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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris

zu der die Staatsbehörde zwingen kann. In Frankreich ist die Stellung der
Kommunen und Verbände gleich derjenigen der mündig erklärten Minder¬
jährigen; die Anschauung, daß die Kommune weiter nichts ist als eine Ver-
wallungseinheil*), entspricht so sehr dem französischen Bedürfnis nach Ordnung
und Systematik, daß man in der Mißwirtschaft einer Stadt eine Gefahr sür
das ganze Land sieht; eine Gefahr, die nur durch strenge Bevormundung ab¬
gewendet werden kann.

Eine Gegenüberstellung der französischen und deutschen Rechtsgrundlagen
wird das Abhängigkeitsverhältnis der französischen Provinz gegenüber der Zentral¬
gewalt noch deutlicher zeigen. Die Vertretung der Negierung weist folgende
Abstufung auf: im Departement ist der Präfekt der Repräsentant aller Minister,
insbesondere des Ministers des Innern; er wird vom Staatsoberhaupt ernannt.
Ihm gegenüber stehen der aus drei bis vier Mitgliedern bestehende Präfekturrat,
dessen Gutachten der Präfekt in manchen Fällen einholen muß, ohne es not¬
wendig befolgen zu müssen, und der Generalrat, der aus direkter und geheimer
Wahl hervorgeht und jetzt eine ziemliche Selbständigkeit genießt. Seine Beschlüsse
haben Geltung vorbehaltlich der Genehmigung durch den Staat, und falls sie
nicht die Gesetze verletzen. Im Arrondissement ist der Unterpräfekt nur ein
unselbständiger Vertreter des Präfekten. Die örtliche Behörde ist der Arron-
dissementsrat, der Gutachten abgeben und Wünsche äußern kann und die direkten
Steuern auf die Gemeinden zu verteilen hat. Der Kanton ist nur Verwaltungs¬
bezirk und wählt keine Vertretung**). Die Handlungsfreiheit der Kommune
endlich ist in folgenden Punkten beschränkt: Landkauf und -danses, Bauten und
Reparaturen, Annahme von Stiftungen und Legaten, Aufstellung des städtischen
Budgets, Anleihen, Beiträge zu öffentlichen Lasten usw. Die Ausführung unter¬
liegt in jedem Falle der Genehmigung des Vormundes, d. h. des Präfekten.
Außerdem ist dem Magistrat als öffentlicher Körperschaft jede Proklamation und
Korrespondenz mit anderen städtischen Behörden verboten. An der Spitze der
Kommune steht der maire, der den doppelten Charakter als Regierungsbeamter
und Vertreter der Gemeinde in sich vereinigt.

Die Befugnisse des preußischen Kreistages gehen weit über die des fran¬
zösischen Generalrates hinaus; ihm liegt die Verwaltung des Kreisvermögens
ob, er beschließt über Veräußerungen und Anleihen. Das Veto des Landrath
gegen Beschlüsse, die "die Gesetze verletzen", hat nur eine aufschiebende Wirkung.
Die provinzielle Behörde wird also rechtlich als volljährig angesehen. Der
Staat will durch seine Vertreter nur darüber wachen, daß die Selbstverwaltung
innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen geübt wird, und daß Provinz, Kreis.
Bezirk und Kommune die ihnen zufallenden Aufgaben auch wirklich erfüllen,
während man in Frankreich in jeder selbständigen Eigenbestätigung staatsgefähr-




*) ööquet, Repertoire ein lZroit aciministretif, vol. V. v. 4Si: "Ls commune n'est
qu'une societe administrative." -- "l>s ruine ä'une commune est un mal public,"
Vgl. Marquardsens Handbuch, Seite 101.
Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris

zu der die Staatsbehörde zwingen kann. In Frankreich ist die Stellung der
Kommunen und Verbände gleich derjenigen der mündig erklärten Minder¬
jährigen; die Anschauung, daß die Kommune weiter nichts ist als eine Ver-
wallungseinheil*), entspricht so sehr dem französischen Bedürfnis nach Ordnung
und Systematik, daß man in der Mißwirtschaft einer Stadt eine Gefahr sür
das ganze Land sieht; eine Gefahr, die nur durch strenge Bevormundung ab¬
gewendet werden kann.

Eine Gegenüberstellung der französischen und deutschen Rechtsgrundlagen
wird das Abhängigkeitsverhältnis der französischen Provinz gegenüber der Zentral¬
gewalt noch deutlicher zeigen. Die Vertretung der Negierung weist folgende
Abstufung auf: im Departement ist der Präfekt der Repräsentant aller Minister,
insbesondere des Ministers des Innern; er wird vom Staatsoberhaupt ernannt.
Ihm gegenüber stehen der aus drei bis vier Mitgliedern bestehende Präfekturrat,
dessen Gutachten der Präfekt in manchen Fällen einholen muß, ohne es not¬
wendig befolgen zu müssen, und der Generalrat, der aus direkter und geheimer
Wahl hervorgeht und jetzt eine ziemliche Selbständigkeit genießt. Seine Beschlüsse
haben Geltung vorbehaltlich der Genehmigung durch den Staat, und falls sie
nicht die Gesetze verletzen. Im Arrondissement ist der Unterpräfekt nur ein
unselbständiger Vertreter des Präfekten. Die örtliche Behörde ist der Arron-
dissementsrat, der Gutachten abgeben und Wünsche äußern kann und die direkten
Steuern auf die Gemeinden zu verteilen hat. Der Kanton ist nur Verwaltungs¬
bezirk und wählt keine Vertretung**). Die Handlungsfreiheit der Kommune
endlich ist in folgenden Punkten beschränkt: Landkauf und -danses, Bauten und
Reparaturen, Annahme von Stiftungen und Legaten, Aufstellung des städtischen
Budgets, Anleihen, Beiträge zu öffentlichen Lasten usw. Die Ausführung unter¬
liegt in jedem Falle der Genehmigung des Vormundes, d. h. des Präfekten.
Außerdem ist dem Magistrat als öffentlicher Körperschaft jede Proklamation und
Korrespondenz mit anderen städtischen Behörden verboten. An der Spitze der
Kommune steht der maire, der den doppelten Charakter als Regierungsbeamter
und Vertreter der Gemeinde in sich vereinigt.

Die Befugnisse des preußischen Kreistages gehen weit über die des fran¬
zösischen Generalrates hinaus; ihm liegt die Verwaltung des Kreisvermögens
ob, er beschließt über Veräußerungen und Anleihen. Das Veto des Landrath
gegen Beschlüsse, die „die Gesetze verletzen", hat nur eine aufschiebende Wirkung.
Die provinzielle Behörde wird also rechtlich als volljährig angesehen. Der
Staat will durch seine Vertreter nur darüber wachen, daß die Selbstverwaltung
innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen geübt wird, und daß Provinz, Kreis.
Bezirk und Kommune die ihnen zufallenden Aufgaben auch wirklich erfüllen,
während man in Frankreich in jeder selbständigen Eigenbestätigung staatsgefähr-




*) ööquet, Repertoire ein lZroit aciministretif, vol. V. v. 4Si: „Ls commune n'est
qu'une societe administrative." — „l>s ruine ä'une commune est un mal public,"
Vgl. Marquardsens Handbuch, Seite 101.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/19>, abgerufen am 01.09.2024.