer zu bringen. Hartwig schuf den Balkanbund, dessen Aufgabe
es sein sollte, die Türkei zu zertrümmern und die Großmächte vor eine fertige
Tatsache zu stellen, wobei Nußland Konstantinopel zufallen würde, das die Bul¬
garen erobern sollten. Es kam zum ersten Kriege gegen die Türkei. Diese
wurde in ihrem europäischen Besitzstände arg geschwächt. Die Serben besetzten
Durazzo und wollten Nordalbanien annektieren. Der Plan scheiterte am Wider¬
spruch Italiens und Österreich-Ungarns; die von Rumänien aus familiären
Gründen warm geförderte Idee eines selbständigen Albaniens tauchte auf und
wurde bis zum Beginn dieses Jahres mit freilich unzulänglichen Mitteln durch-
geführt. Nun verlor Nußland zeitweilig das Steuer. Der zweite Balkankrieg


22"
Der große Krieg

die nach 1906 zwischen den befreundeten Staaten in Serbien auftauchte, sollte
deshalb so vertieft werden, daß sie sich zu einer politischen auf der Balkan¬
halbinsel erweitern würde. — Den Serben gegenüber zog die russische Diplo¬
matie das pcmslawistische Register, um die neuerwachten nationalen Gefühle
weiter zu kräftigen und immer stärker gegen Österreich einzunehmen. Die beiden
eben angedeuteten Aufgaben führte mit bewundernswerter Energie, Rücksichts¬
und Gewissenlosigkeit der bekannte russische Diplomat Hartwig durch, der, seiner
Teilnahme an der großserbischen Propaganda überführt, am 24. Juli d. I. bei
einer letzten Aussprache mit dem österreichisch-ungarischen Gesandten in Belgrad
tot zusammenbrach. Schon dieser tragische Abschluß der Laufbahn Hartwigs
läßt darauf schließen, welch ein Fülle dramatischen Stoffes sich im Verlauf der
letzten Jahre in und um Belgrad angehäuft haben mag und wenn nur die
Namen einiger beteiligter Personen genannt werden, so sind damit ganze
Szenen des Dramas gezeichnet.

Die wirtschaftlichen Erfolge der Serben im Zusammenhang mit den russischen
Versprechungen, ließen ihre Führer sich sehr schnell zu dem Gedanken bekehren,
daß das serbische Volk auch stark genug sei, unabhängig von Österreich zu
werden, daß aber ein serbischer Staat nur lebensfähig werden könnte durch
Erlangung einer Verbindung mit dem offenen Meere. Es erstarkte die gro߬
serbische Propaganda, die das Adriatische Meer zu erreichen strebte. Der Weg
zum Adriatischen Meer führte damals noch durch Bosnien und die Herzegowina
nördlich an Montenegro vou'iber und durch den Sandschak, südlich um Mon¬
tenegro. Österreich-Ungarn begegnete diesem Streben, indem es die von ihm
bereits in Verwaltung genommenen Provinzen Bosnien und Herzegowina 1908
kurzerhand annektierte, den Sandschak aber räumte, wodurch das Drängen
Serbiens anscheinend geographisch gegen Albanien, politisch auf die Türkei abge¬
bogen werden sollte. Wie die weitere Entwickelung der serbischen Frage lehrte, war
das keine glückliche Entscheidung. Als Rußland dagegen ausbegehrte, gab es
in diesem Zusammenhange die erste diplomatische Schlappe für die Petersburger
Diplomatie: Deutschland stellte sich wie bekannt „in schimmernder Wehr" hinter
Österreich.

