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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Habsburgs Sorgen

spruchsvoll das Gleichgewicht der Monarchie stören, durch andere Nationalitäten
bedrängen und im Zaume halten zu lassen. Wenn man sich der letzters auf¬
getretenen Verstimmungen der Ungarn gegen den Thronfolger erinnert und nun
hört, von seiner Umgebung her habe die rumänische Jrredenta Förderung gegen
Ungarn gefunden und nun werde wohl die Agitation unter den ungarischen
Rumänen aufhören (Kölnische Zeitung Ur. 759), so könnte man in der Tat
folgern, so wie angedeutet und nicht anders sei das Regierungsprogramm auch
des ermordeten Thronfolgers gewesen.

So schmerzlich solche Feststellung für unsere Stammesbrüder in Österreich.
Ungarn sein mag, liegt in der Folgerichtigkeit der Habsburgischen Politik doch
die Gewähr für eine, wenn nicht gerade glänzende, so doch verhältnismäßig
stabile Entwicklung der Habsburgischen Monarchie auch in Zukunft. Keine der
österreichischen Nationalitäten liegt so abgesondert von der anderen, daß sie sich
heute mit einiger Aussicht auf politische oder nationale Zukunft selbständig
machen könnte. Keine der größeren Nationalitäten, vielleicht mit alleiniger Aus¬
nahme der Serben, hat ernstlich Neigung sich einem der in Frage kommenden
Nachbarstaaten, Rußland und Deutschland, anzugliedern. Im übrigen werden
die Polen von den Ruthenen bedroht und bedrohen selbst Tschechen und Deutsche;
die Ungarn haben starke Rivalen in den Rumänen, Schwaben und Kroaten
und die letzteren wieder sind durch Zugehörigkeit zu verschiedenen Glaubens¬
bekenntnissen (orthodox und römisch-katholisch) tief gespalten, während am
deutschen Besitzstande alle Völkerschaften der Krone Habsburg und die Ver¬
schiedenheit des Glaubensbekenntnisses nagen. So leben alle Nationalitäten
unter der Krone Habsburg, weniger aus eigener Kraft, als von der Schwäche
der andern, und so nur erklärt sich die Tatsache, daß inmitten der großen
Nationalstaaten dieser Nationalitätenstaat lebensfähig bleibt durch -- die Dynastie.
Ja, die Dynastie trügt den Staat!

Vom rein politischen Standpunkt aus betrachtet und unter Vernachlässigung
der deutsch-nationalen Momente braucht daher die Lage in Österreich-Ungarn,
wie sie sich nach dem Ausscheiden des Erzherzogs Franz Ferdinand als
politischer Faktor darstellt, nicht viel anders beurteilt zu werden, wie bisher.
Die hervorragende Tätigkeit, die der Ermordete im Interesse einer tüchtigen
Armee und des Ausbaues der Flotte entwickelt hat, wird freilich zu¬
nächst nicht von seinem jungen Nachfolger ausgeübt werden können.
Dafür hat die österreichisch-ungarische Armee eine genügend große Anzahl her¬
vorragender Offiziere, um das unter Franz Ferdinand begonnene Wer! der


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Habsburgs Sorgen

spruchsvoll das Gleichgewicht der Monarchie stören, durch andere Nationalitäten
bedrängen und im Zaume halten zu lassen. Wenn man sich der letzters auf¬
getretenen Verstimmungen der Ungarn gegen den Thronfolger erinnert und nun
hört, von seiner Umgebung her habe die rumänische Jrredenta Förderung gegen
Ungarn gefunden und nun werde wohl die Agitation unter den ungarischen
Rumänen aufhören (Kölnische Zeitung Ur. 759), so könnte man in der Tat
folgern, so wie angedeutet und nicht anders sei das Regierungsprogramm auch
des ermordeten Thronfolgers gewesen.

So schmerzlich solche Feststellung für unsere Stammesbrüder in Österreich.
Ungarn sein mag, liegt in der Folgerichtigkeit der Habsburgischen Politik doch
die Gewähr für eine, wenn nicht gerade glänzende, so doch verhältnismäßig
stabile Entwicklung der Habsburgischen Monarchie auch in Zukunft. Keine der
österreichischen Nationalitäten liegt so abgesondert von der anderen, daß sie sich
heute mit einiger Aussicht auf politische oder nationale Zukunft selbständig
machen könnte. Keine der größeren Nationalitäten, vielleicht mit alleiniger Aus¬
nahme der Serben, hat ernstlich Neigung sich einem der in Frage kommenden
Nachbarstaaten, Rußland und Deutschland, anzugliedern. Im übrigen werden
die Polen von den Ruthenen bedroht und bedrohen selbst Tschechen und Deutsche;
die Ungarn haben starke Rivalen in den Rumänen, Schwaben und Kroaten
und die letzteren wieder sind durch Zugehörigkeit zu verschiedenen Glaubens¬
bekenntnissen (orthodox und römisch-katholisch) tief gespalten, während am
deutschen Besitzstande alle Völkerschaften der Krone Habsburg und die Ver¬
schiedenheit des Glaubensbekenntnisses nagen. So leben alle Nationalitäten
unter der Krone Habsburg, weniger aus eigener Kraft, als von der Schwäche
der andern, und so nur erklärt sich die Tatsache, daß inmitten der großen
Nationalstaaten dieser Nationalitätenstaat lebensfähig bleibt durch — die Dynastie.
Ja, die Dynastie trügt den Staat!

