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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Hundertundfünfzig Jahre deutscher Aunst

karten und Bücher huldigen der wissenschaftlichen Zeit, die die Menschen wie
in einer geistigen Republik vereinigte. Über Matthieu ist vor kurzem eine
Monographie bei Klinkhardt und Biermann erschienen.

Ein Männerporträt von größter Schlichtheit und dabei Kraft ist Joseph
Kreutzingers "Graf Ferdinand Kinsky"; es könnte neben Reynolds berühmtem
General in roter Uniform mit dem Schlüssel von Gibraltar in der Hand hängen
und würde sich in Ehren halten. In ihm deutet nichts mehr auf das stereotype
"Feldherrnbild" mit Stab und Karte zu Fuß oder zu Pferde. Von diesem
Wiener Meister, der von 1757 bis 1829 lebte, ist leider kein zweites Bild in
Darmstadt zu sehen.

So manches andere Werk könnte noch besonders behandelt werden, so
z B. I. Fr. A. Tischbeins "Fürst Friedrich von Waldeck", in dem die Ent¬
wicklung des Hof- und Fürstenporträts zum bürgerlichen, wie an einem Schul¬
beispiel abgelesen werden kann, weil es "bürgerlich" in der ganzen einfachen,
fast puritanischen Aufmachung, im Hineinsprechen der heimatlichen Natur und
sogar in der ganzen Tönung mit ihren milden, gedämpften Farben ist; wie
überhaupt die Porträts der verschiedenen Tischbeins, denen mehr als ein ganzer
Saal in Darmstadt eingeräumt worden ist, nicht bloß von diesem Gesichtspunkt
aus Interesse erregen und verdienen. Es muß aber genügen, mit einigen
Worten noch auf Anton Graff (1736 bis 1813) zu sprechen zu'kommen. Als
Porträtist der Gelehrten, Dichter und Künstler der zweiten Hälfte des acht¬
zehnten Jahrhunderts ist er ja längst bekannt und gewürdigt. Trotzdem
kann man auch durch bisher unbekannte Gemälde, die seiner Tätigkeit auf
diesem Gebiete entstammen, manches über ihn hinzulernen. Zwei Werke aber
vor allem, die einem anderen Kreise angehören, lassen ihn als einen viel um¬
fassenderen Künstler von großen malerischen Qualitäten erkennen, das ist einmal
das Bild dreier Kinder -- eines Gräsleins und zweier Komtessen (/^. 176) --
aus dem Besitz des Fürsten Reuß j. L., das diese Hand in Hand verschlungen
zeigt, bereit zu einem Reigen anzutreten. Ein zarter, dabei schalkhafter
musikalischer Rhythmus klingt aus dem Bilde, ebenso hell und licht klingen die
Farben der köstlich gemalten Gewänder: ein Weiß, ein duftiges Grau, ein
blühendes Rosa; wie ein Mozartsches Menuett wirkt das ganze. Man darf
vor ihm an Gainsborough denken, nur hätte dieser bei solchem Gegenstande
nicht die Porträtwahrheit soweit getrieben, den zwei jungen Damen einen
seltsam ältlichen Zug um Mund und Augen zu legen. Das zweite Bild 172),
das vom Künstler nicht verlangt, weibliche Charme zur Anschauung zu bringen,
ist ein wahrhaft vollkommenes Werk seiner Art. In ihm stellt Graff den Fürsten
Heinrich den Dreizehnter von Reuß ä. L., als Menschen und Soldat gesehen, in Uni¬
formin eineLandschaft. Charakteristik, Haltung, aparte, dabei wundervoll zusammen¬
gehende und die Einheitlichkeit des ganzen Bildes hebende Farbenharmonie,
machen es zu einem großen Porträt und schönen Gemälde, eine von nicht zu
vielen Meistern und selbst von diesen keineswegs immer erreichte Vereinigung.