Da es auf diesem Wege nicht ging, suchte Hartwig die Serben auf andere
Weise an das Meer zu bringen. Hartwig schuf den Balkanbund, dessen Aufgabe
es sein sollte, die Türkei zu zertrümmern und die Großmächte vor eine fertige
Tatsache zu stellen, wobei Nußland Konstantinopel zufallen würde, das die Bul¬
garen erobern sollten. Es kam zum ersten Kriege gegen die Türkei. Diese
wurde in ihrem europäischen Besitzstände arg geschwächt. Die Serben besetzten
Durazzo und wollten Nordalbanien annektieren. Der Plan scheiterte am Wider¬
spruch Italiens und Österreich-Ungarns; die von Rumänien aus familiären
Gründen warm geförderte Idee eines selbständigen Albaniens tauchte auf und
wurde bis zum Beginn dieses Jahres mit freilich unzulänglichen Mitteln durch-
geführt. Nun verlor Nußland zeitweilig das Steuer. Der zweite Balkankrieg


22«
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0327" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329061"/>
          <fw type="header" place="top"> Der große Krieg</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1120" prev="#ID_1119"> die nach 1906 zwischen den befreundeten Staaten in Serbien auftauchte, sollte<lb/>
deshalb so vertieft werden, daß sie sich zu einer politischen auf der Balkan¬<lb/>
halbinsel erweitern würde. &#x2014; Den Serben gegenüber zog die russische Diplo¬<lb/>
matie das pcmslawistische Register, um die neuerwachten nationalen Gefühle<lb/>
weiter zu kräftigen und immer stärker gegen Österreich einzunehmen. Die beiden<lb/>
eben angedeuteten Aufgaben führte mit bewundernswerter Energie, Rücksichts¬<lb/>
und Gewissenlosigkeit der bekannte russische Diplomat Hartwig durch, der, seiner<lb/>
Teilnahme an der großserbischen Propaganda überführt, am 24. Juli d. I. bei<lb/>
einer letzten Aussprache mit dem österreichisch-ungarischen Gesandten in Belgrad<lb/>
tot zusammenbrach. Schon dieser tragische Abschluß der Laufbahn Hartwigs<lb/>
läßt darauf schließen, welch ein Fülle dramatischen Stoffes sich im Verlauf der<lb/>
letzten Jahre in und um Belgrad angehäuft haben mag und wenn nur die<lb/>
Namen einiger beteiligter Personen genannt werden, so sind damit ganze<lb/>
Szenen des Dramas gezeichnet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1121"> Die wirtschaftlichen Erfolge der Serben im Zusammenhang mit den russischen<lb/>
Versprechungen, ließen ihre Führer sich sehr schnell zu dem Gedanken bekehren,<lb/>
daß das serbische Volk auch stark genug sei, unabhängig von Österreich zu<lb/>
werden, daß aber ein serbischer Staat nur lebensfähig werden könnte durch<lb/>
Erlangung einer Verbindung mit dem offenen Meere. Es erstarkte die gro߬<lb/>
serbische Propaganda, die das Adriatische Meer zu erreichen strebte. Der Weg<lb/>
zum Adriatischen Meer führte damals noch durch Bosnien und die Herzegowina<lb/>
nördlich an Montenegro vou'iber und durch den Sandschak, südlich um Mon¬<lb/>
tenegro. Österreich-Ungarn begegnete diesem Streben, indem es die von ihm<lb/>
bereits in Verwaltung genommenen Provinzen Bosnien und Herzegowina 1908<lb/>
kurzerhand annektierte, den Sandschak aber räumte, wodurch das Drängen<lb/>
Serbiens anscheinend geographisch gegen Albanien, politisch auf die Türkei abge¬<lb/>
bogen werden sollte. Wie die weitere Entwickelung der serbischen Frage lehrte, war<lb/>
das keine glückliche Entscheidung. Als Rußland dagegen ausbegehrte, gab es<lb/>
in diesem Zusammenhange die erste diplomatische Schlappe für die Petersburger<lb/>
Diplomatie: Deutschland stellte sich wie bekannt &#x201E;in schimmernder Wehr" hinter<lb/>
Österreich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1122" next="#ID_1123"> Da es auf diesem Wege nicht ging, suchte Hartwig die Serben auf andere<lb/>
Weise an das Meer zu bringen. Hartwig schuf den Balkanbund, dessen Aufgabe<lb/>
es sein sollte, die Türkei zu zertrümmern und die Großmächte vor eine fertige<lb/>
Tatsache zu stellen, wobei Nußland Konstantinopel zufallen würde, das die Bul¬<lb/>
