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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die russische Armee als Gegner

wie sie die Welt bis dahin nicht gekannt, jetzt durch vierundvierzig Friedens¬
jahre unermüdlich alljährlich geleistet wurde, hat in Rußland vor dem
Wassergange mit Japan nicht stattgefunden. Die üblen Folgen sind nicht aus¬
geblieben.


4. Im Mandschurischen Kriege

Hatte Rußland in allen Kriegen, die es führte, mit dem Hindernis gewaltiger
räumlicher Ausdehnungen zu kämpfen, so fiel das 1904 und 1905 in der ent¬
legenen Mandschurei besonders schwer ins Gewicht. Eine einzige eingleisige
Bahn von 6000 Kilometer Länge, die noch dazu erst nach erfolgten: Ausbruch
des Krieges ganz fertiggestellt wurde, bildete die einzige Verbindung zwischen
der Heimat und dem fernen ostasiatischen Kriegsschauplatz. Dazu waren die
Vorbereitungen für den Krieg keineswegs vollendet. Es bedürfte längerer Zeit,
bis eine schlagfähige Armee in der südlichen Mandschurei bereitgestellt werden
konnte. Indessen auch die Japaner hatten mit Schwierigkeiten zu kämpfen,
wie es sich ohne weiteres daraus ergibt, daß es sich für sie um einen Krieg
über See handelte. Der durch Geländeschwierigkeiten bedingte langsame Vor¬
marsch der japanischen Ersten Armee durch Korea und die durch die Eis¬
verhältnisse verursachte späte Ausschiffung der japanischen Zweiten Armee ließen
es dahin kommen, daß die Russen Ende April über hinreichende Kräfte ver¬
fügten, um sowohl dem weiteren Vordringen des Gegners von Korea über den
mandschurischen Grenzfluß Aalu als den weiteren japanischen Landungen ernste
Schwierigkeiten zu bereiten. Solches geschah indessen nicht. Der russische Ober"
kommandierende, General Kuropatkin, -- und er stand mit dieser Ansicht im
Heere nicht allein -- hieß vielmehr den Eintritt der Japaner in die Mandschurei
willkommen. Man könne, meinte er, ihnen "goldene Brücken" bauen, wenn
nur keiner von ihnen in die Heimat zurückkehre.

Die "goldenen Brücken" sollten sich leider als Hekatomben russischer Soldaten,
und dazu vergeblich gebrachte, erweisen. Deren erste bildete der Kampf am
Aalu. Dort wurde die 18000 Mann starke russische Ostabteilung von der
45000 Mann zählenden japanischen Ersten Armee überrannt. Nachdem Port
Arthur sich selbst überlassen worden war, bestand der Statthalter im "Fernen
Osten", Admiral Alexejew, auf einem Entsatzversuch. Es führte das zum
Vorschieben des Korps Stackelberg nach Wafangou, das dort am 15. Juni 1904
gleichstarken Kräften unterlag. Diese beiden ersten Niederlagen find nur zum
Teil den russischen Korpsführern zur Last zu legen; der Oberkommandierende
ist nicht von der Schuld freizusprechen, sie durch die Unklarheit seiner Weisungen
mitverschuldet zu haben. So machte er es dem General Sassulitsch einerseits
zur Pflicht, die Linie des Aalu zu halten, anderseits aber, sich in keinen ungleichen
Kampf einzulassen. Stackelbergs Vormarsch nach Süden aber bildete überhaupt
ein Kompromiß zwischen den Ansichten des Armeeführers und des ihm über¬
geordneten Statthalters; in dieser Halbheit lag bereits der Keim des Mißlingens.


Die russische Armee als Gegner

wie sie die Welt bis dahin nicht gekannt, jetzt durch vierundvierzig Friedens¬
jahre unermüdlich alljährlich geleistet wurde, hat in Rußland vor dem
Wassergange mit Japan nicht stattgefunden. Die üblen Folgen sind nicht aus¬
geblieben.


4. Im Mandschurischen Kriege

Hatte Rußland in allen Kriegen, die es führte, mit dem Hindernis gewaltiger
räumlicher Ausdehnungen zu kämpfen, so fiel das 1904 und 1905 in der ent¬
legenen Mandschurei besonders schwer ins Gewicht. Eine einzige eingleisige
Bahn von 6000 Kilometer Länge, die noch dazu erst nach erfolgten: Ausbruch
des Krieges ganz fertiggestellt wurde, bildete die einzige Verbindung zwischen
der Heimat und dem fernen ostasiatischen Kriegsschauplatz. Dazu waren die
Vorbereitungen für den Krieg keineswegs vollendet. Es bedürfte längerer Zeit,
bis eine schlagfähige Armee in der südlichen Mandschurei bereitgestellt werden
konnte. Indessen auch die Japaner hatten mit Schwierigkeiten zu kämpfen,
wie es sich ohne weiteres daraus ergibt, daß es sich für sie um einen Krieg
über See handelte. Der durch Geländeschwierigkeiten bedingte langsame Vor¬
marsch der japanischen Ersten Armee durch Korea und die durch die Eis¬
verhältnisse verursachte späte Ausschiffung der japanischen Zweiten Armee ließen
es dahin kommen, daß die Russen Ende April über hinreichende Kräfte ver¬
fügten, um sowohl dem weiteren Vordringen des Gegners von Korea über den
mandschurischen Grenzfluß Aalu als den weiteren japanischen Landungen ernste
Schwierigkeiten zu bereiten. Solches geschah indessen nicht. Der russische Ober«
kommandierende, General Kuropatkin, — und er stand mit dieser Ansicht im
Heere nicht allein — hieß vielmehr den Eintritt der Japaner in die Mandschurei
willkommen. Man könne, meinte er, ihnen „goldene Brücken" bauen, wenn
nur keiner von ihnen in die Heimat zurückkehre.

