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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Frankreichs Provinzen im Uampf gegen Paris

Volkssouveränität, war man durchaus geneigt, die Kommune der Rousseauschen
Konstruktion eines souveränen Gemeinwillens unterzuordnen. (In der Praxis
schob man diesem wesenlosen Gemeinwillen eine "Repräsentation" unter, aus
der in kurzem eine herrschsüchtige, die Vielköpfigkeit Frankreichs verwünschende
Oligarchie geboren wurde.) Und so sehen wir denn nach anfänglichen geringen
Zugeständnissen der Lonstituante -- das Gesetz vom 14. Dezember 1789 läßt
Bürgermeister und Rat durch direkte Wahl der Bürgerschaft hervorgehen -- den
Konvent zur strafferen Zentralisation zurückkehren. Ähnlich erging es den
größeren provinziellen Verbänden. Aulard hat zwar (in der Qrancls Kevue,
September 1912) nachgewiesen, daß die Lonstituants bei der Einteilung des
Landes in Departements die Wünsche und Interessen der einzelnen Landschaften
zu berücksichtigen suchte, also -- scheinbar -- dezentralistisch verfuhr; aber schon
die gewaltsame Vernichtung der alten Grenzen und Provinzen hatte eine an¬
gemaßte Macht zur Voraussetzung und bedeutete eine Knebelung der Provinz.
Die revolutionäre Staatstheorie hatte eben bei der Übertragung in die Wirk¬
lichkeit zur Tyrannis, zur Usurpation geführt. Als nun die föderalistische Be¬
wegung einsetzte, endete ihr Widerstand mit dem Siege der radikalen Berg¬
partei, die rücksichtslos verfuhr, weil sie für ihre Herrschaft fürchten mußte,
solange noch ein Funke von Selbständigkeit in der Provinz vorhanden war.
Deshalb suchte der Konvent die provinziellen Behörden noch enger an die
Zentralregierung in Paris anzuschließen. Dazu dienten auch besonders die
ÄZent8 nationaux, die der Konvent im Jahre 1793 in verfassungswidriger
Umgehung der Wahl durch die Bürger ernannt hatte. Sie unterstanden als
Exekutivbeamte der Zentralinstanz, um neben den revolutionären Ausschüssen
und jakobinischen Klubs die Herrschaft des Konvents in der Provinz zu unter¬
stützen.

Wie die staatstheoretischen Anschauungen heute noch in Frankreich ^uf die
Ideen der Revolution zurückgehen, so haben auch die Verwaltungsbehörden
ihren Ursprung in den Verfassungsgesetzen des Jahres 1793. Die a^entZ
nativnaux wurden in der napoleonischen Zeit durch die noch heute wirksamen
Pra'selten und Unterpräfekten ersetzt, und in ihnen lebten die Intendanten und
Subdelegierten des aneisn rsZime wieder auf, die Richelieu über die zahl¬
reichen Bezirksbehörden als Werkzeug der Zentralregierung eingesetzt hatte.
Das Prinzip, Vertreter der Zentralgewalt in hierarchischer Gliederung überall
den gewählten örtlichen Behörden gegenüberzustellen, blieb bis in die dritte
Republik hinein, trotz des Wechsels der Regierungen, unangetastet.

Es ist interessant zu beobachten, wie die konstitnelle Theorie anderwärts
zu ganz anderen praktischen Resultaten führte als in Frankreich, von wo aus
sie auf dem Festlande verbreitet wurde. In Preußen entsteht unter englischem
Vorbild die Selbstverwaltung*); das Recht auf Teilnahme an der Verwaltung,



*) Vgl. Hatschek, "Die Selbstverwaltung". Leipzig 1898. I, 5,
Frankreichs Provinzen im Uampf gegen Paris

Volkssouveränität, war man durchaus geneigt, die Kommune der Rousseauschen
Konstruktion eines souveränen Gemeinwillens unterzuordnen. (In der Praxis
schob man diesem wesenlosen Gemeinwillen eine „Repräsentation" unter, aus
der in kurzem eine herrschsüchtige, die Vielköpfigkeit Frankreichs verwünschende
Oligarchie geboren wurde.) Und so sehen wir denn nach anfänglichen geringen
Zugeständnissen der Lonstituante — das Gesetz vom 14. Dezember 1789 läßt
Bürgermeister und Rat durch direkte Wahl der Bürgerschaft hervorgehen — den
Konvent zur strafferen Zentralisation zurückkehren. Ähnlich erging es den
größeren provinziellen Verbänden. Aulard hat zwar (in der Qrancls Kevue,
September 1912) nachgewiesen, daß die Lonstituants bei der Einteilung des
Landes in Departements die Wünsche und Interessen der einzelnen Landschaften
zu berücksichtigen suchte, also — scheinbar — dezentralistisch verfuhr; aber schon
die gewaltsame Vernichtung der alten Grenzen und Provinzen hatte eine an¬
gemaßte Macht zur Voraussetzung und bedeutete eine Knebelung der Provinz.
Die revolutionäre Staatstheorie hatte eben bei der Übertragung in die Wirk¬
lichkeit zur Tyrannis, zur Usurpation geführt. Als nun die föderalistische Be¬
wegung einsetzte, endete ihr Widerstand mit dem Siege der radikalen Berg¬
partei, die rücksichtslos verfuhr, weil sie für ihre Herrschaft fürchten mußte,
solange noch ein Funke von Selbständigkeit in der Provinz vorhanden war.
Deshalb suchte der Konvent die provinziellen Behörden noch enger an die
Zentralregierung in Paris anzuschließen. Dazu dienten auch besonders die
ÄZent8 nationaux, die der Konvent im Jahre 1793 in verfassungswidriger
Umgehung der Wahl durch die Bürger ernannt hatte. Sie unterstanden als
Exekutivbeamte der Zentralinstanz, um neben den revolutionären Ausschüssen
und jakobinischen Klubs die Herrschaft des Konvents in der Provinz zu unter¬
stützen.

Wie die staatstheoretischen Anschauungen heute noch in Frankreich ^uf die
Ideen der Revolution zurückgehen, so haben auch die Verwaltungsbehörden
ihren Ursprung in den Verfassungsgesetzen des Jahres 1793. Die a^entZ
nativnaux wurden in der napoleonischen Zeit durch die noch heute wirksamen
Pra'selten und Unterpräfekten ersetzt, und in ihnen lebten die Intendanten und
Subdelegierten des aneisn rsZime wieder auf, die Richelieu über die zahl¬
reichen Bezirksbehörden als Werkzeug der Zentralregierung eingesetzt hatte.
Das Prinzip, Vertreter der Zentralgewalt in hierarchischer Gliederung überall
den gewählten örtlichen Behörden gegenüberzustellen, blieb bis in die dritte
Republik hinein, trotz des Wechsels der Regierungen, unangetastet.

Es ist interessant zu beobachten, wie die konstitnelle Theorie anderwärts
zu ganz anderen praktischen Resultaten führte als in Frankreich, von wo aus
sie auf dem Festlande verbreitet wurde. In Preußen entsteht unter englischem
Vorbild die Selbstverwaltung*); das Recht auf Teilnahme an der Verwaltung,



*) Vgl. Hatschek, „Die Selbstverwaltung". Leipzig 1898. I, 5,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/18>, abgerufen am 01.09.2024.