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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Herbert George Wells

die Verkündigung des "8vLmlism". "I^co Worlcls or viel" beginnt mit
einem poetischen Umblick in die irdische Heimat; der schweifende Geist hat sich
heimgefunden von seiner Fahrt zu fernen Sternen und in kaum geahnter Zukunft
dämmernden Äonen. Er rechnet entschiedener mit den Tatsachen des realen
Lebens, und wenn er auf ihnen das Luftgebäude eines Ideals aufrichtet, so
geschieht es aus dem tiefen Bedürfnis nach Glauben. Die Religionen scheinen
ihm zu erdenfremd, um solchem Bedürfnis genüge zu tun. Was er mit eigenen
Händen errichtet, trägt den Stempel seines Denkens, pulsiert mit dem Schlage
des Menschenherzens. Doch hören wir ihn selbst:

"Mit jedem Jahre stellt sich das Leben in zunehmendem Maße als ein
Schauspiel unerschöpflichen Interesses dar, voll von sich ewig entfaltender, sich
stets vertiefender Schönheit -- ein mächtiges Schlachtfeld für hohes Wagen und
immer strebendes Verlangen. Doch sind die höchsten Augenblicke dieses
wechselnden Aspekts am schwersten belastet mit der Forderung, sich zu mühen,
mit der anspornender Not unbefriedigten Mangels. Diese Schatten und
Schmerzen und Schwankungen verdunkeln jedoch keineswegs, wenigstens für
meine Augen, das kolossale Gemälde, vielmehr möchten sie seine Herrlichkeiten
in strahlenderes Licht rücken. Alle bösen und häßlichen Lebensphascn wirken
auf mich wie eine Herausforderung, als etwas, das nicht zu ignorieren, sondern
leidenschaftlich zu bekämpfen ist als gebieterischer Ruf, der alles wecken möchte,
was an Kraft und Mut in meinem Wesen lebendig ist.

Schön sind Welt und Leben -- doch nicht als bleibende Wohnstatt, sondern
als Arena. Ja, wahrlich eine Arena zwischen leuchtenden Vorhängen von Meer
und Himmel, zwischen Bergen und weiten Ebenen mit der zarten Pracht von
Blattwerk und Blütenkrone und Feder, mit weichem Pelz und dem glänzenden
Wunder der lebenden Haut geziert und tönend vom Donner und dem Liede der
Vögel. Aber eine Arena trotzalledem, in der müßige Zuschauer keinen Platz
finden, in der man wollen und handeln, sich entschließen, zuschlagen und ab¬
wehren muß -- um binnen kurzem die Schranken zu verlassen."

Ein Blick auf die Geschichte lehrt nun den Beschauer, daß diese Arena
"kein wirrer und zielloser Konflikt von Individuen" ist. Vielmehr macht sich
ein Etwas bemerkbar, das unaufhörlich an der Arbeit ist, eine Kausalitäts¬
ordnung herzustellen, aus Wirrsal zur harmonischen Schönheit zu führen. Diese
strebende und schaffende Kraft nennt Wells "(Zoocl Will". Den Hauptbeweis
für sein Wirken als mächtigsten Faktor menschlichen Fortschrittes findet der
Autor im Aufzeigen alles dessen, was im Erdenleben besser geworden ist; nur
eine einseitige Betrachtung der Lebensbedingungen früherer Zeitalter kann diese
Erkenntnis streitig machen.

Um dieser mächtigen und wohltätigen Kraft die schwersten Hindernisse aus
dem Wege zu räumen, wünscht Wells eine kommunistische Staatsordnung,
deren Einzelheiten, in dem Buche sehr eingehend dargelegt, hier in einem Satze
zusammengefaßt sein mögen: "Die Hauptaufgabe. der sozialen Staatswissenschaft


Herbert George Wells

die Verkündigung des „8vLmlism". „I^co Worlcls or viel" beginnt mit
einem poetischen Umblick in die irdische Heimat; der schweifende Geist hat sich
heimgefunden von seiner Fahrt zu fernen Sternen und in kaum geahnter Zukunft
dämmernden Äonen. Er rechnet entschiedener mit den Tatsachen des realen
Lebens, und wenn er auf ihnen das Luftgebäude eines Ideals aufrichtet, so
geschieht es aus dem tiefen Bedürfnis nach Glauben. Die Religionen scheinen
ihm zu erdenfremd, um solchem Bedürfnis genüge zu tun. Was er mit eigenen
Händen errichtet, trägt den Stempel seines Denkens, pulsiert mit dem Schlage
des Menschenherzens. Doch hören wir ihn selbst:

„Mit jedem Jahre stellt sich das Leben in zunehmendem Maße als ein
Schauspiel unerschöpflichen Interesses dar, voll von sich ewig entfaltender, sich
stets vertiefender Schönheit — ein mächtiges Schlachtfeld für hohes Wagen und
immer strebendes Verlangen. Doch sind die höchsten Augenblicke dieses
wechselnden Aspekts am schwersten belastet mit der Forderung, sich zu mühen,
mit der anspornender Not unbefriedigten Mangels. Diese Schatten und
Schmerzen und Schwankungen verdunkeln jedoch keineswegs, wenigstens für
meine Augen, das kolossale Gemälde, vielmehr möchten sie seine Herrlichkeiten
in strahlenderes Licht rücken. Alle bösen und häßlichen Lebensphascn wirken
auf mich wie eine Herausforderung, als etwas, das nicht zu ignorieren, sondern
leidenschaftlich zu bekämpfen ist als gebieterischer Ruf, der alles wecken möchte,
was an Kraft und Mut in meinem Wesen lebendig ist.

