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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Habsburgs Sorgen

hätte. Herrscher haben noch selten das gehalten, was ihnen seitens der öffent¬
lichen Meinung als Thronfolger zugeschrieben wurde. Wichtiger scheint es, sich
Rechenschaft darüber zu geben, welche Ausblicke die gegebenen Tatsachen zu¬
lassen.

In der Festgabe der Österreichischen Rundschau zum funfzigsten Geburtstage
des Erzherzogs - Thronfolger hat Leopold Freiherr von Chlumecky den Satz
niedergeschrieben: "Österreich-Ungarns Kaiser kann sich nicht damit begnügen,
die Spitze der staatlichen Pyramide zu sein und als solche den ganzen, auf fester
Grundlage ruhenden Bau zu krönen. Hier ist die Dynastie selbst das Fundament
eines nicht immer logisch und organisch gegliederten Aufbaues -- es trägt nicht,
wie anderwärts der Staat die Dynastie -- hier trägt die Dynastie den Staat."
(S. 5)*) Mit anderen Worten: weder nationale noch wirtschaftliche Kräfte
haben sich entwickelt, die befähigt wären den Staat zu tragen; die einzige
Macht, die die zentrifugalen Kräfte der einzelnen Nationalitäten noch paralysiert
ist die Dynastie. Ist es wirklich so, wie der geschätzte Wiener Publizist schreibt,
so wird man verstehen, weshalb Kaiser Franz Joseph schon in den achtzehn-
Hundertsechziger Jahren aufgehört hat, sich auf das Deutschtum zu stützen und
mit dessen Hilfe das Reich und die anderen Völkerschaften zentralistisch zu
regieren. Einer Dynastie als solcher kann es im Grunde genommen gleich¬
gültig sein, welcher Nationalität die ihr ergebenen Völker zugehören. solange sich
mit deren Hilfe der dynastische Staatszweck erfüllen läßt. Solange diesseits
und jenseits der Leitha. in Böhmen ebenso wie in Galizien und Ludomirien
die Deutschen im Sinne der dynastischen Interessen zu herrschen vermochten,
waren sie die gegebenen Staatsstützen. Nachdem aber die Ungarn, Polen und
Tschechen ihre eigene nationale Eigenart herausgebildet hatten und diese in den
Dienst der Dynastie stellten, lag für diese kein praktischer Grund mehr vor, die
anderen Nationalitäten den Deutschen zu Liebe "zu opfern. So ist Kaiser
Franz Josephs mehr als sechzigjährige Regierungszeit bis auf den heutigen
Tag ein Lavieren zwischen den Nationalitäten gewesen auf Kosten der deutschen
Nationalität. Es liegt kein Grund zur Annahme vor, daß ein Nachfolger des
greisen Monarchen, ohne die Interessen der Dynastie ernstlich zu gefährden,
von dieser bewährten Politik abweichen sollte. Konkrete Aufgabe der Zukunft
scheint es nur zu sein, daß die Dynastie einzelne Nationalitäten, die unter der
Politik der letzten Jahre zu mächtig geworden sind und darum auch zu 'an-



*) Verlag Georg Stille, Berlin und Carl Fromme, Wien.
Habsburgs Sorgen

hätte. Herrscher haben noch selten das gehalten, was ihnen seitens der öffent¬
lichen Meinung als Thronfolger zugeschrieben wurde. Wichtiger scheint es, sich
Rechenschaft darüber zu geben, welche Ausblicke die gegebenen Tatsachen zu¬
lassen.