garen erobern sollten. Es kam zum ersten Kriege gegen die Türkei. Diese<lb/>
wurde in ihrem europäischen Besitzstände arg geschwächt. Die Serben besetzten<lb/>
Durazzo und wollten Nordalbanien annektieren. Der Plan scheiterte am Wider¬<lb/>
spruch Italiens und Österreich-Ungarns; die von Rumänien aus familiären<lb/>
Gründen warm geförderte Idee eines selbständigen Albaniens tauchte auf und<lb/>
wurde bis zum Beginn dieses Jahres mit freilich unzulänglichen Mitteln durch-<lb/>
geführt.  Nun verlor Nußland zeitweilig das Steuer. Der zweite Balkankrieg</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 22«</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0327] Der große Krieg die nach 1906 zwischen den befreundeten Staaten in Serbien auftauchte, sollte deshalb so vertieft werden, daß sie sich zu einer politischen auf der Balkan¬ halbinsel erweitern würde. — Den Serben gegenüber zog die russische Diplo¬ matie das pcmslawistische Register, um die neuerwachten nationalen Gefühle weiter zu kräftigen und immer stärker gegen Österreich einzunehmen. Die beiden eben angedeuteten Aufgaben führte mit bewundernswerter Energie, Rücksichts¬ und Gewissenlosigkeit der bekannte russische Diplomat Hartwig durch, der, seiner Teilnahme an der großserbischen Propaganda überführt, am 24. Juli d. I. bei einer letzten Aussprache mit dem österreichisch-ungarischen Gesandten in Belgrad tot zusammenbrach. Schon dieser tragische Abschluß der Laufbahn Hartwigs läßt darauf schließen, welch ein Fülle dramatischen Stoffes sich im Verlauf der letzten Jahre in und um Belgrad angehäuft haben mag und wenn nur die Namen einiger beteiligter Personen genannt werden, so sind damit ganze Szenen des Dramas gezeichnet. Die wirtschaftlichen Erfolge der Serben im Zusammenhang mit den russischen Versprechungen, ließen ihre Führer sich sehr schnell zu dem Gedanken bekehren, daß das serbische Volk auch stark genug sei, unabhängig von Österreich zu werden, daß aber ein serbischer Staat nur lebensfähig werden könnte durch Erlangung einer Verbindung mit dem offenen Meere. Es erstarkte die gro߬ serbische Propaganda, die das Adriatische Meer zu erreichen strebte. Der Weg zum Adriatischen Meer führte damals noch durch Bosnien und die Herzegowina nördlich an Montenegro vou'iber und durch den Sandschak, südlich um Mon¬ tenegro. Österreich-Ungarn begegnete diesem Streben, indem es die von ihm bereits in Verwaltung genommenen Provinzen Bosnien und Herzegowina 1908 kurzerhand annektierte, den Sandschak aber räumte, wodurch das Drängen Serbiens anscheinend geographisch gegen Albanien, politisch auf die Türkei abge¬ bogen werden sollte. Wie die weitere Entwickelung der serbischen Frage lehrte, war das keine glückliche Entscheidung. Als Rußland dagegen ausbegehrte, gab es in diesem Zusammenhange die erste diplomatische Schlappe für die Petersburger Diplomatie: Deutschland stellte sich wie bekannt „in schimmernder Wehr" hinter Österreich. Da es auf diesem Wege nicht ging, suchte Hartwig die Serben auf andere Weise an das Meer zu bringen. Hartwig schuf den Balkanbund, dessen Aufgabe es sein sollte, die Türkei zu zertrümmern und die Großmächte vor eine fertige Tatsache zu stellen, wobei Nußland Konstantinopel zufallen würde, das die Bul¬ garen erobern sollten. Es kam zum ersten Kriege gegen die Türkei. Diese wurde in ihrem europäischen Besitzstände arg geschwächt. Die Serben besetzten Durazzo und wollten Nordalbanien annektieren. Der Plan scheiterte am Wider¬ spruch Italiens und Österreich-Ungarns; die von Rumänien aus familiären Gründen warm geförderte Idee eines selbständigen Albaniens tauchte auf und wurde bis zum Beginn dieses Jahres mit freilich unzulänglichen Mitteln durch- geführt. Nun verlor Nußland zeitweilig das Steuer. Der zweite Balkankrieg 22«

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/327
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/327>, abgerufen am 22.12.2024.