Schön sind Welt und Leben — doch nicht als bleibende Wohnstatt, sondern
als Arena. Ja, wahrlich eine Arena zwischen leuchtenden Vorhängen von Meer
und Himmel, zwischen Bergen und weiten Ebenen mit der zarten Pracht von
Blattwerk und Blütenkrone und Feder, mit weichem Pelz und dem glänzenden
Wunder der lebenden Haut geziert und tönend vom Donner und dem Liede der
Vögel. Aber eine Arena trotzalledem, in der müßige Zuschauer keinen Platz
finden, in der man wollen und handeln, sich entschließen, zuschlagen und ab¬
wehren muß — um binnen kurzem die Schranken zu verlassen."

Ein Blick auf die Geschichte lehrt nun den Beschauer, daß diese Arena
„kein wirrer und zielloser Konflikt von Individuen" ist. Vielmehr macht sich
ein Etwas bemerkbar, das unaufhörlich an der Arbeit ist, eine Kausalitäts¬
ordnung herzustellen, aus Wirrsal zur harmonischen Schönheit zu führen. Diese
strebende und schaffende Kraft nennt Wells „(Zoocl Will". Den Hauptbeweis
für sein Wirken als mächtigsten Faktor menschlichen Fortschrittes findet der
Autor im Aufzeigen alles dessen, was im Erdenleben besser geworden ist; nur
eine einseitige Betrachtung der Lebensbedingungen früherer Zeitalter kann diese
Erkenntnis streitig machen.

Um dieser mächtigen und wohltätigen Kraft die schwersten Hindernisse aus
dem Wege zu räumen, wünscht Wells eine kommunistische Staatsordnung,
deren Einzelheiten, in dem Buche sehr eingehend dargelegt, hier in einem Satze
zusammengefaßt sein mögen: „Die Hauptaufgabe. der sozialen Staatswissenschaft


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[0187] Herbert George Wells die Verkündigung des „8vLmlism". „I^co Worlcls or viel" beginnt mit einem poetischen Umblick in die irdische Heimat; der schweifende Geist hat sich heimgefunden von seiner Fahrt zu fernen Sternen und in kaum geahnter Zukunft dämmernden Äonen. Er rechnet entschiedener mit den Tatsachen des realen Lebens, und wenn er auf ihnen das Luftgebäude eines Ideals aufrichtet, so geschieht es aus dem tiefen Bedürfnis nach Glauben. Die Religionen scheinen ihm zu erdenfremd, um solchem Bedürfnis genüge zu tun. Was er mit eigenen Händen errichtet, trägt den Stempel seines Denkens, pulsiert mit dem Schlage des Menschenherzens. Doch hören wir ihn selbst: „Mit jedem Jahre stellt sich das Leben in zunehmendem Maße als ein Schauspiel unerschöpflichen Interesses dar, voll von sich ewig entfaltender, sich stets vertiefender Schönheit — ein mächtiges Schlachtfeld für hohes Wagen und immer strebendes Verlangen. Doch sind die höchsten Augenblicke dieses wechselnden Aspekts am schwersten belastet mit der Forderung, sich zu mühen, mit der anspornender Not unbefriedigten Mangels. Diese Schatten und Schmerzen und Schwankungen verdunkeln jedoch keineswegs, wenigstens für meine Augen, das kolossale Gemälde, vielmehr möchten sie seine Herrlichkeiten in strahlenderes Licht rücken. Alle bösen und häßlichen Lebensphascn wirken auf mich wie eine Herausforderung, als etwas, das nicht zu ignorieren, sondern leidenschaftlich zu bekämpfen ist als gebieterischer Ruf, der alles wecken möchte, was an Kraft und Mut in meinem Wesen lebendig ist. Schön sind Welt und Leben — doch nicht als bleibende Wohnstatt, sondern als Arena. Ja, wahrlich eine Arena zwischen leuchtenden Vorhängen von Meer und Himmel, zwischen Bergen und weiten Ebenen mit der zarten Pracht von Blattwerk und Blütenkrone und Feder, mit weichem Pelz und dem glänzenden Wunder der lebenden Haut geziert und tönend vom Donner und dem Liede der Vögel. Aber eine Arena trotzalledem, in der müßige Zuschauer keinen Platz finden, in der man wollen und handeln, sich entschließen, zuschlagen und ab¬ wehren muß — um binnen kurzem die Schranken zu verlassen." Ein Blick auf die Geschichte lehrt nun den Beschauer, daß diese Arena „kein wirrer und zielloser Konflikt von Individuen" ist. Vielmehr macht sich ein Etwas bemerkbar, das unaufhörlich an der Arbeit ist, eine Kausalitäts¬ ordnung herzustellen, aus Wirrsal zur harmonischen Schönheit zu führen. Diese strebende und schaffende Kraft nennt Wells „(Zoocl Will". Den Hauptbeweis für sein Wirken als mächtigsten Faktor menschlichen Fortschrittes findet der Autor im Aufzeigen alles dessen, was im Erdenleben besser geworden ist; nur eine einseitige Betrachtung der Lebensbedingungen früherer Zeitalter kann diese Erkenntnis streitig machen. Um dieser mächtigen und wohltätigen Kraft die schwersten Hindernisse aus dem Wege zu räumen, wünscht Wells eine kommunistische Staatsordnung, deren Einzelheiten, in dem Buche sehr eingehend dargelegt, hier in einem Satze zusammengefaßt sein mögen: „Die Hauptaufgabe. der sozialen Staatswissenschaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/187>, abgerufen am 01.09.2024.