Hundertundfünfzig Jahre deutscher Aunst

karten und Bücher huldigen der wissenschaftlichen Zeit, die die Menschen wie
in einer geistigen Republik vereinigte. Über Matthieu ist vor kurzem eine
Monographie bei Klinkhardt und Biermann erschienen.

Ein Männerporträt von größter Schlichtheit und dabei Kraft ist Joseph
Kreutzingers „Graf Ferdinand Kinsky"; es könnte neben Reynolds berühmtem
General in roter Uniform mit dem Schlüssel von Gibraltar in der Hand hängen
und würde sich in Ehren halten. In ihm deutet nichts mehr auf das stereotype
„Feldherrnbild" mit Stab und Karte zu Fuß oder zu Pferde. Von diesem
Wiener Meister, der von 1757 bis 1829 lebte, ist leider kein zweites Bild in
Darmstadt zu sehen.

So manches andere Werk könnte noch besonders behandelt werden, so
z B. I. Fr. A. Tischbeins „Fürst Friedrich von Waldeck", in dem die Ent¬
wicklung des Hof- und Fürstenporträts zum bürgerlichen, wie an einem Schul¬
beispiel abgelesen werden kann, weil es „bürgerlich" in der ganzen einfachen,
fast puritanischen Aufmachung, im Hineinsprechen der heimatlichen Natur und
sogar in der ganzen Tönung mit ihren milden, gedämpften Farben ist; wie
überhaupt die Porträts der verschiedenen Tischbeins, denen mehr als ein ganzer
Saal in Darmstadt eingeräumt worden ist, nicht bloß von diesem Gesichtspunkt
aus Interesse erregen und verdienen. Es muß aber genügen, mit einigen
Worten noch auf Anton Graff (1736 bis 1813) zu sprechen zu'kommen. Als
Porträtist der Gelehrten, Dichter und Künstler der zweiten Hälfte des acht¬
zehnten Jahrhunderts ist er ja längst bekannt und gewürdigt. Trotzdem
kann man auch durch bisher unbekannte Gemälde, die seiner Tätigkeit auf
diesem Gebiete entstammen, manches über ihn hinzulernen. Zwei Werke aber
vor allem, die einem anderen Kreise angehören, lassen ihn als einen viel um¬
fassenderen Künstler von großen malerischen Qualitäten erkennen, das ist einmal
das Bild dreier Kinder — eines Gräsleins und zweier Komtessen (/^. 176) —
aus dem Besitz des Fürsten Reuß j. L., das diese Hand in Hand verschlungen
zeigt, bereit zu einem Reigen anzutreten. Ein zarter, dabei schalkhafter
musikalischer Rhythmus klingt aus dem Bilde, ebenso hell und licht klingen die
Farben der köstlich gemalten Gewänder: ein Weiß, ein duftiges Grau, ein
blühendes Rosa; wie ein Mozartsches Menuett wirkt das ganze. Man darf
vor ihm an Gainsborough denken, nur hätte dieser bei solchem Gegenstande
nicht die Porträtwahrheit soweit getrieben, den zwei jungen Damen einen
seltsam ältlichen Zug um Mund und Augen zu legen. Das zweite Bild 172),
das vom Künstler nicht verlangt, weibliche Charme zur Anschauung zu bringen,
ist ein wahrhaft vollkommenes Werk seiner Art. In ihm stellt Graff den Fürsten
Heinrich den Dreizehnter von Reuß ä. L., als Menschen und Soldat gesehen, in Uni¬
formin eineLandschaft. Charakteristik, Haltung, aparte, dabei wundervoll zusammen¬
gehende und die Einheitlichkeit des ganzen Bildes hebende Farbenharmonie,
machen es zu einem großen Porträt und schönen Gemälde, eine von nicht zu
vielen Meistern und selbst von diesen keineswegs immer erreichte Vereinigung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/138>, abgerufen am 27.07.2024.