In der Festgabe der Österreichischen Rundschau zum funfzigsten Geburtstage
des Erzherzogs - Thronfolger hat Leopold Freiherr von Chlumecky den Satz
niedergeschrieben: „Österreich-Ungarns Kaiser kann sich nicht damit begnügen,
die Spitze der staatlichen Pyramide zu sein und als solche den ganzen, auf fester
Grundlage ruhenden Bau zu krönen. Hier ist die Dynastie selbst das Fundament
eines nicht immer logisch und organisch gegliederten Aufbaues — es trägt nicht,
wie anderwärts der Staat die Dynastie — hier trägt die Dynastie den Staat."
(S. 5)*) Mit anderen Worten: weder nationale noch wirtschaftliche Kräfte
haben sich entwickelt, die befähigt wären den Staat zu tragen; die einzige
Macht, die die zentrifugalen Kräfte der einzelnen Nationalitäten noch paralysiert
ist die Dynastie. Ist es wirklich so, wie der geschätzte Wiener Publizist schreibt,
so wird man verstehen, weshalb Kaiser Franz Joseph schon in den achtzehn-
Hundertsechziger Jahren aufgehört hat, sich auf das Deutschtum zu stützen und
mit dessen Hilfe das Reich und die anderen Völkerschaften zentralistisch zu
regieren. Einer Dynastie als solcher kann es im Grunde genommen gleich¬
gültig sein, welcher Nationalität die ihr ergebenen Völker zugehören. solange sich
mit deren Hilfe der dynastische Staatszweck erfüllen läßt. Solange diesseits
und jenseits der Leitha. in Böhmen ebenso wie in Galizien und Ludomirien
die Deutschen im Sinne der dynastischen Interessen zu herrschen vermochten,
waren sie die gegebenen Staatsstützen. Nachdem aber die Ungarn, Polen und
Tschechen ihre eigene nationale Eigenart herausgebildet hatten und diese in den
Dienst der Dynastie stellten, lag für diese kein praktischer Grund mehr vor, die
anderen Nationalitäten den Deutschen zu Liebe "zu opfern. So ist Kaiser
Franz Josephs mehr als sechzigjährige Regierungszeit bis auf den heutigen
Tag ein Lavieren zwischen den Nationalitäten gewesen auf Kosten der deutschen
Nationalität. Es liegt kein Grund zur Annahme vor, daß ein Nachfolger des
greisen Monarchen, ohne die Interessen der Dynastie ernstlich zu gefährden,
von dieser bewährten Politik abweichen sollte. Konkrete Aufgabe der Zukunft
scheint es nur zu sein, daß die Dynastie einzelne Nationalitäten, die unter der
Politik der letzten Jahre zu mächtig geworden sind und darum auch zu 'an-



*) Verlag Georg Stille, Berlin und Carl Fromme, Wien.
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[0014] Habsburgs Sorgen hätte. Herrscher haben noch selten das gehalten, was ihnen seitens der öffent¬ lichen Meinung als Thronfolger zugeschrieben wurde. Wichtiger scheint es, sich Rechenschaft darüber zu geben, welche Ausblicke die gegebenen Tatsachen zu¬ lassen. In der Festgabe der Österreichischen Rundschau zum funfzigsten Geburtstage des Erzherzogs - Thronfolger hat Leopold Freiherr von Chlumecky den Satz niedergeschrieben: „Österreich-Ungarns Kaiser kann sich nicht damit begnügen, die Spitze der staatlichen Pyramide zu sein und als solche den ganzen, auf fester Grundlage ruhenden Bau zu krönen. Hier ist die Dynastie selbst das Fundament eines nicht immer logisch und organisch gegliederten Aufbaues — es trägt nicht, wie anderwärts der Staat die Dynastie — hier trägt die Dynastie den Staat." (S. 5)*) Mit anderen Worten: weder nationale noch wirtschaftliche Kräfte haben sich entwickelt, die befähigt wären den Staat zu tragen; die einzige Macht, die die zentrifugalen Kräfte der einzelnen Nationalitäten noch paralysiert ist die Dynastie. Ist es wirklich so, wie der geschätzte Wiener Publizist schreibt, so wird man verstehen, weshalb Kaiser Franz Joseph schon in den achtzehn- Hundertsechziger Jahren aufgehört hat, sich auf das Deutschtum zu stützen und mit dessen Hilfe das Reich und die anderen Völkerschaften zentralistisch zu regieren. Einer Dynastie als solcher kann es im Grunde genommen gleich¬ gültig sein, welcher Nationalität die ihr ergebenen Völker zugehören. solange sich mit deren Hilfe der dynastische Staatszweck erfüllen läßt. Solange diesseits und jenseits der Leitha. in Böhmen ebenso wie in Galizien und Ludomirien die Deutschen im Sinne der dynastischen Interessen zu herrschen vermochten, waren sie die gegebenen Staatsstützen. Nachdem aber die Ungarn, Polen und Tschechen ihre eigene nationale Eigenart herausgebildet hatten und diese in den Dienst der Dynastie stellten, lag für diese kein praktischer Grund mehr vor, die anderen Nationalitäten den Deutschen zu Liebe "zu opfern. So ist Kaiser Franz Josephs mehr als sechzigjährige Regierungszeit bis auf den heutigen Tag ein Lavieren zwischen den Nationalitäten gewesen auf Kosten der deutschen Nationalität. Es liegt kein Grund zur Annahme vor, daß ein Nachfolger des greisen Monarchen, ohne die Interessen der Dynastie ernstlich zu gefährden, von dieser bewährten Politik abweichen sollte. Konkrete Aufgabe der Zukunft scheint es nur zu sein, daß die Dynastie einzelne Nationalitäten, die unter der Politik der letzten Jahre zu mächtig geworden sind und darum auch zu 'an- *) Verlag Georg Stille, Berlin und Carl Fromme, Wien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/14>, abgerufen am 27.07.2024.