Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris

schaften mehr als bisher den Reiseverkehr hinzuführen. Die Lociötö pour la
protection cZes p^ysaZes su Trance hat vom Parlament ein Gesetz erwirkt,
durch das der künstlerische Charakter berühmter Stätten und Denkmäler geschützt
und der Verunstaltung der Landschaft durch den Neklameunfug entgegengetreten
werden soll. Und wie eine moderne Landschaft sich allmählich zu einem ein¬
heitlichen Organismus heranbildet, kann man sehr gut am französischen Osten
beobachten. Französisch-Lothringen, das Westfalen Frankreichs, hat in der letzten
Zeit einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwung genommen. Dieser dem
Deutschen Reiche und zwar dem industriellen Teil Deutschlands am nächsten
gelegene Bezirk muß sich kräftig wehren, wenn seine Industrie nicht von der
deutschen Konkurrenz erdrückt werden soll. Eine nähere Untersuchung würde
vielleicht ergeben, daß die rasche Entwicklung nicht ohne die Mitwirkung aus¬
ländischer Kräfte zustande gekommen ist. Lothringen beherbergt -- ähnlich wie
die Gegend um Bilbao in Spanien -- alle möglichen Nationalitäten. So zählt
man allein im Arrondissement Briey (Departement Meurthe et Moselle) unter
neunundachtzigtausenddreihundert Einwohnern einundvierzigtausend Ausländer,
darunter dreißigtausend italienische Grubenarbeiter, zehntausend Belgier, sechs¬
tausend Deutsche und Deutschösterreicher. Es sollen ja auch französische Agenten
in den preußischen Staatsgruben tätig sein, um deutsche Arbeiter gegen be¬
stimmte Versicherungen nach dieser Gegend herüberzulocken. Trotzdem kann nicht
geleugnet werden, daß der ungeheure Fortschritt in der Salz-, Stahl- und Eisen¬
industrie Lothringens in der Hauptsache dem bewußten Zusammenarbeiten der
heimischen Banken, der lothringischen Kapitalisten und der lokalen Unternehmungen
zuzuschreiben ist. Diese Banken -- übrigens die bedeutendsten nächst den Pariser
-- haben dank ihrer genauen Kenntnis des Landes bedeutendere und liberalere
Vorschüsse gewähren können, als die Filialen der großen Pariser Häuser. Tat¬
sache ist, daß die drei lothringischen Departements sich als eine Einheit betrachten
und sich in der Universität Nancy einen geistigen Mittelpunkt geschaffen haben-
Hier erscheinen jährlich einige Abhandlungen über lothringische Industrie und
Landwirtschaft, 1908 fand ebenfalls in Nancy eine Provinzialausstellung statt.
Hier an der östlichen Grenze, in dem Lande, das am meisten unter dem Kriege
zu leiden hatte, wo man deutschem Wesen am meisten abgeneigt ist, ist die Idee
des Regionalismus Gestalt geworden und fast in einen Kultus ausgeartet.
Sein Priester, sein begeisterter Prophet ist Maurice Barros.


III.

Im Grunde entsprang die Knebelung der Provinz durch die Revolutions"
männer und entspringt heute noch das Mißtrauen gegen selbständige Regungen
der Nicht-Pariser dem fast fanatischen Glauben der Franzosen an den all¬
mächtigen Staat. Er erscheint dem Franzosen nicht als eine Vielheit von Per¬
sönlichkeiten, sondern als eine Abstraktion, eine Idee. Die Entwicklung einer
so komplizierten Idee, wie der Staat ist, erfordert logische Klarheit. Daher


Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris

schaften mehr als bisher den Reiseverkehr hinzuführen. Die Lociötö pour la
protection cZes p^ysaZes su Trance hat vom Parlament ein Gesetz erwirkt,
durch das der künstlerische Charakter berühmter Stätten und Denkmäler geschützt
und der Verunstaltung der Landschaft durch den Neklameunfug entgegengetreten
werden soll. Und wie eine moderne Landschaft sich allmählich zu einem ein¬
heitlichen Organismus heranbildet, kann man sehr gut am französischen Osten
beobachten. Französisch-Lothringen, das Westfalen Frankreichs, hat in der letzten
Zeit einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwung genommen. Dieser dem
Deutschen Reiche und zwar dem industriellen Teil Deutschlands am nächsten
gelegene Bezirk muß sich kräftig wehren, wenn seine Industrie nicht von der
deutschen Konkurrenz erdrückt werden soll. Eine nähere Untersuchung würde
vielleicht ergeben, daß die rasche Entwicklung nicht ohne die Mitwirkung aus¬
ländischer Kräfte zustande gekommen ist. Lothringen beherbergt — ähnlich wie
die Gegend um Bilbao in Spanien — alle möglichen Nationalitäten. So zählt
man allein im Arrondissement Briey (Departement Meurthe et Moselle) unter
neunundachtzigtausenddreihundert Einwohnern einundvierzigtausend Ausländer,
darunter dreißigtausend italienische Grubenarbeiter, zehntausend Belgier, sechs¬
tausend Deutsche und Deutschösterreicher. Es sollen ja auch französische Agenten
in den preußischen Staatsgruben tätig sein, um deutsche Arbeiter gegen be¬
stimmte Versicherungen nach dieser Gegend herüberzulocken. Trotzdem kann nicht
geleugnet werden, daß der ungeheure Fortschritt in der Salz-, Stahl- und Eisen¬
industrie Lothringens in der Hauptsache dem bewußten Zusammenarbeiten der
heimischen Banken, der lothringischen Kapitalisten und der lokalen Unternehmungen
zuzuschreiben ist. Diese Banken — übrigens die bedeutendsten nächst den Pariser
— haben dank ihrer genauen Kenntnis des Landes bedeutendere und liberalere
Vorschüsse gewähren können, als die Filialen der großen Pariser Häuser. Tat¬
sache ist, daß die drei lothringischen Departements sich als eine Einheit betrachten
und sich in der Universität Nancy einen geistigen Mittelpunkt geschaffen haben-
Hier erscheinen jährlich einige Abhandlungen über lothringische Industrie und
Landwirtschaft, 1908 fand ebenfalls in Nancy eine Provinzialausstellung statt.
Hier an der östlichen Grenze, in dem Lande, das am meisten unter dem Kriege
zu leiden hatte, wo man deutschem Wesen am meisten abgeneigt ist, ist die Idee
des Regionalismus Gestalt geworden und fast in einen Kultus ausgeartet.
Sein Priester, sein begeisterter Prophet ist Maurice Barros.


III.

Im Grunde entsprang die Knebelung der Provinz durch die Revolutions»
männer und entspringt heute noch das Mißtrauen gegen selbständige Regungen
der Nicht-Pariser dem fast fanatischen Glauben der Franzosen an den all¬
mächtigen Staat. Er erscheint dem Franzosen nicht als eine Vielheit von Per¬
sönlichkeiten, sondern als eine Abstraktion, eine Idee. Die Entwicklung einer
so komplizierten Idee, wie der Staat ist, erfordert logische Klarheit. Daher


