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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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wieder und wieder der Gesichtspunkt falsch gewählt wird. Spieros "Liliencron"
ist gewiß noch kein abschließendes Werk -- wie sollte man ein solches unmittelbar
nach des Dichters Tode geben können? -- aber bereits eine anerkennenswerte
biographisch-literarhistorische Leistung. Die Züge eines speziell Liliencronschen
dämonischen Leichtsinns, der in einem Moment plötzlich die ganze Existenz auf
das Spiel setzt, werden in dieser Biographie zwar nur angedeutet, aber doch nicht
verwischt; ein starker Ton wird auf den tiefen Ernst gelegt, der in des Dichters
Wesen jenen Leichtsinn wieder ausglich. Leichtsinnig freilich ist Liliencron mehr
als einmal gewesen; sein Freund Richard Dehmel singt über des Dichters
Beamtenlaufbahn:


"Im Amtskreis des Hardesvogts Liliencron
hatten dreizehn Gastwirte abwechselnd Tanzlonzession --"

Und mag man dies Konzessioncrteilen noch milde Duldsamkeit nennen, so
ist doch die Menschenfreundlichkeit jedenfalls eine höchst gefährliche Sache, die
den Premierleutnant Liliencron einmal veranlaßt hat, seine Begleitmannschaften,
statt auf die Route, in Meßbuden und auf den Tanzboden zu führen. In
der Gesamtheit des Liliencronschen Charakters mit seinen Kontrasten aber liegt
etwas wunderbar Anziehendes. Der Leichtsinnige war ein tiefer Mensch, und
der wunderbare Ernst, der aus seiner (bei Spiero wiedergegebenen) unver¬
gleichlich schönen Totenmaske spricht, ist kein Zufall.

Über Dichter, die unter uns leben, werden eigentlich biographisch-literar¬
historische Leistungen nur selten geliefert werden können, und so ist es wohl
verständlich, daß in einem neu vorliegenden Buch über Thomas Mann, das
Wilhelm Alberts darbietet, nur wenige Umrisse von Daten und äußeren
Tatsachen gegeben werden. "Thomas Mann und sein Beruf" nennt
Alberts seine Schrift (Genien - Verlag zu Leipzig, 1913) und deutet damit
gleich an, daß er nicht nur darstellen, sondern ganz bestimmte Behauptungen
aufstellen und für sie kämpfen will. Einerseits führt er uns in Manns
eigene Anschauung von seinem Künstlerberuf ein; darüber hinaus aber legt
Alberts dar, was er für Manns künftigen Beruf, für seine künftige Pflicht
hält, in welcher Richtung er ihm eine künstlerische Entwicklung wünscht.
Den größeren Teil der gedankenreichen Arbeit liest man mit lebhaftester Zu¬
stimmung; die Darstellung des Skeptikers Mann, die Vergleichung mit Gedanken
Schopenhauers und Nietzsches, mit der künstlerischen Art Flauberts und Fontanes
ist Alberts vortrefflich gelungen. Der kleinere Schlußteil, die Konstruktion
einer bereits angebahnten Entwicklung Manns zum Positiven, Unsatirischen, zur
Art Goethes hin, hat mir jedoch ebenso große Zweifel erweckt. Gerade das
letzte Werk Thomas Manns, die Novelle "Der Tod in Venedig", als dekadentes
Kunstprodukt ein Meisterstück, zeigt wieder die absolute, geradezu stellungslose
Skepsis dieses glänzenden Schriftstellers. Dekadent-pessimistische Erörterungen
des Schlusses widersprechen in dieser Novelle direkt optimistisch-kräftigen Stellen


wieder und wieder der Gesichtspunkt falsch gewählt wird. Spieros „Liliencron"
ist gewiß noch kein abschließendes Werk — wie sollte man ein solches unmittelbar
nach des Dichters Tode geben können? — aber bereits eine anerkennenswerte
biographisch-literarhistorische Leistung. Die Züge eines speziell Liliencronschen
dämonischen Leichtsinns, der in einem Moment plötzlich die ganze Existenz auf
das Spiel setzt, werden in dieser Biographie zwar nur angedeutet, aber doch nicht
verwischt; ein starker Ton wird auf den tiefen Ernst gelegt, der in des Dichters
Wesen jenen Leichtsinn wieder ausglich. Leichtsinnig freilich ist Liliencron mehr
als einmal gewesen; sein Freund Richard Dehmel singt über des Dichters
Beamtenlaufbahn:


„Im Amtskreis des Hardesvogts Liliencron
hatten dreizehn Gastwirte abwechselnd Tanzlonzession —"

Und mag man dies Konzessioncrteilen noch milde Duldsamkeit nennen, so
ist doch die Menschenfreundlichkeit jedenfalls eine höchst gefährliche Sache, die
den Premierleutnant Liliencron einmal veranlaßt hat, seine Begleitmannschaften,
statt auf die Route, in Meßbuden und auf den Tanzboden zu führen. In
der Gesamtheit des Liliencronschen Charakters mit seinen Kontrasten aber liegt
etwas wunderbar Anziehendes. Der Leichtsinnige war ein tiefer Mensch, und
der wunderbare Ernst, der aus seiner (bei Spiero wiedergegebenen) unver¬
gleichlich schönen Totenmaske spricht, ist kein Zufall.

Über Dichter, die unter uns leben, werden eigentlich biographisch-literar¬
historische Leistungen nur selten geliefert werden können, und so ist es wohl
verständlich, daß in einem neu vorliegenden Buch über Thomas Mann, das
Wilhelm Alberts darbietet, nur wenige Umrisse von Daten und äußeren
Tatsachen gegeben werden. „Thomas Mann und sein Beruf" nennt
Alberts seine Schrift (Genien - Verlag zu Leipzig, 1913) und deutet damit
gleich an, daß er nicht nur darstellen, sondern ganz bestimmte Behauptungen
aufstellen und für sie kämpfen will. Einerseits führt er uns in Manns
eigene Anschauung von seinem Künstlerberuf ein; darüber hinaus aber legt
Alberts dar, was er für Manns künftigen Beruf, für seine künftige Pflicht
hält, in welcher Richtung er ihm eine künstlerische Entwicklung wünscht.
Den größeren Teil der gedankenreichen Arbeit liest man mit lebhaftester Zu¬
stimmung; die Darstellung des Skeptikers Mann, die Vergleichung mit Gedanken
Schopenhauers und Nietzsches, mit der künstlerischen Art Flauberts und Fontanes
ist Alberts vortrefflich gelungen. Der kleinere Schlußteil, die Konstruktion
einer bereits angebahnten Entwicklung Manns zum Positiven, Unsatirischen, zur
Art Goethes hin, hat mir jedoch ebenso große Zweifel erweckt. Gerade das
letzte Werk Thomas Manns, die Novelle „Der Tod in Venedig", als dekadentes
Kunstprodukt ein Meisterstück, zeigt wieder die absolute, geradezu stellungslose
Skepsis dieses glänzenden Schriftstellers. Dekadent-pessimistische Erörterungen
des Schlusses widersprechen in dieser Novelle direkt optimistisch-kräftigen Stellen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/149>, abgerufen am 27.07.2024.