Die „goldenen Brücken" sollten sich leider als Hekatomben russischer Soldaten,
und dazu vergeblich gebrachte, erweisen. Deren erste bildete der Kampf am
Aalu. Dort wurde die 18000 Mann starke russische Ostabteilung von der
45000 Mann zählenden japanischen Ersten Armee überrannt. Nachdem Port
Arthur sich selbst überlassen worden war, bestand der Statthalter im „Fernen
Osten", Admiral Alexejew, auf einem Entsatzversuch. Es führte das zum
Vorschieben des Korps Stackelberg nach Wafangou, das dort am 15. Juni 1904
gleichstarken Kräften unterlag. Diese beiden ersten Niederlagen find nur zum
Teil den russischen Korpsführern zur Last zu legen; der Oberkommandierende
ist nicht von der Schuld freizusprechen, sie durch die Unklarheit seiner Weisungen
mitverschuldet zu haben. So machte er es dem General Sassulitsch einerseits
zur Pflicht, die Linie des Aalu zu halten, anderseits aber, sich in keinen ungleichen
Kampf einzulassen. Stackelbergs Vormarsch nach Süden aber bildete überhaupt
ein Kompromiß zwischen den Ansichten des Armeeführers und des ihm über¬
geordneten Statthalters; in dieser Halbheit lag bereits der Keim des Mißlingens.


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[0290] Die russische Armee als Gegner wie sie die Welt bis dahin nicht gekannt, jetzt durch vierundvierzig Friedens¬ jahre unermüdlich alljährlich geleistet wurde, hat in Rußland vor dem Wassergange mit Japan nicht stattgefunden. Die üblen Folgen sind nicht aus¬ geblieben. 4. Im Mandschurischen Kriege Hatte Rußland in allen Kriegen, die es führte, mit dem Hindernis gewaltiger räumlicher Ausdehnungen zu kämpfen, so fiel das 1904 und 1905 in der ent¬ legenen Mandschurei besonders schwer ins Gewicht. Eine einzige eingleisige Bahn von 6000 Kilometer Länge, die noch dazu erst nach erfolgten: Ausbruch des Krieges ganz fertiggestellt wurde, bildete die einzige Verbindung zwischen der Heimat und dem fernen ostasiatischen Kriegsschauplatz. Dazu waren die Vorbereitungen für den Krieg keineswegs vollendet. Es bedürfte längerer Zeit, bis eine schlagfähige Armee in der südlichen Mandschurei bereitgestellt werden konnte. Indessen auch die Japaner hatten mit Schwierigkeiten zu kämpfen, wie es sich ohne weiteres daraus ergibt, daß es sich für sie um einen Krieg über See handelte. Der durch Geländeschwierigkeiten bedingte langsame Vor¬ marsch der japanischen Ersten Armee durch Korea und die durch die Eis¬ verhältnisse verursachte späte Ausschiffung der japanischen Zweiten Armee ließen es dahin kommen, daß die Russen Ende April über hinreichende Kräfte ver¬ fügten, um sowohl dem weiteren Vordringen des Gegners von Korea über den mandschurischen Grenzfluß Aalu als den weiteren japanischen Landungen ernste Schwierigkeiten zu bereiten. Solches geschah indessen nicht. Der russische Ober« kommandierende, General Kuropatkin, — und er stand mit dieser Ansicht im Heere nicht allein — hieß vielmehr den Eintritt der Japaner in die Mandschurei willkommen. Man könne, meinte er, ihnen „goldene Brücken" bauen, wenn nur keiner von ihnen in die Heimat zurückkehre. Die „goldenen Brücken" sollten sich leider als Hekatomben russischer Soldaten, und dazu vergeblich gebrachte, erweisen. Deren erste bildete der Kampf am Aalu. Dort wurde die 18000 Mann starke russische Ostabteilung von der 45000 Mann zählenden japanischen Ersten Armee überrannt. Nachdem Port Arthur sich selbst überlassen worden war, bestand der Statthalter im „Fernen Osten", Admiral Alexejew, auf einem Entsatzversuch. Es führte das zum Vorschieben des Korps Stackelberg nach Wafangou, das dort am 15. Juni 1904 gleichstarken Kräften unterlag. Diese beiden ersten Niederlagen find nur zum Teil den russischen Korpsführern zur Last zu legen; der Oberkommandierende ist nicht von der Schuld freizusprechen, sie durch die Unklarheit seiner Weisungen mitverschuldet zu haben. So machte er es dem General Sassulitsch einerseits zur Pflicht, die Linie des Aalu zu halten, anderseits aber, sich in keinen ungleichen Kampf einzulassen. Stackelbergs Vormarsch nach Süden aber bildete überhaupt ein Kompromiß zwischen den Ansichten des Armeeführers und des ihm über¬ geordneten Statthalters; in dieser Halbheit lag bereits der Keim des Mißlingens.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/290>, abgerufen am 01.09.2024.