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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Hundertundfünfzig Jahre deutscher Annst

sehr tüchtig eine gelehrte Frau. Der in Darmstadt mit zahlreichen Werken
vertretene, noch gar nicht lange aus völliger Vergessenheit gezogene hannöversche
Porträtist Johann Georg Ziesenis aber hat in seiner Gräfin Marie zu Schaum¬
burg-Lippe, einem Pendant zu dem Gemälde ihres gräflichen Gatten, vielleicht
das Frauenporträt geschaffen, das, trotz keineswegs retouchierter Darstellung der
reizvoll individuellen, aber nicht gerade "schönen" Züge, durch die meisterliche
Behandlung den größten Charme besitzt. Die Gräfin stützt sich leicht mit dem
linken Ellbogen auf den hohen Sockel einer Vase, über den ihr Hermelinmantel
herabhängt, so daß harte Kanten vermieden werden. Ihr rechter Arm fällt
herab, und lässig und doch liebreich hält die schöne Hand eine Nelke. Das
tiefausgeschnittene Kleid schmiegt sich eng um die Büste, so daß deren Formen
mit dem hellen Nacken und dem klugen, feinen Gesicht sich wundervoll gegen
die einen Ziergarten darstellende Landschaft des Hintergrundes abheben. Das
ganze Bild ist in kühle, man könnte sagen jungfräuliche Farben getaucht wie
im Gegensatz zu dem wahrhaftigen, fast etwas trutzigen Männerporträt des
Grafen in seiner leuchtenden roten Uniform und dem kräftig charakterisierten,
durch den dunklen Dreimaster noch besonders stark hervortretenden Gesicht, das
auch wie das der Gräfin gegen den freien Himmel steht, während hier die
Landschaft des Hintergrundes, dem männlichen Geiste des Werkes entsprechend,
eine Hügelkette bildet.

Auf ein paar einzelne Künstler sei nun noch mit einigen Worten ein¬
gegangen. Von Ziesenis (1716 bis 1777), dem eben erwähnten, enthält die
Darmstädter Ausstellung über dreißig Werke. Nicht alle sind bedeutend -- auch
ein Reynolds, ein Naeburn nickten manchmal ein, und gar nicht so selten --.
zum Teil wohl, weil es dem offenbar vielbeschäftigten Manne öfters an Zeit
gebrach. Wenn er sich aber einer Aufgabe annimmt, so tut er das mit einer
wahren künstlerischen Hingabe. Er begnügt sich nicht damit, seine Modelle nach
einer einmal gefundenen Formel zu charakterisieren, vielmehr richtet sich die
Behandlung, die ganze Anlage und Ausgestaltung des Bildes, in Form wie
Farbe, nach der jeweiligen Natur des Darzustellenden. So wird einmal eine
warme, ein andermal wieder eine kühle Farbe, wie in dem prächtigen, ebenso
kraftvollen wie schlichten Herzog von Braunschweig O 834) ein dunkles Blau,
als Dominante der Farbenskala eingeführt; die Hintergründe wechseln, das Bei¬
werk, alles stammt letzten Endes aus der Art des Modelles, die der Maler mit
sicherem Blicke erfaßt und künstlerisch sich gleichsam zu eigen gemacht hat. Darum
wirken seine guten Porträts so individuell, so frisch und immer wieder neu und
überraschend. Von einer "Manier" ist bei ihnen keine Rede.

Wenig bekannt, wenigstens in weiteren Kreisen, war bisher auch der Ber¬
liner Meister Georg David Matthieu (1737 bis 1778), der als feinfühliger
Maler in seinem "Prinz und Gouverneur" ">. 395) den kleinen Prinzen als
Hauptperson durch die Art der farbigen Behandlung der ihn umgebenden Partien
ganz diskret in den Vordergrund rückt. Das Beiwerk: der Globus, die Land-


Hundertundfünfzig Jahre deutscher Annst

sehr tüchtig eine gelehrte Frau. Der in Darmstadt mit zahlreichen Werken
vertretene, noch gar nicht lange aus völliger Vergessenheit gezogene hannöversche
Porträtist Johann Georg Ziesenis aber hat in seiner Gräfin Marie zu Schaum¬
burg-Lippe, einem Pendant zu dem Gemälde ihres gräflichen Gatten, vielleicht
das Frauenporträt geschaffen, das, trotz keineswegs retouchierter Darstellung der
reizvoll individuellen, aber nicht gerade „schönen" Züge, durch die meisterliche
Behandlung den größten Charme besitzt. Die Gräfin stützt sich leicht mit dem
linken Ellbogen auf den hohen Sockel einer Vase, über den ihr Hermelinmantel
herabhängt, so daß harte Kanten vermieden werden. Ihr rechter Arm fällt
herab, und lässig und doch liebreich hält die schöne Hand eine Nelke. Das
tiefausgeschnittene Kleid schmiegt sich eng um die Büste, so daß deren Formen
mit dem hellen Nacken und dem klugen, feinen Gesicht sich wundervoll gegen
die einen Ziergarten darstellende Landschaft des Hintergrundes abheben. Das
ganze Bild ist in kühle, man könnte sagen jungfräuliche Farben getaucht wie
im Gegensatz zu dem wahrhaftigen, fast etwas trutzigen Männerporträt des
Grafen in seiner leuchtenden roten Uniform und dem kräftig charakterisierten,
durch den dunklen Dreimaster noch besonders stark hervortretenden Gesicht, das
auch wie das der Gräfin gegen den freien Himmel steht, während hier die
Landschaft des Hintergrundes, dem männlichen Geiste des Werkes entsprechend,
eine Hügelkette bildet.