Vom rein politischen Standpunkt aus betrachtet und unter Vernachlässigung
der deutsch-nationalen Momente braucht daher die Lage in Österreich-Ungarn,
wie sie sich nach dem Ausscheiden des Erzherzogs Franz Ferdinand als
politischer Faktor darstellt, nicht viel anders beurteilt zu werden, wie bisher.
Die hervorragende Tätigkeit, die der Ermordete im Interesse einer tüchtigen
Armee und des Ausbaues der Flotte entwickelt hat, wird freilich zu¬
nächst nicht von seinem jungen Nachfolger ausgeübt werden können.
Dafür hat die österreichisch-ungarische Armee eine genügend große Anzahl her¬
vorragender Offiziere, um das unter Franz Ferdinand begonnene Wer! der


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[0015] Habsburgs Sorgen spruchsvoll das Gleichgewicht der Monarchie stören, durch andere Nationalitäten bedrängen und im Zaume halten zu lassen. Wenn man sich der letzters auf¬ getretenen Verstimmungen der Ungarn gegen den Thronfolger erinnert und nun hört, von seiner Umgebung her habe die rumänische Jrredenta Förderung gegen Ungarn gefunden und nun werde wohl die Agitation unter den ungarischen Rumänen aufhören (Kölnische Zeitung Ur. 759), so könnte man in der Tat folgern, so wie angedeutet und nicht anders sei das Regierungsprogramm auch des ermordeten Thronfolgers gewesen. So schmerzlich solche Feststellung für unsere Stammesbrüder in Österreich. Ungarn sein mag, liegt in der Folgerichtigkeit der Habsburgischen Politik doch die Gewähr für eine, wenn nicht gerade glänzende, so doch verhältnismäßig stabile Entwicklung der Habsburgischen Monarchie auch in Zukunft. Keine der österreichischen Nationalitäten liegt so abgesondert von der anderen, daß sie sich heute mit einiger Aussicht auf politische oder nationale Zukunft selbständig machen könnte. Keine der größeren Nationalitäten, vielleicht mit alleiniger Aus¬ nahme der Serben, hat ernstlich Neigung sich einem der in Frage kommenden Nachbarstaaten, Rußland und Deutschland, anzugliedern. Im übrigen werden die Polen von den Ruthenen bedroht und bedrohen selbst Tschechen und Deutsche; die Ungarn haben starke Rivalen in den Rumänen, Schwaben und Kroaten und die letzteren wieder sind durch Zugehörigkeit zu verschiedenen Glaubens¬ bekenntnissen (orthodox und römisch-katholisch) tief gespalten, während am deutschen Besitzstande alle Völkerschaften der Krone Habsburg und die Ver¬ schiedenheit des Glaubensbekenntnisses nagen. So leben alle Nationalitäten unter der Krone Habsburg, weniger aus eigener Kraft, als von der Schwäche der andern, und so nur erklärt sich die Tatsache, daß inmitten der großen Nationalstaaten dieser Nationalitätenstaat lebensfähig bleibt durch — die Dynastie. Ja, die Dynastie trügt den Staat! Vom rein politischen Standpunkt aus betrachtet und unter Vernachlässigung der deutsch-nationalen Momente braucht daher die Lage in Österreich-Ungarn, wie sie sich nach dem Ausscheiden des Erzherzogs Franz Ferdinand als politischer Faktor darstellt, nicht viel anders beurteilt zu werden, wie bisher. Die hervorragende Tätigkeit, die der Ermordete im Interesse einer tüchtigen Armee und des Ausbaues der Flotte entwickelt hat, wird freilich zu¬ nächst nicht von seinem jungen Nachfolger ausgeübt werden können. Dafür hat die österreichisch-ungarische Armee eine genügend große Anzahl her¬ vorragender Offiziere, um das unter Franz Ferdinand begonnene Wer! der i*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/15>, abgerufen am 01.09.2024.