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328758"/>
            <fw type="header" place="top"> Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_32" prev="#ID_31"> schaften mehr als bisher den Reiseverkehr hinzuführen. Die Lociötö pour la<lb/>
protection cZes p^ysaZes su Trance hat vom Parlament ein Gesetz erwirkt,<lb/>
durch das der künstlerische Charakter berühmter Stätten und Denkmäler geschützt<lb/>
und der Verunstaltung der Landschaft durch den Neklameunfug entgegengetreten<lb/>
werden soll. Und wie eine moderne Landschaft sich allmählich zu einem ein¬<lb/>
heitlichen Organismus heranbildet, kann man sehr gut am französischen Osten<lb/>
beobachten. Französisch-Lothringen, das Westfalen Frankreichs, hat in der letzten<lb/>
Zeit einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwung genommen. Dieser dem<lb/>
Deutschen Reiche und zwar dem industriellen Teil Deutschlands am nächsten<lb/>
gelegene Bezirk muß sich kräftig wehren, wenn seine Industrie nicht von der<lb/>
deutschen Konkurrenz erdrückt werden soll. Eine nähere Untersuchung würde<lb/>
vielleicht ergeben, daß die rasche Entwicklung nicht ohne die Mitwirkung aus¬<lb/>
ländischer Kräfte zustande gekommen ist. Lothringen beherbergt &#x2014; ähnlich wie<lb/>
die Gegend um Bilbao in Spanien &#x2014; alle möglichen Nationalitäten. So zählt<lb/>
man allein im Arrondissement Briey (Departement Meurthe et Moselle) unter<lb/>
neunundachtzigtausenddreihundert Einwohnern einundvierzigtausend Ausländer,<lb/>
darunter dreißigtausend italienische Grubenarbeiter, zehntausend Belgier, sechs¬<lb/>
tausend Deutsche und Deutschösterreicher. Es sollen ja auch französische Agenten<lb/>
in den preußischen Staatsgruben tätig sein, um deutsche Arbeiter gegen be¬<lb/>
stimmte Versicherungen nach dieser Gegend herüberzulocken. Trotzdem kann nicht<lb/>
geleugnet werden, daß der ungeheure Fortschritt in der Salz-, Stahl- und Eisen¬<lb/>
industrie Lothringens in der Hauptsache dem bewußten Zusammenarbeiten der<lb/>
heimischen Banken, der lothringischen Kapitalisten und der lokalen Unternehmungen<lb/>
zuzuschreiben ist. Diese Banken &#x2014; übrigens die bedeutendsten nächst den Pariser<lb/>
&#x2014; haben dank ihrer genauen Kenntnis des Landes bedeutendere und liberalere<lb/>
Vorschüsse gewähren können, als die Filialen der großen Pariser Häuser. Tat¬<lb/>
sache ist, daß die drei lothringischen Departements sich als eine Einheit betrachten<lb/>
und sich in der Universität Nancy einen geistigen Mittelpunkt geschaffen haben-<lb/>
Hier erscheinen jährlich einige Abhandlungen über lothringische Industrie und<lb/>
Landwirtschaft, 1908 fand ebenfalls in Nancy eine Provinzialausstellung statt.<lb/>
Hier an der östlichen Grenze, in dem Lande, das am meisten unter dem Kriege<lb/>
zu leiden hatte, wo man deutschem Wesen am meisten abgeneigt ist, ist die Idee<lb/>
des Regionalismus Gestalt geworden und fast in einen Kultus ausgeartet.<lb/>
Sein Priester, sein begeisterter Prophet ist Maurice Barros.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> III.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_33" next="#ID_34"> Im Grunde entsprang die Knebelung der Provinz durch die Revolutions»<lb/>
männer und entspringt heute noch das Mißtrauen gegen selbständige Regungen<lb/>
der Nicht-Pariser dem fast fanatischen Glauben der Franzosen an den all¬<lb/>
mächtigen Staat. Er erscheint dem Franzosen nicht als eine Vielheit von Per¬<lb/>
sönlichkeiten, sondern als eine Abstraktion, eine Idee. Die Entwicklung einer<lb/>
so komplizierten Idee, wie der Staat ist, erfordert logische Klarheit. Daher</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0024] Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris schaften mehr als bisher den Reiseverkehr hinzuführen. Die Lociötö pour la protection cZes p^ysaZes su Trance hat vom Parlament ein Gesetz erwirkt, durch das der künstlerische Charakter berühmter Stätten und Denkmäler geschützt und der Verunstaltung der Landschaft durch den Neklameunfug entgegengetreten werden soll. Und wie eine moderne Landschaft sich allmählich zu einem ein¬ heitlichen Organismus heranbildet, kann man sehr gut am französischen Osten beobachten. Französisch-Lothringen, das Westfalen Frankreichs, hat in der letzten Zeit einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwung genommen. Dieser dem Deutschen Reiche und zwar dem industriellen Teil Deutschlands am nächsten gelegene Bezirk muß sich kräftig wehren, wenn seine Industrie nicht von der deutschen Konkurrenz erdrückt werden soll. Eine nähere Untersuchung würde vielleicht ergeben, daß die rasche Entwicklung nicht ohne die Mitwirkung aus¬ ländischer Kräfte zustande gekommen ist. Lothringen beherbergt — ähnlich wie die Gegend um Bilbao in Spanien — alle möglichen Nationalitäten. So zählt man allein im Arrondissement Briey (Departement Meurthe et Moselle) unter neunundachtzigtausenddreihundert Einwohnern einundvierzigtausend Ausländer, darunter dreißigtausend italienische Grubenarbeiter, zehntausend Belgier, sechs¬ tausend Deutsche und Deutschösterreicher. Es sollen ja auch französische Agenten in den preußischen Staatsgruben tätig sein, um deutsche Arbeiter gegen be¬ stimmte Versicherungen nach dieser Gegend herüberzulocken. Trotzdem kann nicht geleugnet werden, daß der ungeheure Fortschritt in der Salz-, Stahl- und Eisen¬ industrie Lothringens in der Hauptsache dem bewußten Zusammenarbeiten der heimischen Banken, der lothringischen Kapitalisten und der lokalen Unternehmungen zuzuschreiben ist. Diese Banken — übrigens die bedeutendsten nächst den Pariser — haben dank ihrer genauen Kenntnis des Landes bedeutendere und liberalere Vorschüsse gewähren können, als die Filialen der großen Pariser Häuser. Tat¬ sache ist, daß die drei lothringischen Departements sich als eine Einheit betrachten und sich in der Universität Nancy einen geistigen Mittelpunkt geschaffen haben- Hier erscheinen jährlich einige Abhandlungen über lothringische Industrie und Landwirtschaft, 1908 fand ebenfalls in Nancy eine Provinzialausstellung statt. Hier an der östlichen Grenze, in dem Lande, das am meisten unter dem Kriege zu leiden hatte, wo man deutschem Wesen am meisten abgeneigt ist, ist die Idee des Regionalismus Gestalt geworden und fast in einen Kultus ausgeartet. Sein Priester, sein begeisterter Prophet ist Maurice Barros. III. Im Grunde entsprang die Knebelung der Provinz durch die Revolutions» männer und entspringt heute noch das Mißtrauen gegen selbständige Regungen der Nicht-Pariser dem fast fanatischen Glauben der Franzosen an den all¬ mächtigen Staat. Er erscheint dem Franzosen nicht als eine Vielheit von Per¬ sönlichkeiten, sondern als eine Abstraktion, eine Idee. Die Entwicklung einer so komplizierten Idee, wie der Staat ist, erfordert logische Klarheit. Daher

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/24
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/24>, abgerufen am 27.07.2024.