Auf ein paar einzelne Künstler sei nun noch mit einigen Worten ein¬
gegangen. Von Ziesenis (1716 bis 1777), dem eben erwähnten, enthält die
Darmstädter Ausstellung über dreißig Werke. Nicht alle sind bedeutend — auch
ein Reynolds, ein Naeburn nickten manchmal ein, und gar nicht so selten —.
zum Teil wohl, weil es dem offenbar vielbeschäftigten Manne öfters an Zeit
gebrach. Wenn er sich aber einer Aufgabe annimmt, so tut er das mit einer
wahren künstlerischen Hingabe. Er begnügt sich nicht damit, seine Modelle nach
einer einmal gefundenen Formel zu charakterisieren, vielmehr richtet sich die
Behandlung, die ganze Anlage und Ausgestaltung des Bildes, in Form wie
Farbe, nach der jeweiligen Natur des Darzustellenden. So wird einmal eine
warme, ein andermal wieder eine kühle Farbe, wie in dem prächtigen, ebenso
kraftvollen wie schlichten Herzog von Braunschweig O 834) ein dunkles Blau,
als Dominante der Farbenskala eingeführt; die Hintergründe wechseln, das Bei¬
werk, alles stammt letzten Endes aus der Art des Modelles, die der Maler mit
sicherem Blicke erfaßt und künstlerisch sich gleichsam zu eigen gemacht hat. Darum
wirken seine guten Porträts so individuell, so frisch und immer wieder neu und
überraschend. Von einer „Manier" ist bei ihnen keine Rede.

Wenig bekannt, wenigstens in weiteren Kreisen, war bisher auch der Ber¬
liner Meister Georg David Matthieu (1737 bis 1778), der als feinfühliger
Maler in seinem „Prinz und Gouverneur" «>. 395) den kleinen Prinzen als
Hauptperson durch die Art der farbigen Behandlung der ihn umgebenden Partien
ganz diskret in den Vordergrund rückt. Das Beiwerk: der Globus, die Land-


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[0137] Hundertundfünfzig Jahre deutscher Annst sehr tüchtig eine gelehrte Frau. Der in Darmstadt mit zahlreichen Werken vertretene, noch gar nicht lange aus völliger Vergessenheit gezogene hannöversche Porträtist Johann Georg Ziesenis aber hat in seiner Gräfin Marie zu Schaum¬ burg-Lippe, einem Pendant zu dem Gemälde ihres gräflichen Gatten, vielleicht das Frauenporträt geschaffen, das, trotz keineswegs retouchierter Darstellung der reizvoll individuellen, aber nicht gerade „schönen" Züge, durch die meisterliche Behandlung den größten Charme besitzt. Die Gräfin stützt sich leicht mit dem linken Ellbogen auf den hohen Sockel einer Vase, über den ihr Hermelinmantel herabhängt, so daß harte Kanten vermieden werden. Ihr rechter Arm fällt herab, und lässig und doch liebreich hält die schöne Hand eine Nelke. Das tiefausgeschnittene Kleid schmiegt sich eng um die Büste, so daß deren Formen mit dem hellen Nacken und dem klugen, feinen Gesicht sich wundervoll gegen die einen Ziergarten darstellende Landschaft des Hintergrundes abheben. Das ganze Bild ist in kühle, man könnte sagen jungfräuliche Farben getaucht wie im Gegensatz zu dem wahrhaftigen, fast etwas trutzigen Männerporträt des Grafen in seiner leuchtenden roten Uniform und dem kräftig charakterisierten, durch den dunklen Dreimaster noch besonders stark hervortretenden Gesicht, das auch wie das der Gräfin gegen den freien Himmel steht, während hier die Landschaft des Hintergrundes, dem männlichen Geiste des Werkes entsprechend, eine Hügelkette bildet. Auf ein paar einzelne Künstler sei nun noch mit einigen Worten ein¬ gegangen. Von Ziesenis (1716 bis 1777), dem eben erwähnten, enthält die Darmstädter Ausstellung über dreißig Werke. Nicht alle sind bedeutend — auch ein Reynolds, ein Naeburn nickten manchmal ein, und gar nicht so selten —. zum Teil wohl, weil es dem offenbar vielbeschäftigten Manne öfters an Zeit gebrach. Wenn er sich aber einer Aufgabe annimmt, so tut er das mit einer wahren künstlerischen Hingabe. Er begnügt sich nicht damit, seine Modelle nach einer einmal gefundenen Formel zu charakterisieren, vielmehr richtet sich die Behandlung, die ganze Anlage und Ausgestaltung des Bildes, in Form wie Farbe, nach der jeweiligen Natur des Darzustellenden. So wird einmal eine warme, ein andermal wieder eine kühle Farbe, wie in dem prächtigen, ebenso kraftvollen wie schlichten Herzog von Braunschweig O 834) ein dunkles Blau, als Dominante der Farbenskala eingeführt; die Hintergründe wechseln, das Bei¬ werk, alles stammt letzten Endes aus der Art des Modelles, die der Maler mit sicherem Blicke erfaßt und künstlerisch sich gleichsam zu eigen gemacht hat. Darum wirken seine guten Porträts so individuell, so frisch und immer wieder neu und überraschend. Von einer „Manier" ist bei ihnen keine Rede. Wenig bekannt, wenigstens in weiteren Kreisen, war bisher auch der Ber¬ liner Meister Georg David Matthieu (1737 bis 1778), der als feinfühliger Maler in seinem „Prinz und Gouverneur" «>. 395) den kleinen Prinzen als Hauptperson durch die Art der farbigen Behandlung der ihn umgebenden Partien ganz diskret in den Vordergrund rückt. Das Beiwerk: der Globus, die Land-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/137>, abgerufen am 27.07.2024.